„Das Staunen der Welt“- Was für ein Titel für eine Geschichte, bezieht sich „Stupor Mundi“ doch eigentlich historisch auf den so genannten Kaiser Friedrich II. (1194 – 1250) . Aus dem Staunen kommt tatsächlich nicht heraus, wer sich mit den umfangreichen Bilderroman des Comic-Künstlers Néjib beschäftigt. Historisch kenntnisreich und voller eigenwilliger Figuren erzählt „Stupor Mundi“ eine faszinierende und spannende Geschichte, spinnt ein wissenschaftliches Rätsel und zugleich geheimnisvolle Machtspielchen zwischen Kaiser und Kirche. Anfang Mai hat der Verlag Schreiber & Leser die in Frankreich von der Kritik hochgelobte Graphic Novel auch hierzulande veröffentlicht.
In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sucht der islamische Gelehrte und Wissenschaftler Hannibal Qassim el Battuti Zuflucht und Unterstützung bei einem christlichen Herrscher. Um weiter an seiner Erfindung zu arbeiten, die die Welt verändern soll, begibt sich Hannibal mit seiner Tochter Houdeh und dem geheimnisvollen Diener El Ghul in das Castell del Monte in Apulien. Dort hat Kaiser Friedrich der Zweite, ein bekennender Förderer der Wissenschaft, den führenden Köpfen seiner Zeit eine Art „Think Tank“ eingerichtet. Aber der islamische Gelehrte ist nicht allen Anwesenden willkommen.
In Bagdad hatte Hannibal an einem Vorläufer der Fotografie gearbeitet, doch das Bild war nie von Dauer. Irgendwann riss dem Kalifen der Geduldsfaden und auch der Widerstand der Imame würde immer größer. Hannibals „Abreise“ fand überstürzt statt und hat seine Tochter Houdeh derart traumatisiert, dass das kluge Mädchen nicht mehr laufen kann. Nun trägt sie der etwas gruselig wirkende Diener, während Houdeh die vorliegende Geschichte weitgehend erzählt.
Hannibal versucht fieberhaft und unter Erfolgsdruck, seine Erfindung endlich dauerhaft zu machen und dem Herrscher Friedrich II, der demnächst im Kastell erwartet wird, ist sehr daran gelegen, dass Hannibal Erfolg hat, denn der Herrscher hat mit der Erfindung einen ganz eigenen Plan, um den dauernden Konflikt mit dem Papst Innozenz IV eine finale Wendung zu geben. Doch auch einige Mönche und Gelehrten im Kastell haben religiöse Einwände gegen die Erfindung. Währenddessen freundet sich Houdeh mit dem Jungen Roger, der zum Leidwesen seines Vaters so gar nicht zum Krieger taugt.
Nicht nur aufgrund des historischen Settings liegt es nahe, die Graphic Novel des französisch-tunesischen Künstlers Néjib mit Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ zu vergleichen, auch das Mysteriöse, Kriminalistische und dass Faible für Verschwörungstheorien haben beide gemeinsam. Die Geschichte in „Stupor Mundi“ ist so gut -und mit ein paar Einfällen, die recht modern sind – konstruiert, dass Dan Browns Thriller dagegen eher oberflächlich wirken. Dabei ist „Stupor Mundi“ allerdings kein waschechter Thriller oder gar Historischer Krimi, sondern vielmehr eine Art unterhaltsames Zeitportrait, das geschickt mit Genre-Versatzstücken und historische Personen und Fakten eine Burg baut, um in den Spalten dieses alten Gemäuers die Fantasie sprießen und ranken zu lassen.
Der Zeitpunkt der Handlung ist klug gewählt: Die Mauren sind von der christlichen Reconquista aus dem heutigen Spanien vertrieben, die goldenen, aufklärerischen Jahre des Islam scheinen vorbei, Friedrich II. hat nur noch wenige Jahr zu leben und im Christentum beginnt die Inqusition sich auszubreiten. Der Wissenschaft und der Neugier rennt mit mächtigen Schritten die Zeit davon.
