Red Army – Legenden auf dem Eis: Keine Gnade für den Klassenfeind

Wjatscheslaw Fetissow ist heute russischer Politiker und Sportfunktionär, doch in dem sehenswerten Dokumentarfilm „Red Army – Legenden auf dem Eis“ ist „Slawa“ vor allem als einer der besten Eishockeyspieler aller Zeiten gefragt. Filmmacher Gabe Polsky schafft es anhand des legendären russischen Eishockeyteams, das den Sport über Jahrzehnte so dramatisch dominierte, eine spannende Geschichte über den Kalten Krieg zu erzählen. Wundert mich eigentlich, dass es dafür keine Oscar-Nominierung gab.

Immerhin sind die Amerikaner ja recht sportbegeistert und erstaunen den Rest der Filmwelt in regelmäßigen Abständen mit dramatisierten Sportgeschichten; so wie etwa Disneys „Miracle – Das Wunder von Lake Placid“ (2004). Kenner und Eishockeyfans werden das erinnern. Vielleicht liegt es an dem warnenden Eingangsstatement von Ex-US-Präsident Ronald Reagan, dass die kommunistische Bedrohung noch nicht vorbei sei…

In den 1970er Jahre machte sich das sowjetische Eishockey in Gestalt des Armee-Club ZSKA Moskau auf, um der Sportwelt zu demonstrieren, was eine Harke oder besser ein Ballett um den Puck ist. Der Club rekrutierte die besten Spieler der Sowjetunion schlicht durch Einberufung zum Wehrdienst und so war auch die sowjetische Nationalmannschaft mehr oder minder personalgleich dem Club.

In den 1970er Jahren hatte der russische Trainer Anatoli Tarassow, der als Wegbereiter des modernen Eishockey in Russland gilt und von 1947 bis 1974 ZSKA Trainer war, endlich auch eine derart großartige Mannschaft zusammen, dass der Fünferblock Slawa Fetissow, Sergej Makarow, Wladimir Krutow, Igor Larionow, Alexej Kassatonow vor Torhüter Wladislaw Tretiak als schier unbesiegbar galt. Noch heute ist die Formation unter Eishockeyfans legendär und gilt als eine der besten in der Geschichte des Sports.

An dieser Stelle verkürzt Gabe Polsky ein bisschen. Wenn er seinen erzählerischen Schwerpunkt auf die Karriere von Slawa Fetissow legt, unterschlägt der Film, dass die Sowjetunion schon seit den frühen 1960ern eine Eishockeymacht war und den Sport nicht erst nach dem zweiten Weltkrieg erlernt hat sondern es in Russland schon lange das Bandy-Spiel gibt, das als Vorläufer des modernen Eishockeys gilt. Sicher nicht zu unterschätzen für die Entwicklung des Sports allerdings ist der Einfluss von Trainer Tarassow, der eine völlig andere und intelligentere Spielauffassung des Mannschaftssportes vermittelte. Das hat sich inzwischen auf fast alle Mannschaftssportarten ausgeweitet.

Im Grunde lässt sich die Rivalität auf dem Eis auf diesen Systemunterschied zurückführen. Regelmäßig waren die US-Teams und die Kanadier damit überfordert, wie die Russen das Spiel interpretierten. Auch nachdem Tarassow in Ungnade gefallen war und durch den despotischen Trainer und Liebling des Politbüros Wiktor Tichonow ersetzt wurde, der seine Spieler elf Monate im Jahr kasernierte, bis zum Umfallen trainieren ließ und seine menschlichen Defizite mit Befehlsgewalt substituierte. Fetissow lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass Tichonows Erfolge auf die Vorarbeit zurückgehen.

ber der sporthistorische Aspekt der Doku „Red Army“ ist nur eine Ebene, auf der der Film eine Geschichte erzählt. Denn was sich auf dem Eis als Stellvertreterkrieg der politischen Systeme manifestierte, spiegelt auch die jeweilige politische Großwetterlage wieder. Kalter Krieg und ein Wettrüsten von Kommunismus und Kapitalismus auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Das wird an der Karriere Slawa Fetissows deutlich, dem man versprach, er könne in die NHL wechseln, auch weil das sowjetische System Devisen brauchte, ihn dann aber immer wieder hinhielt, bis sich Fetissow weigerte, weiter für die Nationalmannschaft, ZSKA Moskau und für Tichonow zu spielen.

Nach gravierenden Startschwierigkeiten in der neuen Welt des nordamerikanischen Profieishockey erlebten die legendären russischen Spieler dann in der NHL eine Art zweiten Frühling als es Trainer-Legende Scotty Bowman gelang, für die Detroit Red Wings einen komplett russischen Fünferblock aufs Eis zu schicken. Das führte 1997 zum Gewinn des Stanley Cups.

Beliebt waren die russischen Profis in der NHL allerdings nur wegen ihres Erfolgs und als Slawa Fetissow nach Beendigung seiner Karriere in die Heimat zurückgeht, findet er ein komplett verwandeltes Land vor. Der Kommunismus in der Sowjetunion hatte sich mit Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika überlebt. Auch davon erzählt „Red Army – Legenden auf dem Eis“ anhand der Karriere des großen Eishockey-Verteidigers Slawa Fetissow.

Gabe Polsky setzt auf eine typische, aber extrem unterhaltsame und pfiffig und ironisch montierte Mischung als Talking Heads, seltenen Archivbildern und politischer Propaganda, die aus der historischen Rückschau immer wieder unfreiwillig komisch wirkt. Angereichert wird die Blu-ray mit diversen Interviews, allen voran einem etwa einstündigen Gespräch mit Scott Bowman, diversen Auftritten auf Filmfestivals und mit einer Reihe sowjetischer Propagandaplakate.

„Red Army – Legenden auf dem Eis“ ist nicht nur für Sportfans ein Gewinn sondern eine höchst unterhaltsame Doku über die Zeit, als Gut und Böse noch klar definiert waren und sich an Länder- bzw. Block-Grenzen hielten.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Red Army – Legenden auf dem Eis
Genre: Dokumentarfilm, Sport, Zeitgeschichte
Länge: 86 Minuten, USA 2014
Regie & Idee: Gabe Polsky
Mitwirkende: Slawa Fetissow, Sergej Makarow, Wladimir Krutow, Igor Larionow, Alexej Kassatonow
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Vertreib: Weltkino, Universum
Kinostart: 29.01.2015
DVD-& BD-Start: 26.06.2015