Während sich Berlin, die deutsche Reichshauptstadt, 1936 für die Olympischen Spiele ausgehfein macht, wühlt Privatermittler Bernie Gunther in den verkohlten Ruinen eines verbrannten Ehepaars. „Feuer in Berlin“ ist die Graphic Novel Adaption des hochgelobten gleichnamigen Debutromans von Thrillerautor Philip Kerr. Der findige Verlag Schreiber & Leser hat mal wieder eine Krimi-Perle aufgetan, die Anfang März 2025 veröffentlicht wurde.
Es war bereits im Sommer 1936 schwierig, gutes Personal zu finden. Dem selbsternannten „Privatermittler“ Bernie Gunther ist jedenfalls die Sekretärin abhanden gekommen und in den Hafen der Ehe eingelaufen. Leider mit einem Nazi wie Gunther findet. Doch bevor sich der Ex-Bulle mit Berliner Schnauze auf der Hochzeit allzu weit aus dem Fenster lehnt, macht er einen Abgang.
Vor der Wohnung wird Gunther mitten in der Nacht zu einem verschwörerischen Treffen eingeladen. In diesen Zeiten muss man stets damit rechnen, dass die Gestapo oder andere Nazi-Schergen einen abholen. Bernies Klienten könnten ein Lied davon singen, wenn er wieder vermisste Personen sucht.
Doch Gunther wird zum Großindustriellen Hermann Six gebracht, der Gunther beauftragt, einen wertvollen Familienschmuck wiederzufinden. Der wurde aus dem Safe geklaut, als Sixs Tochter und ihr Ehemann überfallen und ermordet wurden. Anschließend wurde deren Haus niedergebrannt.
Ex-Polizist Gunther ermittelt 1936 in Berlin
Bernie Gunther beginnt zu ermitteln und findet schnell heraus, dass die Ehe keinesfalls nur harmonisch war. Außerdem ist gerade ein Künstler unter den Safeknackern aus dem Knast gekommen. Doch der bleibt ebenso unauffindbar wie andere Verdächtige. Bei einschlägigen Juwelieren und Hehlern ist auch der Schmuck bislang nicht aufgetaucht.
Dafür tauchen in Bernie Gunthers Leben plötzlich schlagkräftige Gestalten und unsympathische Gesetzeshüter auf, um sich nach dem Ermittlungsfortschritt zu erkundigen. Es scheint, als wäre der Privatermittler da in gesellschaftliche Kreise geraten, die er lieber meiden würde. Wer will schon gerne in die Fänge der Machthaber geraten?
„Feuer in Berlin“ ist an anspielungsreicher Titel. Zum einen hat die Olympische Fackel die Reichshauptstadt erreicht, dann sind die Nazis gerade dabei die Welt in Brand zu setzen und schließlich hat es der hartgesottenen Detektiv mit einem Hausbrand zu tun.
Dabei heißt Philip Kerrs Debutroman, der 1989 erschien als es die DDR noch gab und Berlin eine geteilte Stadt war, im Original „March Violets“ also „Märzveilchen“ in Anspielung an die „Märzgefallenen“, wie ironisch die Neumitglieder der NSDAP nach der gewonnenen Wahl im März 1933 genannt wurden. So zumindest wird das auch in der Graphic Novel erläutert. Im Französischen heißt der Roman „L’ete de Crystal“, „Kristallsommer“, als Vorausahnung der Reichskristallnacht im Herbst 1938.
Der Schnüffler ohne Sekretärin
Die Adaption als Graphic Novel bleibt gegenüber dem Roman weitgehend werkgetreu. Vor allem behält der Comic von Autor Pierre Boisserie und Zeichner François Warzala die Ich-Perspektive des erzählenden Ermittlers bei. Das ist im Grunde alternativlos, denn Privatermittler Bernie Gunther ist von Kerr als deutscher Phillip Marlowe konzipiert. Und der lässt es sich genredefinierend nicht nehmen, seine Geschichte selbst zu erzählen.
