In Kriegs- und Katastrophenzeiten witterten kleine und große Gauner schon immer Gelegenheiten, während andere um ihr bloßes Leben fürchten. So auch im Juni 1940 als die Deutsche Wehrmacht Frankreich überrennt und doch noch nicht alle Goldvorräte aus Paris in Sicherheit gebracht wurden. Zwei Tonnen Gold sind schon ein Risiko wert. Nachzulesen in dem wendungsreichen Thriller-Comic „Narrengold“ der jüngst in Albumform bei Schreiber & Leser erschienen ist.
Am 13. Juni 1940 stehen die Deutschen Truppen kurz vor Paris. Die Regierung hat vieles von Wert und Bedeutung aus der Stadt geschafft und auch die Bevölkerung macht sich vom Acker, sofern das möglich ist. Dusseliger Weise liegen in einer Bank von Frankreich noch zwei übersehene Tonnen Gold, die nun dringlich nach Bordeaux überführt werden sollen. Der Sergeant kriegt gerade mal einen Panzerwagen organisiert und eine notdürftige Eskorte. Darunter auch Labeyrie, der sich eigentlich krankgemeldet hat um mit der Familie abzuhauen.
Nun erkennt Labeyrie eine Gelegenheit und haut seinen Kumpel Franck Popp an. Der schlägt sich mehr schlecht als recht als Boxer durch, hat aber Verbindungen zu Gaunern und ist einer schnellen Nummer nicht abgeneigt. So kommt Clubbesitzer Sambionetti, genannt Sambio, ins Spiel. Denn der kann so einen Coup organisieren. Der deutsche, vor den Nazis abgehauene Fahrer und Mechaniker Kurt ist schnell überzeugt, doch der routinierte Safeknacker hat Arthritis. Dessen Tochter Ninon hat aber gut von ihrem alten Herrn gelernt und ist auch mit dabei.
Der Plan sieht vor den Panzerwagen mit dem Gold zu überfallen, bevor die Polizei von Bordeaux auf halber Strecke die Eskorte übernimmt. Labeyrie soll den Kollegen mit Schlafmittel bei einer Rast schöne Träume bescheren, während Sambio und Co den Safe ausräumen. Klingt einfach, hat aber etliche Hindernisse nicht bedacht.
Frankreich, Tage vor dem Waffenstillstand
Denn der Polizeikommissar aus Bordeaux ist Kollaborateur der Deutschen und will selbst an das Gold. außerdem haben pflichttreue französische Soldaten eine verkehrswichtige Brücke vermint, damit die Deutschen nicht durchkommen. Kann ja kein mensch ahnen, dass da noch ein Goldtransport durchmuss.
Die Leserschaft mag sich die Verkettung der Umstände unter denen das Gold in der Bank von Frankreich übersehen wurde in der Hektik der Situation durchaus vorstellen können. Immerhin war Frankreich bereits seit zehn Monaten im Krieg und es gibt in dieser Ausnahmesituation immer viel zu organisieren und zu regeln. Das wird im Comic-Auftakt nur lapidar angedeutet mit dem Satz „Leider haben sie den Auftrag nicht unterschrieben, Herr Direktor.“
Fortan gelingt es den beiden Szenaristen Xavier Dorison und Fabien Nury einen Erzählfluss zu erschaffen, der wie Regen an einer Fensterscheibe konsequent und fatal in einer riesigen Pfütze endet. Vom Gold zum Diensthabenden, vom Drückeberger zur Unterwelt versammeln sich die Storytropfen langsam zu einem Rinnsal. Als dann Goldtransport und Gaunertruppe auf dem Weg sind, gesellt sich von anderer Seite ein weiterer Aspekt der Geschichte dazu und trägt dazu bei, eine gehörige Pfütze zu bilden, in die die Leserschaft wie die Handlung hineinspringen mag, dass es zu allen Seiten spritzt.
Katzengold stinkt auch nur nach Schwefel
Und wie sollte es anders sein, der Titel gibt es bereits Preis: der vermeintlich einfache Coup ist vertrackt, steigert sich in gehöriges Chaos und explosive Gier. Narren, die in Kriegszeiten an Gold denken. Das kollabierende Gaunerszenario hat beinahe die existentiellen Parker‘schen Dimensionen, wenn Richard Starks Gauner mal wieder retten will, was seine Kumpane verbockt haben.
