88 Ernährungsmythen – Was Sie über Ihr Essen wissen sollten

Es ist immer klug, bisweilen über den sprichwörtlichen Tellerrand zu schauen. Gelegentlich gelingt das mit dem buchstäblichen Blick auf den Teller. Ernährungsweisen und – Gewohnheiten gehören zu den alltäglichsten und prägendsten Erfahrungen, die Menschen machen können. Der Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach hat nun „88 Ernährungsmythen“ untersucht und auf ihren Wahrheits- und Informationsgehalt abgeklopft. Erschienen ist der Ratgeber in der „Menssana“–Reihe des Droemer Knaur Verlags.

Die Welt ist kompliziert und unübersichtlich. Die Nachteile unseres Wirtschaftssystems, der Globalisierung und der Informationsflut werden von vielen Menschen dergestalt wahrgenommen, dass es immer schwerer ist, sich gut und umfassend informiert zu fühlen. Da wird die Neuanschaffung eines Gerätes zum Hürdenlauf durch Ratgeber, Empfehlungen von Freunden, Internetseiten und Testergebnissen unterschiedlicher Seriosität und faktischer Belastbarkeit.

Auch und gerade im Bereich der Ernährung sind die Verwirrungen groß, denn unsere Nahrungsmittel sind auch Waren und Produkte. Da ist Werbung oft nicht mehr eindeutig als solche zu erkennen und Empfehlungen spiegeln häufig genug vor allen die Ansichten und Erkenntnisse derjenigen, die etwas empfehlen. Eigenschaften von Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzung werden häufig überhöht und sollen viel mehr als einfach nur satt machen. Die Verbraucher stehen immer wieder ratlos davor und wissen nicht, ob sie die vermeintlich gut belegten Erkenntnisse glauben können oder nicht. Niemand kann in jedem Bereich ein Experte sein.

Mit Wissenschaft gegen verbreitete Irrmeinungen

Dr. Malte Rubach ist Ernährungswissenschaftler und publiziert seit mehreren Jahren Ratgeber zum Themenbereich „Ernährung“ im weitesten Sinne. Das geht von medizinischen Aspekten, über die Zubereitung von Nahrungsmitteln, die Produktion von Nahrungsmitteln, über Ernährungsweisen und Diäten bis hin zum Handel mit Lebensmitteln.

Auch der Ratgeber „88 Ernährungsmythen“ behandelt all diese Aspekte relativ umfassend und in zehn jeweils eigenen Kapiteln. Der Autor geht davon aus, dass es gegenwärtig unendlich viele, sehr unterschiedliche veröffentlichte Ansichten zum Thema Ernährung gibt, die sich zum Teil stark widersprechen.

Es gibt Empfehlungen diverser Expertengruppen, wie der Mensch sich nicht nur am besten ernährt, sondern sich dabei auch noch selbst optimieren kann. Es gibt Kochshows, Back-Blogs im Internet und Gesundheitssendungen, ganz zu schweigen von einer Unmenge an Rezeptsammlungen und Sachbüchern zum Thema „Die richtige Ernährung“.

Dr. Malte Rubach verspricht Orientierung im Informationsdschungel und hat sein Buch dazu schlicht und überschaubar aufgebaut. In Zehn Abschnitten, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Ernährung befassen, werden jeweils die verbreitetsten „Ernährungsmythen“ vorgestellt und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft. Dazu geht der Autor wissenschaftlich vor. Das heißt, er rückt dem „Mythos“ mit dem Faktencheck zu Leibe. Jedem „Ernährungsmythos“ ist eine Doppelseite gewidmet.

Soviel vorab: Das Beruhigende an „88 Ernährungsmythen“ ist, dass der Autor der Leserschaft rät, entspannt zu bleiben. Einiges, sogar vieles an Wohlbefinden kann man mittels der Nahrungszufuhr regulieren, aber es gibt keine Wundermittel. Der „gesunde Menschenverstand“ mag einem das schon gesagt haben, bevor man sich von der Werbung zum Kauf hat verleiten lassen. Andererseits, und das ist ebenso wichtig, kann der Körper einiges ab und wenige der Ernährungsmythen richten – kurzfristig ausprobiert – erheblichen, irreparablen Schaden an.

Orientierung in einem unübersichtlichen Bereich

Der Aufbau des Buches ist sehr schematisch und damit übersichtlich. Eigentlich ist es wohl weniger dazu gedacht, in einem Stück gelesen zu werden. Vielmehr kann man oder frau in „88 Ernährungsmythen“ blättern, sich die Kapitel heraussuchen, die einen selbst gerade am brennendsten interessieren und beschäftigen. Dann findet man dazu eine fundierte wissenschaftliche Analyse mit Quellenangaben, die sich oft auch als weiterführende Literatur herausstellen.

