Im Grunde scheint die Literaturverfilmung „Waiting for the Barbarians“ alles zu haben, was episches Kino braucht. Stars, Schauwerte, zeitloses Thema und Könner hinter der Kamera. Der Kinostart mit Johnny Depp, Robert Pattinson und Mark Rylance scheint zumindest hierzulande nicht nur der Covid-19-Pandemie zum Opfer gefallen zu sein. Selten kommt die Verfilmung von J.M. Coetzees Roman trotz ordentlicher Schauwerte auch auf Betriebstemperatur. Nun bringt Constantin „Waiting for the Barbarians“ auf DVD und Blu-ray als Home-Entertainment Premiere heraus.
In Friedenszeiten führt der Mensch an den Rändern jedes Reiches ein beschauliches Leben. Von dem politischen Wirren ist in der Abgeschiedenheit der Provinz ebenso wenig zu merken wie von den Moden und Gesellschaftlichen Ereignissen am zentralen Sitz der Macht. Deutlich anders verhält es sich, wenn das Reich bedroht wird. Wenn Grenzen bewacht und Feinde abgewehrt werden müssen.
Der Magistrat (Mark Rylance) des befestigten Außenpostens eines nicht näher charakterisierten Reiches ist ein kultivierter Mann. Er hat sich mit den kargen Umständen des provinziellen Lebens arrangiert, studiert die Sprache und die Kultur der eingeborenen, die jenseits der Reichsgrenze leben. Die so genannten Barbaren leben halbwegs nomadisch und es gibt wenig Berührungspunkte und vor allem keinen Ärger mit dem reich.
Dann bringt eine eskortierte Kutsche hohen Besuch. Der Oberst Joll (Johnny Depp) informiert die Grenzposten, dass die Barbaren angreifen wollen. Der Magistrat, von der friedfertigen Natur der indigenen Bevölkerung überzeugt, führt die Befehle aus. Der Oberst verhört gefangene Barbaren mit brutaler Folter, um so Einzelheiten des bevorstehenden Angriffs zu erfahren.
Anschließend führt er eine bewaffnete Strafexpedition aus. Nach seiner Rückkehr mit etlichen Kriegsgefangenen geht Joll hart mit dem Magistrat ins Gericht, dem er mangelnde Loyalität und Schlendrian vorwirft, weil der die barbarische Gefahr verharmlose.
Als der Oberst in die Hauptstadt aufbricht, um Bericht zu erstatten, lässt der Magistrat die Gefangenen frei und bringt eine besonders misshandelte Frau zu ihrem Stamm zurück. Bei seiner Rückkehr findet er den Offizier Mandel (Robert Pattinson) als Befehlshaber der Grenzstadt vor. Jolls Lakei fackelt nicht lange und inhaftiert den Landesverrräter.
Der gleichnamige Roman „Waiting for the Barbarians“ von Nobelpreisträger John Maxwell Coetzee wurde 1980 veröffentlicht und liegt auch in übersetzter Form unter dem naheliegenden Titel „Warten auf die Barbaren“ vor, weshalb sich der Verlieh für die Verfilmung nicht die Mühe macht, den Titel zu übersetzen, bleibt mir unverständlich, bleibt aber auch eine Randnotiz.
Das Thema und auch das Setting haben durchaus Parallelen zu „Lawrence von Arabien“, aber die monumentale Kraft dieses Klassikers erreicht „Waiting for the Barbariens“ zu keiner Zeit. Statt desssen offenbaren sich die bekannten Probleme bei der filmischen Umsetzung abstrakterer Literatur. Egal ob es sich nun um Camus’s „Pest“ oder Saramagos „Stadt der Blinden“ handelt. Eine rühmliche Ausnahme macht „Den Menschen so fern“ nach Camus Kurzgeschichte „“L’hote“ mit Viggo Mortensen und Reda Katep eben weil es ganz konkret und persönlich zugeht. Und wie bei Samuel Becketts Theaterstück „warten auf Godot“ kommen auch die Barbaren niemals zum Angriff; jedenfalls nicht auf diese Grenzstadt.
