Soundtrack to a Coup d’Etat: Rumba im Kongo

Aktuell bestimmen Kämpfe um die Millionenstadt Goma die Nachrichtenlage aus der Demokratische Republik Kongo. Das Land kommt seit seiner Unabhängigkeit Anfang der 1960er Jahre nur schwer zur Ruhe. Sicherlich mitverantwortlich sind die reichen Rohstoffe des Landes und deren Verfügbarkeit für die Weltwirtschaft. Aktuell beschäftigt sich eine für den Oscar nominierte Doku, oder besser ein filmisches Essay, mit der Unabhängigkeit des Kongo und der Verknüpfung mit US-amerikanischem Jazz. Quasi ein „Soundtrack to a Coup d’Etat“. Im Verleih von Grand Film, im Kino ab dem 6. Februar 2025.

Eckdaten vorab: Es gibt zwei Kongos, die Republik Kongo ist ein ehemaliges französisches Kolonialgebiet; auch bekannt als Brazzaville-Kongo, nach der Hauptstadt. Das andere ist die ehemalige belgische Kolonie Kongo. Seit deren Unabhängigkeit vom 30. Juni 1960 ist Kinshasa, das ehemalige Léopoldville, die dortige Hauptstadt.

Belgisch-Kongo wurde seinerzeit zur Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo). Zwischenzeitlich in den 1970ern benannte sich das Land in Zaire um. 1974 fand dort auch der weltberühmte Schwergewichts-Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman, der „Rumble in the Jungle“ statt.

Patrice Lumumba wurde der erste Ministerpräsident, Joseph Kasavubu der erste Staatspräsident der jungen Demokratie Kongo. Doch schon bald entstand Uneinigkeit, und beide Staatsmänner setzten sich gegenseitig ab. Patrice Lumumba wird in der Folge unter Hausarrest gestellt, kann Fliehen und wird schließlich in Élisabethville in der Provinz Katanga erneut festgesetzt und erschossen.

„Wenn Geschichte schläft, spricht sie im Traum…

Katanga hatte sich zuvor als eigener Staat unter der Regierung von Moïse Tschombé unabhängig erklärt. Das ist insofern von Bedeutung, weil hier sehr große Vorkommen an Uran und seltenen Erden zu finden sind. Die ehemalige Kolonialmacht Belgien wollte den Zugriff auf die Rohstoffe ebensowenig aufgeben wie die USA. (Was sich mit der Einbindung von Apple und Tesla Clips im Film bis in die Gegenwart zieht.)

Während die UdSSR wiederum die Unabhängigkeit der DR Kongo unterstützte – gleichwohl ebenfalls Einfluss beabsichtigte – und sich so mitten auf dem afrikanischen Kontinent ein Stellvertreterkrieg und später eine Bewegung blockfreier Staaten entwickelten. Wikipedia formuliert das folgendermaßen: „Insbesondere die kontinuierlichen Interventionen Belgiens, der USA, aber auch der Sowjetunion führten zu einem allmählichen Zerreißen der jungen Nation.“ (Eintrag zur DR Kongo).

Die Unabhängigkeitsbewegung der afrikanischen Staaten in den 1960ern traf in den USA auf eine schwarze Bürgerrechtsbewegung und wurde zu einem politischen, afro-amerikanischen Bewusstsein. Das manifestierte sich auch in musikalischer Hinsicht, vornehmlich im Jazz. So hat die Regierung der USA afro-amerikanische Jazzmusiker wie beispielsweise Nina Simone und Louis Armstrong dort auf Tourneen geschickt und gleichzeitig hinter den Kulissen an den Machtverhältnissen gedreht.

Amerikanischer Jazz wird also zum „Soundtrack to a Coup d’Etat“. Der belgische Dokumentarfilmer Johan Grimonprez montiert Archivaufnahmen (Bild und Ton) aus der Zeit zusammen mit späteren politischen Analysen, die von berufenen Persönlichkeiten vorgetragen werden. Daraus ergibt sich eine Collage, die eben jenen Zusammenhang zwischen afrikanischer Politik, Weltpolitik, amerikanischer Bürgerrechtsbewegung und Jazz herstellt, beziehungsweise darlegt.