Kerrs Romane um Bernhard Gunther zeichnen sich durch einen düsteren Realismus und eine glaubhafte Einbettung in die Zeitläufte aus. Phillip Kerr, der 2018 an einem Krebsleiden verstarb, hat eine Zeit lang in Berlin gelebt hat. Nach der ursprünglichen „Berlin noir“-Trilogie kehrte der Romancier und Thriller-Autor nach 15jähriger Pause zu seinem Ermittler zurück und schrieb bis zu seinem Tod eine ganze Roman-Reihe um den Privatermittler, die weit über die Nazizeit hinausging.
Die Adaption des Romans in Bildern kann sich durchaus sehen lassen. Ich gestehe, dass der Spannungsfaktor nicht so hoch war wie beim Roman, aber das mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Story mir schon bekannt war. Die Umsetzung im beinahe klassischen Lingen Claire Stil franco-belgischer Comic-Tradition ist stimmig.
Bisweilen wirken einige Panels etwas dialoglastig, aber im Großen und Ganzen gelingt es Szenarist Boisserie sehr ökonomisch, den Roman in die Bildgeschichte zu übertragen. Die Zeichnungen gefallen mit den städtischen Panoramen und dem Berliner Zeit- und Stadtkolorit. Während einiger Dialoge weiß Zeichner Warzala die Charaktere gekonnt und ohne Hintergründe in Szene zu setzen. An anderer Stelle allerdings überzeugt mich die Action nicht unbedingt. So in einer Rangelei Gunthers mit einem nächtlichen Besucher und auch bei der Drohung von Kriminalinspektor Dietz, der etwas karikatur-garstig ausgefallen ist, fehlt mir persönlich die Dringlichkeit.
Der Millionär ohne Schmuck
Zugegeben, es gibt für dynamische Szenen überzeugenderer Zeichenstile als die klare Linie, aber bei Hergés „Tim und Struppi“ oder bei den Zeichnungen von Drac in „Robert Sax“ ist mehr Spannung zu spüren. Dafür weiß die Kolorierung von Marie Galopin mit schlichten, aber wirkungsvollen Schattierungen zu gefallen. Das fällt kaum auf, sorgt aber doch dafür, dass Hutkrempen Augen verdunkeln und kahlgeschorene Hinterköpfe gut von Gesichtern unterscheidbar bleiben. Beizeiten wird dem weiblichen Filmstar sogar etwas Rouge gegönnt. Auch das farbreduzierte Grau von Erinnerungssequenzen weiß zu gefallen. Und während einer nächtlichen Erkundungstour Gunthers fühlte ich mich durchaus an die Nick Knatterton-Zeichentrickserie erinnert.
Üblicherweise ist die Graphic Novel als Erzählformat mit statischem Seitenaufbau verbunden. „Feuer in Berlin gelingt es dennoch eine gewisse Lebendigkeit in den grundsätzlich dreizeiligen Seitenaufbau zu bekommen. Die Zeilenhöhe variiert ebenso wie es Warzala immer wieder schafft, zusätzliche horizontale Panel in einige Zeilen zu bauen, etwa so wie zwischendurch ein Sprossenfenster in eine Hausfassade zu setzen. Was architektonisch stören würde, lockert den Erzählfluss in „Feuer in Berlin“ ganz erheblich auf und sorgt für elegante Dynamik.
„Feuer in Berlin“ wird der Romanvorlage von Philip Kerr gerecht und entwirft mit den –Mitteln der Graphic Novel eine vertrackte Kriminalgeschichte in der Kulisse des von Nazis regierten Berlin während der Olympiade 1936. Wer sich mit der TV-Serie Babylon Berlin“ gut unterhalten fühlt und dem Medium Comic aufgeschlossen gegenübersteht, der oder die wird auch an „Feuer in Berlin“ gefallen finden.
Die Berlin-Trilogie – Feuer in Berlin
OT: LA Trilogie Berlinoise – L’ete Crystal, Verlag les Arenes, 2021
Genre: Comic, Krimi
Autor: Pierre Boisserie
Zeichnung: François Warzala
Farben: Marie Galopin
Übersetzung: Resl Rebiersch
Korrektorat: Pit Kannapin
ISBN: 978-3-96582-194-1
Verlag: Schreiber & Leser, 144 Seiten, gebunden, Farbe
VÖ: 06.03.2025
Feuer in Berlin bei Schreiber& Leser