Seit 2014 hatte der japanische Comic-Künstler Jiro Taniguchi nichts mehr veröffentlicht. Und während bei Schreiber & Leser mit dem ersten von zwei Bänden der „Ice Age Chronicle of The Earth“, ein weiteres frühes Werk des Mangaka erstmals auf Deutsch erscheint, verstarb Taniguchi vor einigen Wochen im Alter von 69 Jahren. Was bleibt, ist ein umfangreiches und vielschichtiges Gesamtwerk, das die Comicwelt definitiv bereichert hat. Und manchmal, wie im Fall von „Ice Age Chronicle of The Earth“, ein überbordendes grafisches Erzählen.
In unserem, westlichen Kulturkreis ist Jiro Taniguchi vor allem für seine ruhigeren, erwachseneren Stories bekannt und beliebt. Das ist nicht weiter verwunderlich, da er maßgeblich von francobelgischen Comics und Jean Giraud alias Moebius im Besonderen beeinflusst wurde und folgerichtig als westlichster alle japanischen Comiczeichner durchgeht. Und dennoch ist das Schaffen Taniguchis tief in der japanischen Comic-Tradition verhaftet. Was sich gerade in den frühen Phasen der Karriere immer wieder darin äußert, dass Taniguchis Werke eindeutigen Genres zuzuordnen sind, so etwa die gleichfalls bei Schreiber &Leser verlegte Crime Noir-Serie „Trouble is my Business“ oder auch der Sci-Fi-Novel „ Ikarus“ nach einem Szenario von Moebius.
Die „Ice Age Chronicle of The Earth“ datiert als Serie aus dem Jahr 1988, erschien also noch früher als “Ikarus”, und beschreibt ein dystopisches, futuristisches Szenario mit eindeutigen Umweltthemen wie dem Klimawandel. Dabei kommt aber auch die Abenteuergeschichte von Takeru, eines jungen Helden wider Willen, nicht zu kurz und sorgt für jede Menge Bergsteigeraction.
Die Story ist wie so häufig bei Manga-Serien schnell auf den Punkt gebracht: Auf einen Kontinent aus ewigem Eis werden Bodenschätze abgebaut. Die Mine Tarpa in der Eiswüste Nunatak ist allerdings schon fast zur Gänze ausgebeutet. Auch Takeru gehört zur Mannschaft. Als Sohn vom Chef soll er hier den harten Arbeitalltag kennenlernen. Dann kommt es zu einer Explosion in einem der Minenschächte und Takeru wird überraschend zum Boss. Während sich der junge Mann nur widerwillig der Verantwortung stellt, brechen unerwartet die Winterstürme ein und macht es unmöglich von dem unterirdischen Stützpunkt wegzukommen. Einige versuchen es doch, scheitern und müssen nun in einer halsbrecherischen Bergungsaktion vor dem Erfrieren gerettet werden. Außerdem reichen die Vorräte auf der Basisstation nicht mehr für den einsetzenden Winter. Takeru muss etwas unternehmen, um die Belegschaft zu retten.
Mangaka Taniguchi nimmt sich Zeit, seine Story zu entwickeln und die ersten der neun Kapitel des ersten Bandes der „Ice Age Chronicle of The Earth“ sind vor allem dazu angetan, das Setting zu etablieren. Einerseits die harsche und unwirtliche Landschaft, andererseits den unterirdischen, von Technik und Maschinen geprägten Arbeitsalltag. Die Panels und Sequenzen sind in ihren Grauschattierungen voller Details und von erstaunlicher Dynamik, auf die Zeichner Taniguchi eindeutig den meisten Aufwand legt. Das geht in dem einen oder anderen Panel auch schon mal zu Lasten der Übersichtlichkeit und der der Perspektive, aber sobald man sich erst einmal eingelesen hat (Manga-üblich von „hinten nach vorne“ versteht sich), kommt dem Zeichnungen der Eiswüste eine intensive Atmosphäre zu. Das Setting zeigt auch schon Parallelen zur Abgeschiedenheit und Unwirtlichkeit des Weltalls, gemahnt oft an die Raumfahrt oder auch an den „Eis-Horror“ von „Das Ding aus einer anderen Welt“.
Erst ganz allmählich richtet sich der Fokus auf Takeru, der sich vom renitenten Außenseiter zu einer Führungsfigur mausern muss. Und wie das in so mancher Fantasy- und Sci-Fi-Story gibt es auch eine uralte Prophezeiung, die von der Wiederkunft eines Auserwählten kündet und von alten, längst verschwundenen Göttern berichtet. Dazu wir parallel zu der Leidensgeschichte der Tarpa-Belegschaft die Geschichte eines einheimischen Jägers erzählt, dessen Volk schon immer im ewigen Eis gelebt hat. Irgendwann kreuzen sich auch die Wege des Jägers und des Auserwählten und als Leser darf man gespannt sein, wie die Odysse der beiden im finalen zweiten Band weitergehen wird, die Fortsetzung soll im Sommer 2017 bei Schreiber & Leser erscheinen.
Die „Ice Age Chronilce of The Earth“ ist sicher kein unabdingbarer Meilenstein im Sci-Fi-Manga oder auch im Gesamtwerk von Jiro Taniguchi, aber eine feine, epische Sci-Fi-Story, die auch heute noch ihren eisigen Charme ausstrahlt und einem Eisblumen auf die Lesebrille zaubert.
Comic-Wertung: (7 / 10)
Ice Age Chronicle of the Earth Volume 1– Nunatak, die Eisinsel
Genre: Graphic Novel, Sci-Fi,
Autor & Zeichner: Jiro Taniguchi
Übersetzung: Marcel Le Comte
ISBN: 978-3-946337-05-8
Verlag: Schreiber & Leser, broschiert, 276 Seiten
VÖ: 07.02.2017