Gab es vor Bob Dylan eigentlich schon Folkmusik? Sicher, aber irgendwie war ein Sänger und Songwriter damals bis etwa zu Beginn der 1960er Jahre vor allem ein wertkonservativer, gemeinschaftliebender Gutmensch. Zumindest wenn man dem gloriösen Zeitportrait „Inside Llewyn Davis“ Glauben schenken darf. Die Coen-Brüder sind mal wieder auf der Höhe ihrer Kunst und haben eine großartigen, „kleinen“ Film gedreht. Ab heute in den deutschen Kinos.
Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist irgendwie ein Loser. Der Poet und Folksänger schlägt sich so durch, seit ihm die zweite Hälfte seines Duos weggestorben ist. Dusseliger Weise war der Partner derjenige mit dem Charisma und jetzt ist Llewyn vor allem abhängig von der Gunst seiner Freunde, die die Folkszene im New Yorker Greenich Village anfang der Sechziger Jahre ausmachen. Doch Llewyn gelingt es immer wieder, mit seiner parasitären und rotzigen Art anzuecken. Kein Wunder, dass er zu Beginn (und am Ende) des Films gleich was aufs Maul kriegt.
Nu je, Couch Surfing, jede Nacht woanders pennen, ist auch nicht jedermanns Sache und zehrt einen aus. Seine musizierenden Kollegen kann Llewyn allesamt nicht leiden. Und dann rennt ihm auch noch der Kater der Gorfeins, seiner intellektuellen Freunde, durch die Stadt hinterher. Höchste Zeit, dass sich in Llewyns Leben mal etwas ändert. Ach ja, Jean (Carey Mulligan) die Freundin von Jim (Justin Timberke), hat er auch noch geschwängert.
Vordergründig ist „Inside Llewyn Davis“ ein kleineres Werk der Coen-Brüder, vergleichbar mit „A Serious Man“. Also kaum Stars und eher eine Milieustudie. Das ist selten so spektakulär wie die mehrfach Oscar-nominierten und -prämierten „True Grit“ und „No Country For Old Man“. Schlechter ist das anspielungsreiche und wunderbar ausgestattete Musikstück keinesfalls. Es gelingt den Brüdern, die zusammen sowohl Regie als auch Drehbuch übernehmen, ein detailliertes, melancholisches und hochgradig humorvolles Bild der Folkszene in New York zu zeichnen.
In der Figur des Llewyn Davis, der zur Not wieder bei der Handelsmarine anheuern will, wenn die Karriere endgültig floppt, klingt die Beat-Generation der ausklingenden 50er Jahre an, am Filmende betritt der noch unbekannte Robert Allen Zimmerman, besser bekannt unter dem Namen Bob Dylan, die Bühne des Gaslight Poetry Cafes und läutet eine neue Zeit ein. Der kulturelle Zwischenraum hängt ebenso planlos in der Luft der amerikanischen Großstadt wie der leidenschaftliche, aber ebenso untalentierte wie missverstandene Folksänger Llewyn Davis. Sein Road-Trip mit den abgedrehten von Garrett Hedlund und John Goodman dargestellten Reisenden ist da nur eine weitere schräge Episode.
Fazit: „Inside Llewyn Davis“ ist einer der besten (fiktionalen) Musikfilme seit langem und selten wurde der Mief der künstlerischen „Avantgarde“ so hinreißend nihilistisch auseinandergepflückt. Pflichttermin!
Film-Wertung: (8,5 / 10)
„Inside Llewyn Davis“
OT: Inside Llewyn Davis
Genre: Musikfilm, Komödie
Länge: 105 Min., USA 2013
Regie: Joel & Ethan Coen
Darsteller: Oscar Isaacs, Carey Mulligan, Justin Timberlake, John Goodman
FSK: ab 6 Jahre
Vertrieb: Studiocanal
Kinostart: 05.12.2013