So anspielungsreich die Geschichte auch ist und so übermächtig sich im Lauf der Geschichte das eigentliche Thema, der Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft, bei dem es auch um die Deutungshoheit über die Welt geht, aufbaut, so wichtig ist die scheinbar naive Erzählperspektive von Hannibals Tochter Houdeh.
Erstens bekommt so auch der aus der Zeit gefallene Leser genügend Erklärungen und Hintergrundwissen, zweitens sorgt die Kindliche Perspektive für einen weniger düsteren Erzähltonfall und drittens ist Néjib ein ebenso pfiffiger Autor wie begnadeter Zeichner, den Houdeh ist keineswegs so naiv, wie es den Anschein hat und ihre Sicht auf die Dinge wird immer wieder – an den dramaturgisch richtigen Stellen – konterkariert.
Doch nicht nur die erzähltechnischen Finessen sorgen dafür, dass „Stupor Mundi“ eine so ungewöhnliche und herausragende Graphic Novel ist. In Frankreich ist Néjabs Werk für mehrere Comic-Preise vorgeschlagen worden, was auch an dem ebenso eigenwilligen wie stilsicheren Artwork liegt. Néjib hat bislang eine Comicserie für Kinder verfasst und 2012 die Graphic Novel „Haddon Hall -Wie David Bowie erfand“, die bislang nicht auf Deutsch veröffentlicht wurde. Vielleicht hilft der Erfolg von „Stupor Mundi“ ja, diese Lücke zu schließen. Nach Bowies Tod (2016) gab es immerhin so viel Interesse an dem Thema, dass „Haddon Hall“ auch auf Englisch veröffentlicht wurde.
Aber zurück zu „Stupor Mundi“: Anfangs mag der großnäsige Gelehrte den deutschen Leser vielleicht noch an den Stil von Walter Moers erinnern, aber wer etwas Komödiantisches erwartet, wird enttäuscht werden. Statt dessen gelingt es Néjib mit weniger Strichen charaktervolle Figuren zu entwerfen und schlichte aber eindrucksvolle Landschaften und Interieurs zu skizzieren. Dazu kommen noch einige schräge Figuren, die aber in der Erzählung ihren Platz finden und keineswegs nur eine optische Spielerei sind, um die Geschichte aufzulockern.
Die Farbgebung der einzelnen Zeichnungen ist je nach Stimmung und Erzählweise abgestimmt und meist in ein oder zwei Farbtönen gehalten. Das flächige grafische Element verstärkt so die Wirkung von Licht und Schatten, die Néjib als Zeichner meisterhaft einzusetzen versteht. Auch die Perspektiven, die für moderne Leser manchmal etwas flach wirken, sind wirksam eingesetzt und zum großen Teil sehr gelungen, was die Absicht angeht, dem historischen künstlerischen Stil der Zeit im Comic-Medium Rechnung zu tragen.
Das Schöne an „Stupor Mundi“ ist allerdings, dass man die hohe Kunstfertigkeit beim Lesen überhaupt nicht richtig würdigen kann, weil die Geschichte so packend ist. Beim zweiten Mal kann man sich dann Zeit nehmen und genießen. Die historisch-kriminalistische Graphic Novel „Stupor Mundi“ ist ein faszinierendes Lesevergnügen, das nicht nur Lesern von Bildergeschichten wärmstens an Herz gelegt werden kann. Bislang das Highlight des Jahres auf dem Graphic Novel Sektor.
Comic-Wertung: (9,5 / 10)
Stupor Mundi – Das Staunen der Welt
OT: Stupor Mundi
Genre: Graphic Novel, Historisches, Krimi
Autor & Zeichner: Néjib
Übersetzung: Resl Rebiersch
ISBN: 978-3-946337-34-8
Verlag: Schreiber & Leser, gebunden, 288 Seiten
VÖ: 09.05.2017