Nicht für die Schule, fürs Leben

MLFS11_02-vorDas Thema Schule war in Hamburg in den vergangenen Jahren emotional extrem aufgeheizt. Auf die angestrebte Schulreform reagierte eine Bürgerinitiative mit einem Volksbegehren für das Elternwahlrecht und den erhalt der vierjährigen Grundschule. Mit all der aktuellen Bildungspolitik hat der Dokumentarfilm „Meine liebe Frau Schildt – Eine Ode an die Grundschule“ nur im aller weitesten Sinne zu tun, denn er begleitet eine Grundschullehrerin und ihre vierte Klasse über einen längeren Zeitraum. Filmmacherin Nathalie David hatte dabei nach eigener Aussage auch eher einen essayistischen Ansatz und der ist  vollauf gelungen.

MEINE_LIEBE_FRAU_SCHILDT5_04Dietlind Schild ist Grundschullehrerin in Hamburg und steht kurz vor der Pensionierung. Zusammen mit ihrer derzeitigen vierten Klasse, der 4 C, wird auch sie die Grundschule an der Rothestraße zum Ende des Schuljahres verlassen. Die Filmmacherin Nathalie David begleitet die Klasse und ihre Lehrerin bei Aufführungen und Ausflügen aber vor allem bei einer Klassenreise auf einen Bauernhof. Bei diesen Gelegenheiten kommen die Schüler, unter ihnen auch Lucie David, ausgiebig zu Wort, reden über die Schule, ihre Lehrerin, Freundschaft und ihre Zukunftswünsche. Daneben buchstabiert Frau Schildt quasi ihr eigenes ABC und hangelt sich so von einem Thema, das mit Schule zu tun hat zum nächsten. Und dann ist da auch noch der redende Teddybär namens Rousseau, der von Wolfgang von Wangenheim gesprochen wird und sich immer wieder mit Zitaten des gleichnamigen französischen Philosophen (1712-1778) zu Wort meldet. Diese Zitate entstammen dem Werk „Émile ou De l‘education“ von 1762 und sind grundsätzliche Betrachtungen über Sinn und Wert von Erziehung. Viele redende Köpfe also in diesem filmischen Essay, der komplett auf Beobachtungen im Unterricht verzichtet.

MLFS13_02Doch gerade darum entwickelt „Meine liebe Frau Schildt“ seinen Reiz; denn wenn sich der Zuschauer die Mühe macht, den Kindern zuzuhören, bekommt er einiges über die kindlichen Weltsichten vermittelt, das beizeiten sehr nach Elternhaus klingt, aber gleichzeitig auch eine ungeheure Vielfalt an Visionen und Lebenswelken aufzeigt. Damit muss sich eine Grundschullehrerin ebenso auseinandersetzen wie mit den Lerninhalten, die es zu vermitteln gilt, um das Lehrplansoll zu erfüllen. Wobei die kluge Lehrerin an einer Stelle den Satz fallen lässt, dass Kinder in diesem Alter sowieso am meisten von andern Kindern lernen würden und sie nur behutsam nachzuformen versuche. Sowie zu aller pädagogischen und didaktischen Theorie. An dieser Stelle ist vielleicht auch endlich einmal ein inbrünstiger Dank an all die beherzten und engagierten Lehrer angebracht, statt der sonst vorherrschenden öffentlichen Schelte dieses Berufsstandes.

Tafel_mit_Kinderbild_FRAU_SCHILDT_02Formal hat der Film von Nathalie David zwar einerseits ein starres Gerüst, dem auch jüngere Zuschauer leicht folgen können, andererseits aber immer wieder Ausbrüche von Hintergrundinformationen – wie etwas „Schule in früheren Zeiten“ – die auf sehr kreative und unterhaltsame Art eingebunden werden: Sei es beim Besuch der Klasse im Schulmuseum, sei es durch alte Postkarten oder selbstgezeichnete Diagramme. Es geht um die Inhalte und nicht um die Form. So dass am Ende ein so ganz unerwartetes Bild grundschulischer Realität entsteht, das irgendwo zwischen Idylle und Leistungsdruck seinen Daseinsfleck gefunden hat. Je weiter die eigene Schulzeit oder die der Kinder zurückliegt, desto unbekannter ist diese Terrain für die Zuschauer und der Film führt einen behutsam und charmant an ein gesellschaftlich so wichtiges Thema und eine so prägende Lebensphase heran. Erstaunlich, dass sich die Viertklässler noch an ihre Einschulungstüten erinnern können.

Fazit: Wer von dem Dokumentarfilm eine aktuelle kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Schulwesen erwartet, sollte lieber zu Hause bleiben. Statt dessen bietet „Meine liebe Frau Schild“, wie es der Untertitel schon nahelegt, „Eine Ode an die Grundschule“. Eine höchst sehenswerte.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

frau-schild-plakatMeine liebe Frau Schildt – Eine Ode an die Grundschule
Genre: Dokumentarfilm, Erziehung
Länge: 86 Minuten, D 2012
Regie: Nathalie David
Mitwirkende: Dietlind Schild, Schüler der Grundschule Rothestraße in Altona
FSK: ohne Altersbeschränkung
Verleih: Im-Film
Kinostart: 23.01.2014

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