Buy Buy St.Pauli: Der Kampf um die Stadt ist nie zu Ende

Mittlerweile sind die so genannten Esso-Häuser im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli Geschichte. Der Investor hat die baufälligen Gebäude inzwischen abreißen lassen und die Mieter sind anderweitig untergebracht. Die Debatte über die Immobilie hat aber bundesweite Aufmerksamkeit erreicht. Was bleibt also von dem Protest der Bewohner? Beispielsweise die Doku „Buy Buy St. Pauli“ die jüngst auf DVD erscheinen ist. Der Film hat den Protest der Mieter und Anwohner über Jahre hinweg begleitet und damit auch dokumentiert wie sich die Befindlichkeiten im Lebensraum Stadt verändern.

Die Esso-Tankstelle auf der Hamburger Amüsiermeile Reeperbahn war wohl eine der bekanntesten der Republik. Der zugehörige Plattenbaukomplex aus den 1960er Jahren, eigentlich denkmalgeschützt, war ein markantes Bauwerk im Stadtteil. In gewisser Weise ein Kiezwahrzeichen: Nicht unbedingt schön, aber markant. 2009 hat der ehemalige Besitzer das Grundstück mitsamt Bebauung äußerst gewinnbringend und mit erheblichem Sanierungsstau an einen neuen Investor verkauft. Der machte auch keinen Hehl aus seiner Absicht, die Esso-Hauser abzureißen und dort eine neue rentablere Immobilie hinzusetzen. „Gentrifizierung“ ist das – zugegebenermaßen überstrapazierte – Stichwort.

Es gibt in Hamburg zwar einen gewissen Bestands- und Milieuschutz, aber die Mieter fürchteten dennoch, einfach verdrängt zu werden. Daraufhin bildete sich eine Bürgerinitiative zum Erhalt der Esso-Hauser und zur Vertretung der Mieterinteressen. Die Initiative macht nicht nur mit künstlerischen Aktionen auf das Anliegen aufmerksam, sondern sorgt auch aktiv für eine veränderte Dynamik in die Planung für das Gelände.

Die Langzeitdoku „Buy Buy St. Pauli“ begleitet das Geschehen um die Esso-Häuser mehrere Jahre lang und macht dabei keinen Hehl aus seinen Sympathien für diejenigen, die hier leben: Die Rentner, Migranten, Studenten und Künstler, die sich kämpferisch und kreativ gegen den einschneidenden Eingriff in die Stadtteilstruktur und –kultur wenden. Man besucht sogar eine französische Architektin, um sich zu informieren wie es bei einem ähnlichen Bauwerk in Paris gelungen ist, das Gebäude zu erhalten. Am Ende nützt aller Dialog nichts, das Gebäude wird in einer Eilaktion aufgrund akuter Einsturzgefahr evakuiert. Kurz darauf müssen die Mieter das Gebäude ganz räumen, nachdem man schon mehrere Monate hinter Baugerüsten gelebt und gewohnt hat.

Da schließt sich die Frage an, was der Protest, die Einmischung denn nun gebracht hat? Eine Neubebauung und „Aufwertung“ des Grundstücks und Quartiers ließ sich zwar nicht abwenden, aber die Mieter haben ihre Position verbessert, waren den Interessen des Investors nicht hilflos ausgeliefert, sondern wurden beim zwangsweisen Umzug unterstützt und haben das Recht, wieder in den Neubau einzuziehen, sofern sie denn wollen. Die Doku zeigt auch, wo einige der Esso-Bewohner abgeblieben sind und längst nicht alle wollen sich noch einmal einen Umzug zurück zumuten.

Die Doku „Buy Buy St Pauli“ von Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg bleibt ihrem Motto treu, das schon die 2009 entstandene Doku „Empire St. Pauli“ auszeichnete: „Einfach dokumentieren, was hier tagtäglich passiert und denen, die hier wohnen, eine Stimme geben“. Das geschieht mit überschaubaren Finanzmitteln und viel Kreativität: die Animationen beispielsweise wirken mit ihrem selbstgebastelten Charme authentisch und informativ. Und der Film nähert sich den Beteiligten, auch der „Gegenseite“, dem Vertreter der Investoren und dem Vertreter der städtischen Baubehörde, respektvoll.

„Buy Buy St. Pauli“ fügt sich in eine Reihe von Urbanisierungs-Dokus ein, die in den letzten Jahren immer wieder exemplarisch den Gentrifizierungsprozess in ihrer Stadt dokumentiert haben, sei es Dortmund, wo „Göttliche Lage“ (2014) die Neuanlage eines ganzen Stadtteils beobachtet, sei es „Wem gehört die Stadt –Bürger in Bewegung“ über die Neubebauung des Kölner Helios-Geländes, oder auch die ebenfalls „Wem gehört die Stadt“ betitelte TV-Doku von Christian Kähler und zuletzt auch „Boomtown St. Georg“ (2015) über die sozialökonomische Verschiebung im Hamburger Stadtteil Sankt Georg. In gewisser Hinsicht kann man auch die dänische Doku „The Human Scale“(2012) dazuzählen, die weltweit Beispiele für menschengerechtere Städte aufzeigt, wie sie der dänische Architekt und Professors Jan Gehl fordert.

All diesen Filmen ist nicht nur das Festhalten des Wandels mit dem Medium Film gemein, sondern auch der Impetus der Einmischung, eines zivilcouragierten Eintretens zugunsten einer lebenswerten Stadt, was auch immer das im Einzelnen bedeutet. Ein Eintreten gegen eine Stadtplanung, die an den Interessen derjenigen, die in der Stadt leben, vorbei geht und selbstredend auch und vor allem ein Widerstand gegen finanzkapitalistische Zerstörung dessen, was das urbane Leben ausmacht. Gleichwohl, und das zeigt „Buy Buy St. Pauli“ höchst anschaulich und fast nebenbei, ist moderne Stadtplanung eine schwierige Gemengelange und die Besitzverhältnisse von Grundstücken und Immobilien limitieren diesen Prozess.

Die Doku „Buy Buy St. Pauli – Der Kampf um die Esso-Hauser“ dokumentiert ein wichtiges Stück städtischen Wandels in Hamburg. Ein wichtiges Thema auch über die Stadtgrenze hinaus, ein gelungener und unterhaltsamer Film.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Buy Buy St. Pauli
Genre: Dokumentarfilm, Städtebau,
Länge: 90 Minuten, D, 2014
Regie: Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg
Mitwirkende: Bewohner der Esso-Häuser,
FSK: ab 0 Jahren
Vertrieb: Eigenvertrieb, Brown Sugar Films, Indigo
Kinostart: November 2014
DVD-VÖ: 17.07.2015

Mehr Infos:

Initiative Esso-Hochhäuser

Homepage Buy Buy St. Pauli

GWA St. Pauli