Die Stilllegung der Phoenixwerke im Dortmunder Stadtteil Hörde stellte die gesamte Stadt zu Beginn des Jahrtausends vor eine Mammutaufgabe. Nicht nur, dass der Wegfall der Schwerindustrie für viele Arbeitslose sorgte, auch das riesige Areal der Stahlwerke lag brach und musste umgewidmet werden. Auf dem Gelände ist quasi ein ganz neuer Stadtteil entstanden. Die Langzeitdoku „Göttliche Lage“ hat diesen Prozess begleitet und in ein ebenso unterhaltsames wie informatives Format gebracht.
Das gesamte Areal der ehemaligen Phoenix-Werke ist beinahe 100 Hektar groß und so hat die Stadt Dortmund extra eine Tochtergesellschaft gegründet, die das Gelände erschließen soll. Die Phoenix-See Entwicklungsgesellschaft plant hier ein komplett neues Quartier, dessen Zentrum der Phoenix-See werden soll. Eine enorme Aufgabe, die von den Planern die Einbeziehung unterschiedlichster Aspekte und Befindlichkeiten erfordert. Allein die Wasserfläche ist größer als die Hamburger Binnenalter und für die Bebauung und Nutzung wurden unterschiedlichste Formen und Bauabschnitte geplant. Doch zunächst gilt es, die Grundlagen dafür zu schaffen: das Areal zu planieren und sanieren, den See selbst zu fluten und ein projektbegleitendes Marketing- und Vermarktungskonzept zu entwickeln.
Dazu muss man wissen, dass das Gelände im Stadtteil Hörde liegt, einem eher finanzschwachen Arbeiterstadtteil, der nicht gerade hohes Ansehen genießt. Ein Anwohner, dessen Familie seit Generationen in Hörde lebt, bezeichnet den Stadtteil als Dortmunder „Bronx“. Das riesige Bebauungsprojekt direkt in der Nachbarschaft birgt so auch die Gefahr einer Gentrifizierung, also einer Verdrängung der traditionellen Arbeiterschicht des Stadtteils durch finanzkräftigere Zuzüge. Einige der Hörder sehen das mit Sorge. Die Stadtentwickler allerdings versuchen eine Gratwanderung zwischen einer schonenden Stadtentwicklung und einen attraktiven Standort für Investoren und Häuslebauer. 2010 wird der Phoenixsee dann mit einigen Jahren Verspätung geflutet. Fast zwei Jahre später wird das Seeufer endlich für die Öffentlichkeit freigegeben und die Bebauung hat auch begonnen.
Das Schöne an der Doku „Göttliche Lage“ ist, dass sie ohne Kommentare auskommt und die Menschen für sich selbst sprechen lässt. Andererseits fällt gerade zu Beginn die zeitliche und räumliche Orientierung etwas schwer, denn die Daten und die Protagonisten werden nicht mittels Untertitel eingeführt. Man muss als Zuschauer selbst herausfinden, in welcher Situation man sich gerade befindet. Aber gerade so entsteht ein durchaus mit Humor ausgestattetes Panoptikum unterschiedlicher Befindlichkeiten rund um das riesige städtebauliche Projekt.
Die Kioskbetreiberin aus Hörde kommt ebenso zu Wort wie der Vorsitzende des Museumsvereins, dem es daran gelegen ist, die Thomas-Birne weiterhin einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und diesen genieteten Konverter nicht wie ein Stadtplaner anfangs vorschlug im See zu versenken. Die Doku ist in Ausschüssen und bei strategischen Marketingmeetings ebenso dabei, wie bei den Informationsveranstaltungen oder an der Seite der Hörder Polizeibeamten, die nach Flutung des Sees noch zusätzlich die Aufgabe erhalten, die Nutzung des Uferbereichs zu kontrollieren. Allerdings wird die gesamte politische Ebene (bewusst) nicht dargestellt. Die Doku setzt erst nach den grundsätzlichen Entwicklungsentscheidungen ein. Man trifft auf neugierige Bauzaungäste und alteingesessene Anwohner. Auch das enorme Bauvorhaben selbst wird in gewisser Weise gespiegelt: Neben die Neubaupläne einiger Bauherren auf dem Phoenixsee-Gelände werden auch die Umbauarbeiten an einem benachbarten Mehrfamilienhaus in Hörde gestellt, das der Besitzer in Eigenleistung gerne nach Hundertwasser-Vorbild umgestalten möchte.
Die Filmmacher Ulrike Franke und Michael Loeken verstehen „Göttliche Lage“, betitelt nach dem Zitat eines Bauinteressierten am Phoenixsee, als Abschluss ihrer dokumentarischen Ruhrgebiets-Trilogie. Und der Film hat durchaus Unterhaltungswert, auch wenn das Thema Stadtentwicklung und Strukturwandel zunächst extrem dröge und bürokratisch klingen mag. Das Thema hat zwar eindeutigen regionalen Schwerpunkt, besitzt aber eine universelle Relevanz. Auch andere Städte müssen mit dem Strukturwandel umgehen und enorme Areale umgestalten. Vielfach ist dieser Prozess freilich schon länger im Gang oder gar abgeschlossen.
Es sind einerseits die Kleinigkeiten die die Beobachtungsqualität von „Göttliche Lage“ ausmachen, wie etwa der Planungsausschuss Seebetrieb, der sich mit Entengelegen auseinandersetzen muss (wobei die Anzahl der Enten auf dem See geringer ist als die der Leute im Ausschuss) oder auch die regelmäßigen Gänge mit dem Polizeibeamten durch Hörde. Andererseits verliert die Doku nie das große Ganze aus dem Auge und gibt einige Diskussionen und die Gesamtentwicklung des Geländes trefflich wieder.
Mit ihrer Langzeitdoku „Göttliche Lage“ haben die Filmmacher Ulrike Franke und Michael Loeken die Entwicklung des Dortmunder Phoenixsee-Geländes auf höchst unterhaltsame Weise eingefangen. Der Film ist das wunderbare Beispiel einer trefflichen und sehr anschaulichen Darstellung eines so komplexen Vorgangs wie Stadtplanung.
Film-Wertung: (8 / 10)
Göttliche Lage
Genre: Dokumentarfilm, Stadtentwicklung,
Länge: 99 Minuten, D, 2014
Regie: Ulrike Franke, Michael Loeken
Vertrieb: Real Fiction
Kinostart: 21.08.2014
Offizielle Film-Homepage (mit Kinofinder)
Homepage der Phoenixsee-Entwicklungsgesellschaft
Wikipedia-Eintrag Phoenixsee