Das waren noch Zeiten, als Eheschließungen aus familien- und standestaktischen Erwägungen angebahnt wurden. Damals im Viktorianischen Zeitalter, Mitte des 19. Jahrhunderts musste sich der britische Adel mit diversen Bedrohungen auseinandersetzen. Beispielsweise gesellschaftlichen Emporkömmlingen und der eigenen Dekadenz. So auch in Anthony Trollopes Roman „Doctor Thorne“. Wiewohl der gute Doktor nicht ständig im Bilde ist, steht er doch im Zentrum der Gesellschaft in der beschaulichen (fiktiven) Grafschaft Barsetshire. Vor allem da seine Nichte nun in heiratsfähigem Alter ist. Opulent kostümierte romantische Irrungen und Wirrungen sind also vorprogrammiert.
Dabei wäre die Sache eigentlich recht klar, denn Frank Gresham (Harry Richardson) und seine Schwesterns sind quasi mit Mary Thorne (Stefanie Martini) aufgewachsen und so nimmt es auch nicht Wunder, dass die hübsche Mary und der galante Frank ziemlich verliebt sind. Allerdings steht der Wunschverbindung noch Marys Thornes Abstammung im Wege, denn so sehr der ledige Doctor Thorne (Tom Hollander) auch behauptet, das Mädchen wäre seine Nichte, Beweise gibt es dafür nicht. Thornes Bruder zeugte das Kind außerehelich und starb lange, bevor Mary geboren wurde, denn Roger Scetchert (Ian MacShane) tötete Thornes Bruder bei einer Rauferei versehentlich und war dafür lange hinter Gittern.
Gegenwärtig allerdings ist der Selfmade-Man, der mit dem Bau der Eisenbahn zu Wohlstand und Adelstitel gekommen ist, zwar sterbenskrank, weil er die Finger nicht vom Alkohol lassen kann, aber mit den alteingesessenen Greshams hat er noch eine kleine Fehde offen. Zwar gehört ihm de facto deren Familiensitz und weite Teile der Ländereien, aber er lässt sie gewähren. Ihrem Schwiegersohn in spe, der für ein politisches Amt kandidiert, stellt er sich dann aber doch streitlustig als Gegenkandidat in den Weg.
Die Verschuldung der Greshams ist es auch, die Lady Arabella Gresham (Rebecca Front) verbissen dazu drängt, ihre Kinder reich zu verheiraten. Die größten Hoffnungen der Adeligen liegen dabei auf ihrem Sohn Frank, der eine amerikanische Dame ehelichen soll, die durch Öl im Libanon zu Wohlstand gekommen sein soll. Das läuft zwar Franks Herzensangelegenheiten zuwider, aber schließlich geht es um das Familienwohl und -ansehen.
Als Doctor Thorne schließlich von Lady Arabella gebeten wird, seine Nichte doch bitte von dem zu verkuppelnden Sohnemann fernzuhalten, ist der Ehrenmann nicht nur ein wenig düpiert und erwägt ernsthaft, seine Freundschaft mit dem Hause Gresham aufzukündigen. Der Doktor ist zwar auch der Finanzverwalter von Sir Roger, sähe es aber dennoch nicht gerne, wenn Frank Gresham Senior und seine Familie auf der Straße landen würden. Nun, die Ereignisse in der idyllischen Grafschaft Barsetshire nehmen ihren Lauf.
Drehbuchautor und Schauspieler Julian Fellowes, der mit „Downton Abbey“ einen absoluten Quotenhit gelandet hat und in „Good Ole England“ zugleich auch einen Schwanengesang des viktorianischen Zeitalters anstimmte, hat sich mit der Miniserie „Doctor Thorne“ einen kleinen Herzenswunsch erfüllt. Die gleichnamige Romanvorlage „Doctor Thorne“ stammt von Anthony Trollope, einen viktorianischen Vielschreiber, der zu Fellowes Lieblingsautoren zählt.
Seinen erklärten Lieblingsroman für ein anderes Medium zu bearbeiten, birgt selbst für Könner wie Fellowes („Die junge Königin Victoria“, „Gosford Park“) gewisse Gefahren. Zwar bleibt die Miniserie sehr nah am Roman und übernimmt auch dessen leichten Tonfall, aber etwas hausbacken und maniriert ist das Ergebnis dann doch geworden. Die Figurenaufstellung und auch die dramaturgischen Kniffe sind typisch für eine viktorianische, englische Gesellschaftskomödie und die Unterschiede zu Jane Austens Geschichten oder Charles Dickens Stoffen liegen vor allem in der Ausgestaltung der Charaktere – und die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit etlicher Figuren ist in „Doctor Thorne“ auch sehr gelungen.
Hinzu kommt, dass die Schauspieler zwar in ihren Rollen aufgehen, aber die Schauplatzwechsel jeweils mit einer Totalen des jeweiligen Herrensitzes eingeleitet werden, fast so, als müsste man tatsächlich das Bühnenbild wechseln. Als Stilmittel ist das gewollt, aber eben auch theatralisch und tempo-drosselnd.
Eventuell liegt es auch daran, dass die TV-Miniserie, die für ITV als Dreiteiler produziert wurde, für den amerikanischen Streaming-dienst Amazon Prime zu einem vierteiligen Format umgeschnitten wurde. An den Anfang und dad Ende der Episoden wird jeweils ein moderierender Julian Fellowes gesetzt, der wie weiland Alfred Hitchcock vor dem Kamin die Serienhandlung kommentiert. Was an Spontaneität und dramaturgischen Spannungsmomenten in „Doctor Thorne“ noch vorhanden war, wird spätestens damit ausgebremst, so dass wirklich nur das bisweilen theaterhaft inszenierte Gesellschaftsportrait übrig bleibt.
Bonus-Material gibt es (zumindest auf der Blu-ray) auch: In diversen Featurettes, die als Blicke hinter die Kulissen und als „Making of“ angelegt sind, erfährt der interessierte Zuschauer mehr über die Produktion, aber auch über den Autor Anthony Trollope und sein umfassendes Werk. Inzwischen sind davon auch erhebliche Teile in deutscher Übersetzung erschienen, einiges aber – wie „Doktor Thorne“ – schon seit Jahren vergriffen.
Die Miniserie „Doctor Thorne“ hat durchaus ihre Momente, hebt sich aber nicht von anderen romantischen Gesellschaftsportraits dieser Periode ab. Wer sich gerne in Jane Austens Geschichten und den Verwicklungen in „Downton Abbey“ verliert, sollte hier richtig sein.
Serien-Wertung: (6 / 10)
Doctor Thorne
OT: Doctor Thorne
Länge: 171 Minuten (4 x 43 Min.), GB, 2016
Regisseur: Niall MacCormick,
Drehbuch; Julian Fellowes
Romanvorlage: Anthony Trollope
Darsteller: Tom Hollander, Stefanie Martini, Harry Richardson, Rebecca Front, Alison Brie
FSK: Freigegeben ab 6 Jahren
Studio: Alive, Capelight
DVD- & BD-VÖ: 16. März 2018
Produktionsjahr: 2016
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