Doch „Narrengold“ ist französisch, ist existentialistisch und anarchisch. Mensch möchte meinen, niemand kommt hier lebend raus. Aber das mag jede:r selbst erkunden. Mit viel Lust am Desaster erkunden die Szenaristen ihren actionreichen Thriller. Wobei zu sagen wäre, dass der zu Grunde liegende Roman von Pierre Siniac stammt.
Siniac war wohl ein eigenwilliger Mensch, aber eben auch ein eigenwilliger, ergo origineller französischer Thriller-Autor. Hierzulande ist Siniac kaum oder gar nicht bekannt. Seine Romane sind in der Versenkung verschwunden und wurden kaum einmal ins Deutsche übertragen. Allerdings mögen Comic-affine Leser:innen sich an Tardis „Das Geheimnis des Würgers“ erinnern, das eine Siniac-Adaption ist.
Filmfans mögen über den Belmondo Actioner „Die Glorreichen“ (1984) von Regisseur Henri Verneuil gestolpert sein, der – in ähnlich alberner Weise synchronisiert wie die Bud Spencer & Terence Hill-Filme, vor allem durch nutzlose Klopperei und dusselige Sprüche wirkte. Der zugrunde liegende Roman von Siniac wird dabei kaum erwähnt, ist im aktuellen Zusammenhang aber interessant, weil in „Les Morfalous“ eine Gruppe Fremdenlegionäre während des Krieges den Auftrag hat in Tunesien Gold zu evakuieren.
Pétain nach Vichy, Gold nach Bordeaux
Lesenswert ist „Narrengold“ allerdings nicht nur aufgrund seiner literarischen Qualitäten, sondern auch wegen der expressiven und dynamischen Illustrationen. Das Comic-Album weist darauf hin, dass das Zack-Magazin die Geschichte 2015 in Fortsetzungen veröffentlicht hat. Schreiber & Leser legen aber erstmals eine (neuübersetzte) Albumausgabe vor.
Vom „Establishing Shot“ mit dem beflaggten Eingangstor der Banque de France bis zum ironischen Epilog feuern Zeichner Laurent Astier und Koloristin Laurence Croix aus allen Rohren, um mal im martialischen Sprachgebrauch zu bleiben. Es gibt ganz herrliche Details und Close-ups, die bisweilen cartoonistischen Humor zeigen, dann wieder kantige Gauner-Gesichter und zeittypische Straßenansichten. Es gibt packende Erinnerungssequenzen und atmosphärische Aufsichten. Gelegentlich sind die markigen Gesichter der Kerle im Goldtransport und in dem Gaunerlaster recht ähnlich ausgefallen, aber wer aufmerksam liest bekommt die Orientierung auf den Seiten locker hin.
Zwei ganzseitige Illustrationsschmankerl seinen dann doch noch hervorgehoben. Auf Seite 30 biegt der Gaunerlaster in der Morgendämmerung auf die Pariser Ausfallstraße ein. Die Luftaufnahme der überfüllten Straße hin zur aufgehenden Sonne ist schon eine Augenweide. Ganz anders, aber ebenfalls fulminant ist das Ballerballett auf seine 101 in Szene gesetzt. Da bahnt sich einer mit Pistolen den Weg aus den oberen Etagen hinunter. Iszeniert ist die Action-Sequenz als ganzseitiges Bild des Treppenhauses, in dem in acht Panels ein blutiger Weg dargestellt wird. Das ist schon großartig und erinnert ein bisschen an „John Wick“.
„Narrengold“ ist eine actionreiche Thriller-Überraschung. Das Setting während des Einmarsches der Deutschen Truppen in Frankreich 1940 ist ebenso ungewöhnlich wie die unkonventionelle Darstellung eines hahnebüchenen, hochriskanten Gaunerstücks. Fraglich bleibt, ob der „Lohn der Angst“ sich einfahren lässt, ebenso spannend wie jener Filmklassiker ist „Narrengold“ allemal. Oder bleibt am Ende alles nur Pyrit?
Narrengold
OT: L’Or des Fous, Casterman, 2015
Genre: Comic, Thriller
Autoren: Xavier Dorison & Fabien Nury
Zeichnungen: Laurent Astier
Farben: Laurence Croix
Frei nach Roman „Sous ‚Aile noire des Rapaces“ von Pierre Siniac (1975)
ISBN: 978-3-96582-198-9
Verlag: Schreiber & Leser, 124 Seiten, Hardcover,
VÖ: 06.05.2025
Narrengold bei Schreiber & Leser
Pierre Siniac im Blog Krimiautorena-z.de