In seiner argentinischen Heimat zählt der 1948 geborenen Schriftsteller Guillermo Saccomanno zu den renommiertesten Autoren der Gegenwart. Hierzulande war bislang keines seiner Werke erschienen. Jetzt zieht der namenlose „Angestellte“ die Leser mit sich – in einen Sog aus Obsession und dystopischer Paranoia und die Abgründe einer verkommenen Gesellschaft.
Die nächtlichen Überstunden im verlassenen Großraumbüro sind für den namenlosen Angestellten ebenso Arbeitsnotwendigkeit wie Fluchtmöglichkeit. Hier, im Dunkel der verlassenen Schreibtische gibt er sich seinem Verfolgungswahn hin, dass Kollegen auf seinen Job schielen, und lässt seinen Mordphantasien an seiner aufgedunsenen, gewalttätigen Frau und seiner missratenen Brut freien Lauf. Als er die unerwartet auftauchende Chef-Sekretärin zu so später Stunde versehentlich mit einem Brieföffner bedroht, kommen sich die beiden Kollegen schnell näher. Er bringt sie durch die gewaltbereite und heruntergekommene Nacht in Buenos Aires nach Hause und wird mit Sex entlohnt. Daraus entwickelt sich eine obsessive Affäre, während die Sekretärin gleichzeitig auch mit dem Chef verbandelt ist. Gestresst von dem Dreiecksverhältnis, wird der Angestellte auch noch von seiner dominanten Frau gepeinigt und fühlt sich von einem Tagebuch schreibenden Kollegen verfolgt.
Mit klaren, knappen Worten und prägnanten Sätzen umreißt Guillermo Saccomanno in seinem jüngsten, 2010 in Argentinien erschienenen und ausgezeichneten Roman eine düstere und verzweifelte Existenz in einer heruntergekommenen Stadt in naher Zukunft. Banden und Drogensüchtige regieren die Straßen, Polizeihelikopter patrouillieren erfolglos den Fledermaus verseuchten Luftraum, Kinder prügeln sich in Wettkämpfen fast zu Tode. Durch diese Straßen huscht der Angestellte von seiner vermüllten Wohnung zu seiner öden Arbeit und die Abenteuer verheißende Absteige der Sekretärin. Beinahe atemlos nimmt die Fantasterei des Angestellten Fahrt auf und entfesselt einen finsteren Sog in den persönlichen Abgrund.
Die erste Hälfte des Romans umreißt kompakt und intensiv einen Zeitraum von 24 Stunden, in dem sich das Leben des Angestellten scheinbar grundlegend verändert. Hier werden die Themen angerissen, die fast schon klassische und auch klischeehafte Büroaffäre beginnt und das Denken des Angestellten wird entfaltet. In der zweiten Buchhälfte nimmt das Verhängnis seinen Lauf und zeigt die psychischen Verfallsstadien eines verzweifelten Gefangenen. Gefangen in Trott, alltäglicher Tretmühle, Abhängigkeit und Schmutz. Sein Wille und seine Kraft zum Aufbruch, zum Ausbruch speist sich aus der so verhassten Abhängigkeit und Ohnmacht.
Ein wenig kafkaesk mutet das Büroszenario an, erinnert auch anfangs an Saramagos vereinsamten Archivar in „Alle Namen“, doch Saccomanno entfaltet eine libidonöse Abwärtsbewegung, die an eine McCarthy-hafte Finsternis anknüpft. Das hat nichts mehr mit Verlorenheit und Geworfenheit des Individuums zu tun, sondern es treibt den Angestellten mit beinahe selbstzerstörerischem Nihilismus voran – und hinab. „Der Angestellte“ entwickelt einen vollkommen anders gearteten Nihilismus, als seinerzeit Melvilles „Bartleby“, der sich mit dem Worten „Ich möchte lieber nicht.“ ganz auf seine mechanische Aufgabe versteifte. Der Angestellte will, aber er kann nicht und schlittert so in eine Obsession, die näher an Chuck Palahniuk (Fight Club) ist als an MCarthy, und ähnlich explizit.
Fazit: Die kurze und intensive Begegnung mit dem Angestellten zeigt ein düsteres Gesellschaftsbild, das formal und stilistisch ebenso virtuos wie klinisch Befindlichkeiten seziert. Ein Blick in menschliche Abgründe und eine starke literarische Stimme.
Roman-Wertung: (7 / 10)
Guillermo Saccomanno: Der Angestellte
OT: El oficinista, 2010
Autor: Guillermo Saccomanno
Übersetzung: Svenja Becker
ISBN: 978-3-462-04598-7
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, gebunden, 192 Seiten
VÖ: 08.03.2014