Nicht gerade einfach, im Berlin der ausgehenden 20er Jahre unbeschadet an Leib und Seele über die Runden zu kommen. Erich Kästners Figur „Fabian“ schlägt sich wacker und doch sind die Umstände bisweilen übermannend, auch in Dominik Grafs aktueller und inspirierender Filmadaption „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“.
Anfang der 1930er Jahre arbeitet der Germanist Jakob Fabian (Tom Shilling) in Berlin als Werbetexter in einer Zigarettenfabrik. Seine Freizeit verbringt der junge Autor mit dem wohlhabenden Busenfreund Stephan Labunde (Albrecht Schuch) in Kneipen, Cafés und Bordellen. Labunde schreibt an seiner Doktorarbeit über Dichter Lessing. Er kehrt ernüchtert von der Verlobten aus Hamburg zurück, die ihn zu betrügen scheint, und stürzt sich erneut ins Nachtleben.
Weil Labunde immer wieder mal verlustig geht, sucht Fabian den Freund beizeiten und trifft dabei auch die männertolle Doktorengattin Irene Moll (Meret Becker) wieder, die den ehemaligen Werbetexter noch immer ganz fesch findet.
Just als sich Fabian in die junge Rechtsreferendarin Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) verliebt, die er in einem Club kennenlernt und die sich als Mieterin derselben Pension herausstellt, verliert er seine Arbeit. Cornelia ist beim Film angestellt, in der Hoffnung als Schauspielerin entdeckt zu werden, und Produzent Makart hat bereits ein Auge auf die junge Schönheit geworfen.
»Ich bin kein Engel, mein Herr. Unsere Zeit ist mit den Engeln böse.
Ein Gang mit der Kamera durch den U-Bahnhof Heidelberger Platz über das Gleis mit moderner Digitalanzeige und die Treppen am anderen Ende wieder hinaus in ein Berlin im Jahr 1931 eröffnet die Welt von Dominik Grafs „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“. Die ersten Minuten des im veralteten 4:3 Format gedrehten Films wirken so wie ein unbedarfter Dorfbewohner die Hektik der Großstadt beim ersten Besuch wahrnehmen muss. Eine Kakophonie unbekannter Geräusche, unterschiedlicher Lautstärken und so viele Eindrücke, so viele Leute, so ein Gewimmel.
Dann aber hat Fabian seine Panikattacke wieder im Griff und geht seinen alltäglichen Verrichtungen nach. Mit der Hauptfigur, den Held zu nennen sich nicht richtig anfühlt, bemächtigt sich auch das Publikum der Orte und Zeiten, der filmischen Gegenwart. Tom Schilling („Oh Boy“, „Werk ohne Autor“) ist eine passgenaue Besetzung für diesem Fabian, der anfangs als Moralist durch die Stadt wandelt, später aber eine realistischere und ernüchterte Sicht auf die Dinge entwickelt, weil er eben einerseits die leichte Arroganz des verkannten Dichters verkörpert, zugleich aber eine Verwundbarkeit zulässt, die sich vor dem Zustand der Gesellschaft fürchtet. Wenn Dominik Graf behauptet er hätte den Film ohne Tom Schilling wohl nicht gedreht, so mag man dem zustimmen.
Leichten Herzens schenken wir ihm, was wir haben.
Dabei ist die Reise des Jakob Fabian nur ein Teil dieses Films und auch des Romans. Der andere ebenso präsente Teil ist ein Großstadtbild. Eine Metropole die vibriert vor Leben und vor Zerfall. Dem dreistündigen Film gelingt die Visualisierung auf unterschiedliche Arten (und ja, wieder darf das malerisch unrenovierte Görlitz als altes Berlin herhalten), wobei Fabian im Film auch durch Babelsberger Außenkulissen wankt wie durch Potemkin‘sche Dörfer.
Graf und sein Kameramann finden alte Dokumentaraufnahmen, zeitgenössische Requisiten, unterschiedliche Bildqualitäten und schnell montierte Kollagen um das urbane Gefühl und das Zeitkolorit originell zu bebildern. Das hebt sich schon ab von der düsteren Strahlkraft des Serienerfolgs „Babylon Berlin“. Vom kolportierten Glanz der goldenen Zwanziger ist nach Wirtschaftskrise und vor dem Erstarken der NSDAP wenig zu sehen.
Und er flucht. Die Geschenke sind ihm lästig.
