Kleine schmutzige Briefe: Das Vulgäre in der Sprache

In dem kleinen Küstenstadt Littlehampton verschickt jemand anonyme Schmähbriefe. Vor allem betroffen ist die alleinstehende gottesfürchtige Edith. Doch die hat schnell die lebensfreudige alleinerziehende Nachbarin in Verdacht. Eindeutige Angelegenheit meint auch die Polizei. Und so entspinnt sich in „Kleine schmutzige Briefe“ eine Gesellschaftssatire, die erstaunlich aktuell in unsere Zeit passt. Allein das herausragende Ensemble mit Oliva Coleman, Anjana Wasan und Jessie Buckley macht die bittere Komödie schon sehenswert. Studiocanal bringt „Kleine schmutzige Briefe“ am 28.März 2024 in die Kinos.

Littlehampton ist ein idyllischer und betulicher Stadtflecken an der englischen Küste. Anfang der 1920er Jahre geht hier alles gesittet und wohlanständig zu. Da fällt die zugezogene irische Rose Gooding (Jessie Buckley) schon aus dem Rahmen. Die Soldatenwitwe ist alleinerziehend, hat einen farbigen Freund und trägt ihr Herz auf der Zunge.

Das führt bisweilen schon mal dazu, dass sich die Nachbarin Edith Shaw beleidigt fühlt. Deren Lebensstil als gottesfürchtige Jungfer, die mit vierzig immer noch bei ihren strengen und religiösen Eltern wohnt ist ohnehin recht freudlos. Dann bekommt Edith immer wieder beleidigende Briefe mit der Post. Diese bedienen sich unflätiger Sprache und sind hochgeradig beleidigend.

Während Edith viel zu schamvoll darauf zu reagieren, wendet sich ihr Vater Edward an die Polizei. Seiner Meinung – und auch der seiner Tochter – nach, steht außer Frage, dass die liederliche, trinkfreudige Nachbarin die Urheberin derartigen sprachlichen Unrates ist. Polizeichef Spedding (Paul Chahidi) und Constable Papperwick (Hugh Skinner) sind von derartige derber Sprache zutiefst empört und beginnen zu ermitteln. auch für die Polizisten scheint der Fall klar. Nur die weibliche Polizistin Gladys Moss (Anjana Wasan) findet die Angelegenheit keineswegs eindeutig: Warum sollte die irische Mutter ihre Nachbarin nicht direkt ansprechen statt Briefe zu schreiben? Das tut Rose doch sonst auch.

„Letztlich ist es wohl nur Eifersucht.“ (Edith Swan)

„Kleine schmutzige Briefe“ spielt zwar von etwa 100 Jahren, doch es ist erstaunlich leicht parallelen zu unserer Zeit zu ziehen. Die Anonymität des Internets und der Social Media Plattformen hat es praktisch zur Alltäglichkeit werden lassen, dass Menschen Beschimpfungen und Verunglimpfungen äußern ohne tatsächlich rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Das Bemühen die Situation in den Griff zu bekommen ist da, aber es bedarf noch einiger Anstrengungen.

Zurück ins Littlehampton von 1920. Hier hat ein Fall von anonymen Beschimpfungen tatsächlich stattgefunden und es sogar in die Landesweite Zeitungsberichterstattung geschafft. Drehbuchautor Johnny Sweet nimmt die reale Situation auf und erzählt daran exemplarisch von drei weiblichen Charakteren und dem kleinbürgerlichen Zeitgeist nach dem ersten Weltkrieg.

„Eine weibliche Polizistin? Seht nur, ein fliegendes Schwein!“ (Edward Swan)

Während Olivia Colemans („The Favourite“, „Tyrannosaur“) biederer Charakter ebenso offensichtlich und bisweilen stereotyp gezeichnet ist wie ihr Gegenpart, die lebenslustige von Jessie Buckley („Wild Rose“, „Beast“) gespielte selbstbewusste Frau, dauert es ein wenig, bis sich auch der dritte Frauencharakter entfaltet. Die von Anjan Wasan dargestellte Polizistin hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Doch das nützt herzlich wenig, da „weibliche“ Polizistinnen seinerzeit noch keinerlei Befugnisse haben. Außer Tee zu kochen und die Uniform spazieren zu führen, hat die Polizistin vor allem die Funktion Gleichberechtigung vorzugaukeln.

Und so arbeiten sich zwei junge Frauen, die beide auch noch in gewisser Weise Migrationshintergrund haben (die eine irisch, die andere indisch) an der Bigotterie und dem verstockten Spießertum der Zeit ab. Das ist bisweilen aufgrund der anzüglichen, derben und zotigen Briefe, die dem Publikum verlesen werden recht unterhaltsam. Allerdings ist das Filmprinzip schnell durchschaut und auch die Rollenbesetzung erfolgt sehr typgerecht. Eine Krimikomödie wollten die Macher:innen nicht drehen, obschon Polizistin Gladys durchaus komödiantischen Spürsinn an den Tag legt.

„Kleine schmutzige Briefe“ ist ein launig- lustiges Sittengemälde, das erstaunlich aktuell erscheint. Die Besetzung ist großartig, wirkt aber bisweilen in der Gemächlichkeit etwas unterfordert. Für spitzzüngige Unterhaltung ist das allemal genug. In der Hoffnung, dass die derbe Sprache auch eine deutsche Synchronentsprechung findet.

Film-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Kleine Schmutzige Briefe
OT: Wicked Little Letters
Genre: Komödie, Drama
Länge: 100 Minuten, GB, 2023
Regie: Thea Sharrock
Darsteller:innen: Olivia Coleman, Timothy Spall, Anjana Wasan, Jessie Buckley,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Studiocanal
Kinostart: 28.03.2024