Der hochgelobte Roman „Warten auf die Barbaren“ bleibt wie auch die Verfilmung, für die Coetzee selbst das Drehbuch verfasste, sehr abstrakt und allgemein. Statt ich erzählendem Magistrat aus dem Off, bleibt die Kamera fast durchgehend bei dieser Figur. Die räumliche und zeitliche Verortung der Handlung geschieht allenfalls ansatzweise, die Figuren bleiben trotz großartiger Darsteller auch immer Stereotypen, mensch gewordene Zivilisationsprinzipien. Gerade diese Aspekte macht es so schwer, sich mit dem Filmgeschehen auf emotionaler Ebene auseinanderzusetzen.
Als Literatur entfaltet solch ein Werk eine ganz andere Wirkmächtigkeit. Wenn der Leser mit dem geschriebenen Wort allein gelassen, seiner Imagination folgen kann, entwickeln sich solche Welten und Gesellschaftsentwürfen deutlich einfacher und auch überzeugender, als auf der Leinwand mit den bildlichen Interpretationen anderer Menschen.
Dabei ist kolumbianische Regisseur Ciro Guerra ein Meister seines Faches, der es versteht tolle Bildwelten entstehen zu lassen. Seine Tagebuch-Verfilmung eines Forschungsreisenden am Amazonas „Der Schamane und die Schlange“ (2015)war ebenso intensiv wie die westernartig inszenierte Drogenschmuggelei von Indios in „Birds of Passage“ (2018) originell und packend war.
Auch „Waiting for The Barbarians“ kann mit epische Wüstenlandschaften aufwarten, die wohl in Marokko gefilmt wurden, aber deren „Barbaren“ ausstaffiert sind wie Mongolen. Da es in Asien ebenfalls Wüsten gibt, ist das zwar plausibel, führt aber nicht zu der eventuell bezweckten Verwirrung der Zuschauer, um eine weitere Ebene der Abstraktion einzubauen.Und implizit haben sich die Filmschaffenden mit den evozierten Klischee und Feinbild der Hunnen vielleicht auch nicht gerade einen Gefallen getan, denn die waren historisch durchaus kämpfend und erobernd unterwegs. Die unsichtbare Bedrohung bekommt folglich eine andere paranoide Konnotation.
Mark Rylance geht in der Rolle des pazifistischen, idealistischen Feingeistes durch aus auf wie auch Robert Pattinson als gefolgsamer Befehlsempfänger und Johnny Depp als gefühlskalter Sadist. Allerdings hat man gerade Depp schon des Öfteren mit unbewegter Miene und hinter abstrusem Gesichts- und/oder Kopfschmuck versteckt agieren sehen. So dass sein immergleicher Gesichtsausdruck auch etwas abgeschmackt daher kommt. Rylance hingegen kommt zwar meditativ vergeistigt sehr überzeugend rüber, aber so gänzlich ohne jede Fähigkeit zur Verwaltung, die bei einem solchen Posten sicher gefragt wäre.
Es stellt sich also bisweilen Ratlosigkeit ein, ob die Verfilmung von „Warten auf die Barbaren“ in seiner Allegorie nicht ein bisschen eindimensional ausgefallen ist, oder ob einem nun gerade etwas entgangen ist. die bildliche verallgemeinernde Darstellung des Prinzips Kolonialismus und Weltmachtstreben hatten sicherlich mehr zu bieten – auch auf persönlicher, exemplarischer Ebene.
Film-Wertung: (5 / 10)
Waiting for the Barbarians
OT: Waiting for The Barbarians
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Länge: 112 Minuten, UK, 2019
Regie: Ciro Guerra
Vorlage: J. M. Coetzee“ Waiting für the Barbarians“
Darsteller: Mark Rhylance, Robert Pattinson, Johnny Depp,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Constantin Film
DVd- & BD-VÖ: 05.11.2020
Warten auf die Barbaren (Roman) bei wikipedia