Erich Kästner, der vor allem als politischer Dichter und Autor von pfiffigen Kinderbüchern zu Ehren gekommen ist, hat 1931 mit „Fabian“ einen avantgardistischen Roman vorgelegt, der durchaus einige Parallelen zu Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1929) hat, vor allem was die Einbeziehung und Schilderung der Urbanität in all ihren Ausprägungen angeht. „Fabian“ erschien mit einigen Kürzungen, würde von den Nazis schnell als entartet angesehen und Kästner war tatsächlich bei der Verbrennung seiner Bücher zugegen. Der Film nimmt auch das stimmig auf, so wie Grafs Bilder gelegentlich durch die Zeiten und in die Gegenwart rutschen. Einiges wirkt als wäre es deutschem Filmschaffen der Siebziger Jahre entsprungen, dann wieder werden eingelassene Stolpersteine vor einen Hauseingang bewusst im Bild eingefangen.
Erst flucht er leise, später flucht er laut.
Ursprünglich sollte der Film wie auch der Roman „Der Gang vor die Hunde“ heißen. Diesen Titel hat die rekonstruierte Urfassung von „Fabian“ gewählt, die Herausgeber Sven Hanuschek 2017 posthum im Atrium Verlag veröffentlichte. Darin sind die einige erotische Szenen wiederaufgenommen und auch das Kapitel mit der Bauchwunde von Fabians Chef, vor allem aber sind sprachliche Verschleifungen im vermeintlichen Sinne Kästners ausgetauscht, die der Autor dem Volk vom Maul abgeschaut haben soll. Für den Film ist das insofern von Belang als dass sich Dominik Graf in seinem Drehbuch auf die Rekonstruktion stützt.
Ebenso wie auch Döblins „Berlin Alexanderplatz“, das Burhan Qurbani 2020 mit (Albrecht Schuch) neu verfilmte hat auch „Fabian“ bereits eine frühere Verfilmung erlebt. Regisseur Wolfgang Gremm inszenierte den Roman 1980 und konnte dafür zwar einen deutschen Filmpreis aber aufgrund der fehlenden atmosphärischen Dichte wenig Kritikerlob einheimsen. Für Grafs „Fabian“ hätte es bisweilen weniger emotionale Dichte sein dürfen, denn im Puls der Metropole braucht es auch Verschnaufpausen.
Stört Sie meine Offenheit?«
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ hat bislang einige Filmpreise und Nominierungen eingeheimst und war auf der Berlinale für den Goldenen Bären nominiert. Auch die herausragenden Hauptdarsteller bekommen immer wieder Anerkennung für ihre Darbietungen. Immer wieder ist es überraschend bisweilen verstörend zu sehen wie mutig die Darsteller:inen in ihre Rollen und in die Szenen eintauchen. Kaum vorstellbar wie sich Dreharbeiten zu solch intensiven Höhen entwickeln.
Vielleich ist es ein Geheimnis von Dominik Grafs Filmen, dass er eine gewisse Art von inszenatorischen Kontrollverlust zulässt, die dann zu einer intensiveren darstellerischen Auseinandersetzung führen mag. Zumindest beschreibt es der Filmmacher im „Making Of“ in ähnlicher Weise und auch die Darsteller äußern sich so, dass ein eigener Workflow vorhanden gewesen sein. Man sieht es und spürt es in jeder Einstellung dieser herausragenden Literaturverfilmung.
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ ist keine leichte Kost. hier wird kein Technicolor-Bild einer brodelnden Metropole gezeichnet, findet keine Überhöhung oder Beschönigung pittoresker Miljös statt, wohl aber eine sinnliche Annäherung an einen Zeitgeist, der uns und der Gegenwart näher scheint als wir annehmen. Da tut es gut sich an dem ethischen Kompass eines Aufrechten durch die Gassen und Hinterhöfe einer bedrohlichen Zeit hangeln zu können. „Fabian oder Der Gang vor die Hunde!“ wagt formal und inhaltlich viel, gerade weil es kaum äußere Handlung gibt. Das Publikum wird von einem Filmmacher auf der Höhe seiner Kunst belohnt mit einem beeindruckend aufspielenden Ensemble und einen herausragenden deutschsprachigen Film.
Film-Wertung: (8 / 10)
Fabian oder Der Gang vor die Hunde
OT: Fabian oder Der Gang vor die Hunde
Genre: Drama,
Länge 176 Minuten, D, 2021
Regie: Dominik Graf
Darsteller:innen: Tom Schilling, Meret Becker, Albrecht Schuch, Saskia Rosendahl
Vorlage: Erich Kästner: „Fabian“ aka „Der Gang vor die Hunde“
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: DCM Film, Leonine
Kinostart: 05.08.2021
EST: 07.01.2022
DVD- & BD-VÖ: 14.01.2022
Copyright der Bilder by Lupa Film & Hanno Lentz