…auf die Augenbrauen der Schlafenden.“ (Octavio Paz)

Solche Art informations-intensiver Collage erschließt sich am ehesten als Assoziationsraum und frei fließendes Essay in Filmformat. Darin ist Johan Grimonprez dem Filmschaffen von Raoul Peck nicht unähnlich. Der hatte bereits im Jahr 1991 eine Doku und 2000 dann einen Spielfilm über „Lumumba“ gedreht und mit der Doku „I Am not Your Negro“ (2016) James Baldwin und die schwarze Bürgerrechtsbewegung in Szene gesetzt. Auch die Doku „Overgames“ von Lutz Overbeck ist in ihrer Machart nicht unähnlich zu dem was Grimonprez anbietet, wenngleich thematisch anders ausgerichtet. Das „Black Power Mixtape“ wiederum stellte schwedisches TV-Archivmaterial zur politischen Bewegung zusammen.

„Soundtrack to a Coup d’Etat“ hat eine beachtliche Lauflänge von 150 Minuten und es dauert eine Weile bis sich das von 5 Editor:innen und 10 Rechercheur:innen gesichtetes Material zu einem Bewusstseinsstrom verbindet. Das ist filmisch und politisch durchaus interessant, aber auch fordernd. Die Frage bleibt, ob das Publikum der These des Filmmachers folgen mag, dass der Jazz in der Kongokrise gewirkt hat? Ansonsten ließe sich auch ein anderes Narrativ finden und in der Phase der Dekolonialisierung in den Zusammenhang stellen.

„We use music as a weapon against inhumanity against men.“ (Max Roach)

Ich habe „Soundtrack to a Coup d’Etat“ aus mehreren Gründen als sehr anstrengend, nichts desto trotz lohnenswert empfunden. Viele der Statements werden in Lettern auf die Leinwand gebracht. Es gibt also inklusive Quellenangabe viel zu lesen. Die Untertitelung macht es nicht eben leichter die Infos zu erfassen und auch zu verarbeiten. Weiterhin ist über der sprachlichen Tonspur auch immer wieder Musik zu hören.

Das ist schon kunstvoll montiert, aber es entsteht doch eine gewisse Kakophonie, die sich erst im Filmverlauf besser verarbeiten lässt. Auch ist es nicht unbedingt hilfreich die Jazz-Musik nur in Soundschnipseln anzubieten. Das gibt eine gewisse Anspannung wieder, die wohl durchaus der damaligen weltpolitischen Lage entsprechen mag, aber das Filmgeschehen erschließt sich nicht sogleich auf allen Ebenen.

„Soundtrack to a Coup d’Etat“ ist vor allem politisch Interessierten und Jazzfans zu empfehlen. Wer sich mit der historischen und politischen Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent beschäftigt, mag viele Denkansätze finden. Johan Grimonprez Aufarbeitung ist reizvoll, kunstvoll und ästhetisch packend, aber nicht essentiell. Es gibt genug andere Filme und Bücher, die die „Kongo Wirren“ aufarbeiten. Immerhin hat es „Soundtrack to a Coup d’Etat“ auf die Shortlist der Academy Awards 2025 geschafft als Anwärter für den besten Dokumentarfilm.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Soundtrack to a Coup d’Etat
OT: Soundtrack to a Coup d’Etat
Genre: Doku, Politik, Musik, Kolonialismus,
Länge: 150 Minuten, NL /B, OmU, 2024
Regie: Johan Grimonprez
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Grand Film
Kinostart: 06.02.2025

Mit Auszügen aus:
„My Country, Africa“ von Andrée Blouin, erzählt von Zap Mama (Marie Daulne)
„Congo Inc.“ von In Koli Jean Bofane
„To Katanga and Back“ von Conor Cruise O’Brien, erzählt von Patrick Cruise O’Brien
Audiotagebücher von Nikita S. Khrushchev

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