Vielleicht sollte an dieser Stelle noch einmal geklärt werden, was Rubach unter Mythos versteht. Im Grunde genommen ist der altgriechische Begriff schlicht mit Geschichte oder Erzählung zu übersetzen. Ein Mythos ist kulturell und religionsgeschichtlich aber mehr als eine Erzählung, es ist eine überhöhte Geschichte, die gewisse Wahrheiten behauptet und wiedergibt. Heutzutage wird der Begriff Mythos oft abwertend verwendet, quasi als einfach behaupteter Gegenpol zum faktisch Beweisbaren. Ein „Ernährungsmythos“ ist in diesem Zusammenhang demnach eine Behauptung, die sich nicht belegen lässt.

Und in der Tat widerlegt Malte Rubach alle 88 Ernährungsmythen, die er in dem Ratgeber zusammengetragen hat. Das ist weitgehend klug und stimmig beschrieben und räumt mit falschen Erwartungen und überhöhten Versprechen auf. Allerdings wird das Aufklärungs-Prinzip auch bald klar.

Was die Kunden wollen und wie gezielt sie einkaufen

Bisweilen jedoch ist der „Mythos“ eigentlich keiner, wie in dem Abschnitt über „Fermentation ist der neueste Trend“. Ein Trend ist kein Mythos und dass eine alte Kulturtechnik wiederentdeckt wird ist eigentlich eine lohnenswerte Angelegenheit. Kommt hier aber schlechter weg, weil der Mythos „Hipnessfaktor“ widerlegt werden muss. Mag ja auch sein, dass der Nährstoffgehalt und die Verträglichkeit nicht für jeden optimal sind. Aber in früheren Zeiten wurde mit Sauerkraut auch Skorbut bekämpft.

Bisweilen sind die Mythen aber auch derart ausformuliert, dass sich der geneigte Leser fragt, wohin der Hase läuft? Etwa wenn die Landwirtschaft im Mythos „ein Landräuber“ sein soll. Da wird dann korrekt argumentiert, dass Bevölkerungswachstum auch bedingt, dass die Anbaufläche erweitert werden muss. Das kann niemand bestreiten. Auch nicht, dass in Deutschland (und andere Teilen der EU) sogar ehemalige Agrarflächen stillgelegt werden, finanziert aus Subventionen zum Naturschutz.

Umfassende Einblicke in alle Aspekte der Ernährung

Allerdings ist die „Landräuber“-Erzählung in anderem Zusammenhang durchaus sinnvoll. Dann nämlich, wenn große multinationale Konzerne in so genannten Entwicklungsländern, Flächen aufkaufen und bewirtschaften, die eigentlich besser zur Ernährung der einheimischen Bevölkerung zur Verfügung stünden. Nachzulesen und zu sehen etwa in „Landraub“ von Kurt Langbein. Eventuell aber ist Rubachs Buch dann auch nicht mehr für jemanden gedacht, der dergestalt herkrumkrittelt.

Der Punkt ist einfach, dass Malte Rubach bei aller Besonnenheit und dem großen Nutzen des Rategebers „88 Ernährungsmythen“ bisweilen selbst etwas über das Ziel hinausschießt. Einige Mythen sind vielleicht etwas zu eindimensional, zu plakativ vorgetragen. Dabei sind die Grundgedanken ebenso bestechend wie notwendig und führen zur Selbstermächtigung der Leserschaft durch Aufklärung. Wer mehr Wissen hat, ist unempfindlicher gegen haltlose Heilsversprechen. Wer sich sicher fühlt, probiert eher etwas aus. Etwa selbst zu kochen. Und auch das leistet „88 Ernährungsmythen“: Es nimmt die Einstiegshürden, sich dem Thema Ernährung zu beschäftigen und auch dem eigenen Empfinden und Geschmack zu vertrauen.

Für alle, die sich mit ihrer Ernährung und den Essgewohnheiten näher beschäftigen möchten, bietet „88 Ernährungsmythen – Was sie über ihr Essen wissen sollten“ eine gute und gut gegliederte Orientierung und grundlegendes Wissen zum Thema Nahrung. „88 Ernährungsmythen“ ist vielleicht weniger ein Buch zum Lesen, als vielmehr ein Nachschlagewert, das Menschen immer wieder zur Hand nehmen können, um sich im Info-Wirrwarr zurecht zu finden, wenn es um so etwas Grundlegendes und Wichtiges geht wie Essen. Abschließend ein Rat vom Autor aus dem ersten Kapitel:“Bleiben sie bei alldem gelassen, denn dafür gibt es keinen Grenzwert!“

88 Ernährungsmythen – Was Sie über Ihr Essen wissen sollten
Genre: Sachbuch, Ratgeber, Ernährung
Autor: Dr. Malte Rubach
ISBN: 978-3-426-65905-2
Verlag: Droemer Knaur, GEbunden, 240 Seiten
VÖ: 04.10.2022

88 Ernährungsmythen bei Droemer Knaur
Malte Rubach Homepage (mit Leseprobe)