Ned Beauman: Flieg, Hitler, flieg!

Hörbuch: Flieg, Hitler, flieg.In seinem Romandebüt „Flieg, Hitler, flieg!“ schickt der junge Engländer Ned Beauman einen nach Fisch stinkenden Nerd auf die Jagd nach Nazi-Andenken und den Leser in die absurden Gedankengebäude englischer Nazis der 1930er Jahren. Die letzte Ära, in der es noch gesellschaftsfähig war, Faschist zu sein.

Kevin Broom hat ein seltsames Hobby und eine seltene Krankheit: Er sammelt Nazi-Memorabilia und leidet unter einer Stoffwechselkrankheit, die ihn nach altem Fisch riechen lässt. Beides gute Gründe, sich nicht allzu häufig unter Leute zu trauen, und so ist Kevin zumeist in Sammlerforen im Internet unterwegs. Zudem arbeitet er für einen reichen Sammler, der ihm als Lohn eine Goetheausgabe verspricht, die der Führer einst als  Geburtstagsgeschenk für Goebbels ausgesucht und signiert hat.

Trimethylaminurie

Dann schickt sein Arbeitgeber Kevin eines Abends auf die Suche nach einem Privatdetektiv. Der wurde allerdings gerade umgebracht und Kevin ist mittendrin in der Suche nach dem Hitlerkäfer und den Überresten eines jüdischen Boxers; verfolgt von einem ominösen Fremden.

NedBeauman_FliegHitlerFliegIn den Dreißigern versucht sich der reiche Phillip Erskine als Hobbybiologe. Als englischer Nationalsozialist hat er sich der Rassenzüchtung verschrieben: Er arbeitet gerade an Züchtungsexperimenten mit Käfern. Als er dem jüdischen Boxer Seth Roach begegnet ist dieser gerade mal sechzehn.

Der kleinwüchsige, schwule Jude ist als Preisboxer eine Macht im Ring, die sich allenfalls selbst im Weg steht, weil Seth zuviel säuft und auch sonst zum undisziplinierten Exzess neigt. Der Boxer bringt Erskine auf die Idee, seine Experimente auf Menschen zu übertragen. Seth wäre das perfekte Versuchsobjekt, aber der will davon nichts wissen, zudem kann er den verklemmt homosexuellen Erskine nicht ausstehen. Doch in der Not frisst der Teufel Fliegen.

Anophtalamus hitleri

Es ist schon beeindruckend, mit welcher Stilsicherheit und welchem Wissen der 25jährige Ned Beauman seine Story komponiert hat. Ein Pesthauch von Paranoia und Weltverschwörung weht durch die Seiten und das Milieu der britischen Nazi-Bewunderer wäre ausgesprochen lächerlich, wenn man nicht beinahe sicher sein könnte, dass dort wohl wenig dichterische Freiheit eingeflossen ist. Gelegentlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken.

Boxer, BeetleGeschrieben ist „Flieg, Hitler, flieg!“ in einem gefälligen Stil, der Provokationen locker vermittelt und  genügend Spannung aufbaut, ohne dabei in Thriller-Gefilde abzudriften. Der Roman ist Satire: bissig, böse, absurd und ein wenig geschmacklos. Manchmal wird es ein zu dekadent und wirkt plakativ.

Vielleicht ist das Kuriositätenkabinett für die Länge des Romans etwas zu viel. Einiges hätte gerne ausführlicher gekonnt. Doch Beaumans Erstling überzeugt, auch wenn die Zeitebenen und Handlungsstränge ein wenig statisch nebeneinander verlaufen. „Flieg, Hitler, flieg!“ ist ein außerordentliches Debüt.

Die Übersetzung ist gelungen, selbst wenn der deutsche Titel ein wenig reißerisch daherkommt. Wir Deutschen brauchen es ja immer etwas griffiger. Daher auch der aussagekräftige Einband mit Pappnase. Im Original ist Beaumans Roman schlicht „Boxer, Beetle“ betitelt.

Fazit: Kauzigkeiten und Absurditäten stehen bei mir immer hoch im Kurs. Ned Beaumans Debütroman „Flieg, Hitler, fliegt!“ hat davon jede Menge zu bieten und lässt sich geschmeidig lesen. Wer Spaß an schrägen Typen und abgedrehter Handlung hat, ist mit Beaumans Debüt gut beraten. Man sollte sich aber nicht von den Pychon-, Chabon-, Foster Wallace- Vergleichen verleiten lassen: Die sind literarisch (noch) ein anderes Kaliber, außerdem ist Beauman Englander.

Buch-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Ned Beauman: „Flieg, Hitler, flieg“
OT: „Boxer, Beetle“, Übersetzung: Sophie Kreutzfeldt
Dumont Verlag, Köln, 2010, 280 Seiten.
VÖ: 15.04.2010.

Weiterführende Links:

Ned Baumans Homepage

„Flieg Hitler, flieg“ bei Dumont