Herbert George Wells gehört zu den Pionieren der Science-Fiction Literatur. Mit seinen Romanen „Die Zeitmaschine“ (1895), „Der Unsichtbare“ (1897) und „Krieg der Welten“ (1898) hat der Vielschreiber ein ganzes Genre geprägt, wenn nicht gar erfunden. Die einflussreichen Werke wurden häufig adaptiert und vor allem im Film umgesetzt. Der unsichtbare Wissenschaftler Doktor Griffin etwa wandelte von 1933 bis 1951 über die Leinwand. Mit seiner Graphic Novel „The Nobody“ hat der kanadische Comicautor und -zeichner Jeff Lemire nun eine weitere Adaption des Themas erschaffen, die gleichzeitig dem großen Original treu bleibt und ebenso eine typische Lemire Story geworden ist.
Es beginnt wie ein klassischer Filmwestern: Opening Shot auf ein knarzendes Detail und dann der Schwenk in die Totale, die einen Fremden beim Eintreffen in einer abgelegenen Kleinstadt zeigt. Die Szenerie ist ebenso überschaubar wie die Besetzung. Der Fremde checkt im Motel ein und verkriecht sich, sorgt aber bei den Kleinstadtbewohnern für massenhaften Gesprächsstoff. Davon bekommt auch die sechzehnjährige Vickie, Tochter des Kneipenwirts, etwas mit. In dem komplett bandagierten Neuankömmling sieht sie sich selbst als Außenseiterin gespiegelt und beginnt, sich mit John Griffen anzufreunden. Während Vickie so langsam hinter Griffens tragische Geschichte kommt, verschwindet in der Kleinstadt Loud Mouth eine Frau und Griffens Vergangenheit scheint ihn einzuholen.
Jeff Lemire baut seine Graphic Novel auf wie einen Film und erzählt gleichzeitig die klassische Geschichte des Unsichtbaren nach H.G. Wells in moderner Interpretation und eine typische Geschichte über das Erwachsenwerden. Seine Erzählerin und eigentliche Hauptfigur ist Vickie, die sich von der Enge der abgelegenen Kleinstadt eingezwängt fühlt. Sie ist aufgrund ihres Aufwachsens einsam und auf der Suche nach verwandten Seelen. Die Stimmung in Loud Mouth ist hinterwäldlerisch und stockkonservativ. Da fällt es leicht, einem Fremden die Schuld an allem zu geben, was gerade passiert, erst recht, wenn der noch wie ein Freak auftritt. Und ebenso wie es Lemire schafft die Grundstimmung und die große Sehnsucht einzufangen, gelingt es ihm auch, die ständig wachsende Kleinstadtparanoia aufzubauen, die sich letztlich entladen muss. Dass es dabei noch eine überraschende Wendung gibt, ist das Sahnehäubchen einer mehr als lesenswerten Graphic Novel.
Lemire weiß seine Fähigkeiten als Zeichner und vor allem als Erzähler grandios einzusetzen. Seine scheinbar schlichten schwarz-weiß Zeichnungen, denen noch ein fahles, kaltes Himmelblau zugegeben ist, wirken wie immer eindringlich und auf den Punkt. Das Erzählen ist beinahe cineastisch und wechselt meisterhaft von Szene zu Close Up. Letztlich sind es die Panels, die die Dynamik der Erzählung erzeugen, nicht die Zeichnungen selbst. Das Zusammenspiel all dieser Elemente macht auch „The Nobody“ wieder zu einem Hochgenuss der Comickunst.
Fazit: Mit seiner Hommage an H.G. Wells „Der Unsichtbare“ erweist sich der Shooting-Star der amerikanischen Comic-Szene erneut als Meister seines Faches. „The Nobody“ ist zwar erzählerisch nicht so überbordend wie das brillante Erstlingswerk „Essex County“, aber dennoch ein kleines Meisterwerk. Niemand schafft es derzeit so großartig, Sehnsucht und Melancholie in Bilder zu fassen und gleichzeitig spannende und interessante Geschichten zu erzählen.
Comic-Wertung: (8 / 10)
Jeff Lemire: „The Nobody“
OT: The Nobody, Vertigo, 2009
Autor: Jeff Lemire
Zeichner: Jeff Lemire
Übersetzung: Gerlinde Athoff
ISBN:978-3-86201-464-4
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 148 S.
VÖ: 15.01.2013
Weiterführende Links
The Nobody bei Panini
The Nobody bei Wikipedia
Jeff Lemire bei Wikipedia
Nobody-Leseprobe bei Mycomics
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