Ich stehe weder auf Ballett, auch nicht wenn’s provokativ ist, noch kann ich Krankenhausserien ertragen, weil da so viele Nadeln im Bild hängen. Was mache ich also bei „Over My Dead Body“ auf dem Filmfest Hamburg 2012? Das eindrückliche dokumentarische Krankentagebuch des kanadischen Tänzers & Choreographen David St. Pierre ist Extremkino.
David St. Pierre wurde mit seinen nackten Balletten berühmt und berüchtigt. Künstlerisch kontrovers aber von der Kritik auch hochgelobt, ist Nacktheit dabei nicht als Provokation, sondern als notwendiger künstlerischer Ausdruck zu verstehen; als metaphysische Entblößung.
David St. Pierre leidet an Mukoviszidose und es war absehbar, dass ihm sein Körper den Dienst eines Tages versagt. Widerwillig lässt sich der Choreograph auf die Warteliste für eine Lungentransplantation setzen. Die Künstlerin und Tänzerin Brigitte Poupart, eine enge Freundin des Tänzers, dokumentiert die elende Wartezeit und Leidenszeit bis zur Transplantation. Dabei vermischt der Film Werk und Leben, Kunst und Leiden auf fordernde aber eindringliche Art und Weise.
Ebenso entblößend wie in seiner Kunst geht David St. Pierre auch mit seiner Krankheit um und versucht den lebensbeherrschenden Impuls in einen künstlerischen umzusetzen. „Over My Dead Body“ ist im positiven Sinne distanzlos und direkt und verlangt dem Zuschauer einiges an Leidensfähigkeit ab, vor allem weil die lebensrettende Transplantation auch nicht auf Anhieb klappt. Während dem Künstler die Zeit davonrennt, kommt nun noch die schwindende Hoffnung dazu.
Doch unter dieser Leidensgeschichte verbirgt sich eine große Kraft und eine magnetische Faszination, die sich auch immer wieder Wege sucht, sich kreativ auszudrücken. Die Inszenierung des Künstlers und seines Beatmungsgerätes (auch in der Doku) ist von schockierender Intensität und Energie. Letztlich klappt es doch noch mit der Transplantation, nicht auszudenken wie dieser Film ohne „Happy End“ verlaufen wäre.
Fazit: „Over My Dead Body“ ist mit seinem künstlerischen Ansatz und seiner expressiven und zugleich dokumentarischen Bildsprache ein Hybrid zwischen persönlichem Doku-Tagebuch und Experimentalfilm, der von selten eindringlicher Intimität und Intensität ist und lange nachwirkt.
Film-Wertung: (7 / 10)
„Over my Dead Body“
Genre: Dokumentarfilm, Experimentalfilm,
Länge: 80 Min., Kanada
Regie: Brigitte Poupart
Mitwirkende: David St. Pierre, Brigitte Poupard.
Termine auf dem Filmfest Hamburg 2012: Mittwoch, 3.10. Studio 20:00 & Donnerstag 4.10, B-Movie 22:00