Niemand in der US-amerikanischen Comic-Branche hat ein ähnliches Händchen für interessante Heldinnen und für komplexe und moderne Frauencharaktere wie der Zeichner und Autor Terry Moore. Glücklicherweise bleibt er auch in seinem neuesten Werk „Motor Girl“ dieser Ausrichtung treu. Da ist es Fans des „Stranger Than Paradise“-Schöpfers schon beinahe egal, um was es in „Motor Girl“ überhaupt geht. Soviel sei verraten, es geht weit weniger apokalyptisch zu als das Setting eines Autofriedhofs am Rand der Wüste andeutet. Aber vielleicht wurde eine der Rostlauben auch nur von Aliens geklaut.
Am Rande der Wüste, weit entfernt von der nächsten Kleinstadt betreibt die alte Dame Libby (übrigens ein Charakter aus „Stranger Than Paradise“) einen Schrottplatz. Geleitet wird der von Sam, einer jungen Kriegsveteranin, die hier mit ihrem sprechenden Gorilla alte Karren ausschlachtet. Dann aber will ein ominöser Geschäftsmann Libby das Gelände abkaufen. Die macht den Verkauf davon abhängig, ob Sam ebenfalls einverstanden ist. Und nein, ist sie nicht.
Daraufhin schickt der Geschäftsmann zwei Handlanger los, um die Damen einzuschüchtern. Das klappt allerdings nur bedingt. Es taucht dann auch ein Raumschiff auf, das auf dem Schrottplatz nach Ersatzteilen sucht. doch der Mechaniker unter den kleinen grünen Männchen hat scheinbar keine Ahnung vom Antrieb, weshalb Sams Hilfe gerne gesehen ist.
Beinahe genau zwei Jahre mussten Terry Moore Fans hierzulande warten, bis der „neue“ Terry Moore auf Deutsch vorliegt. Zwischenzeitlich wurde bei „Schreiber & Leser“ aber die von 2008 bis 2011 entstandene Serie „Echo“ aufgelegt. Wie auch immer, „Motor Girl“ ist mit seinen zehn US-Ausgaben abgeschlossen und eine Fortsetzung scheint nicht geplant, daher auch die „Gesamtausgabe“. Derzeit sitzt Terry Moore wieder an neuen Geschichten aus der „Stranger Than Paradise“-Welt. Und das, obwohl er nach dem Ende von „Rachel Rising“ verlauten ließ, nur noch kürzer Serien machen zu wollen. Aber ich schweife ab.
„Monkey On My Back“
Die Grundidee zu „Motor Girl“ hatte Moore nach eigener Aussage in dem „Bonus-Material“ schon länger. Das Bild einer Mechanikerin und eines sprechenden Gorillas kam ihm, während er an „Stranger Than Paradise“ arbeitete, und wollte mit einer Geschichte zum Leben erweckt werden. „Motor Girl“ ist eine tolle fantastische Drama-Serie mit guten psychologischen Aspekten und einer Menge Science-Fiction-Elementen, die mit viel Moore-typischem Humor eingebaut sind.
Relativ schnell wird klar, dass der bekleidete, sprechende Gorilla, der mit Samantha, genannt Sam, auf dem Autofriedhof arbeitet, nur von ihr gesehen wird, also ihrer Einbildung entspringt. Das deutet auf ein Posttraumatisches Belastungsstörung (PTBS) hin, doch die Ursachen dafür und auch die Herkunft des Gorillas werden erst im Lauf der Serie enthüllt. Ganz nebenbei muss sich die toughe Ex-Soldatin Sam mit kleinen grünen Männchen und dilettantischen Möchtegernschlägern auseinandersetzen, um herauszubekommen, was der Geschäftsmann eigentlich vorhat, der den Schrottplatz kaufen will.
„Alien Ate My Homework“
Die Story in „Motor Girl“ hat spannende Elemente, aber vor allem erzählt Terry Moore in der ihm eigenen Weise mit lockerem Ton von psychischen Problemen und eigenwilligen, angeknacksten Menschen. Neu und aufregend ist dabei die weibliche Perspektive auf Kriegsneurosen. Wenn man von Kriegsveteranen und traumatisierten Soldaten redet, vergisst man häufig, dass in fast allen Armeen der Welt inzwischen auch Frauen an der Waffe dienen. Nur selten wird das aus weiblicher Sicht thematisiert. Im Film etwa bleiben Ridley Scotts „Die Akte Jane“ (OT: „G.I. Jane“,1997) oder das französische Drama „Die Welt sehen“ (OT: Voir du Pais“, 2016) von Delphin und Muriel Coulin die absolute Ausnahme.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Hintergrunds will Terry Moore aber auch unterhalten und das gelingt „Motor Girl“ ganz hervorragend und kurzweilig. Der Zeichner und Autor selbst hat angegeben, dass die Comic-Legende „Calvin & Hobbes“ ein riesiger und offensichtlicher Einfluss dafür war, den Gorilla lebendig werden zu lassen, und an einer Stelle wird dem „Tim & Struppi“-Erfinder Herge ein kleiner Gruß zuteil.
„Nicht schießen, Sie Esel, das macht sie bloß wütend.“ (Libby)
Ansonsten mag für das beinahe post-apokalyptische Schrott-Setting in der Wüste „Mad Max“-Pate gestanden haben, ich fühle mich allerdings vielmehr an eine Legende des Trash-Kinos erinnert: Auch in „Repo Man“ (1984) mit Emilio Estevez und Harry Dean Stanton kommt es für den Punk Otto, dessen Job es ist, nicht bezahlte Autos zurückzuholen, auf einem Schrottplatz zu einer schrägen Begegnung der dritten Art. Regisseur Alex Cox versuchte 2009 noch einmal daran anzuknüpfen und schickte erfolglos ein „Repo Chick“ ins Rennen um die Zuschauergunst.
Aber ich schweife schon wieder ab. Vielleicht ist es auch genau das, was Terry Moores wunderbare Comics ausmacht. Die Stories und die Bilder lassen genug Raum für die Vorstellungskraft der Leser, ohne die Spannung zu verlieren. Daher wirken sie trotz ihrer scheinbaren Schlichtheit lange nach und sind bei allen fantastischen Elementen nie so abgehoben, dass nicht noch ein solide Portion Bodenständigkeit Platz hätte.
Mit der Comic-Serie „Motor Girl“ ist dem Zeichner und Autor Terry Moore mal wieder eine tolle Frauenfigur gelungen, die man einfach sympathisch finden muss. Und wie der Gorilla schon auf seinem Schildchen schreibt: „Kauft ihren Comic, oder ich reiß euch den Kopf ab.“ Dieser Empfehlung kann ich mich nur anschließen.
Comic-Wertung: (8,5 / 10)
Motor Girl Gesamtausgabe
OT: Motor Girl #1-10, Abstract Studios, 2016-2018
Genre: Comic, Mystery,
Autor & Zeichner: Terry Moore
Übersetzung: Resel Rebiersch
Verlag: Schreiber & Leser, Klapp-Broschur, 224 Seiten
VÖ: 06. November 2018