Wenn das mal kein gutes Timing ist: In diesem Jahr soll Jazz-Pianist Erroll Garner bei den Grammys mit dem Trustee Award geehrt werden. Die Doku „Misty – The Errol Garner Story“ gibt sich auf Erinnerungstour und trifft Mitmusiker und Wegbegleiter. Der schweizer Dokumentarfilmer Georges Gachot nähert sich der Angelegenheit mit Stil und Unterstützung von Trompeter Nils Petter Molvær. In den Kinos ab dem 23. Januar 2025.
Die Spurensuche beginnt mit stilvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen und der Einfahrt nach Pittsburgh über eine Brücke. Dort trifft das Filmteam den Bassisten und Komponisten Earnest McCarthy, der erzählt, dass er in einem New Yorker Club zur Hausband gehörte und eines Abends gleichzeitig von Carmen McRae und Errol Garner abgeworben werden sollte. Garner bekam den Zuschlag, weil er besser zahlte und versicherte, er würde weniger auftreten.
Später im Filmverlauf kommen noch Garner-Schlagzeuger Jimmie Smith und Garner Biograph Jim Dolan dazu, um sich musikalisch an ihren Freund zu erinnern. Außerdem besucht das Filmteam um Filmmacher Georges Gachet („Maria Bethania: Misica e perfumé“) auch Garners uneheliche Tochter Kim Garner. Die bekam ihren Vater nur ein einziges Mal zu Gesicht, als ihre Mutter sie im Hotel des Pianisten abgegeben hat. Und zu Wort kommt auch die spätere Lebensgefährtin Garners, Rosalyn Noisette, die bis zu seinem Tod mit ihm in Kalifornien lebte.
„Play Misty for Me“
Erroll Louis Garner (1921 – 1977) selbst bleibt ein wortkarges Mysterium, das eher die Finger sprechen lässt als sich öffentlich zu äußern. Doch hinter der gelassenen Gentleman-Fassade mag es bisweilen gebrodelt haben. So habe Garner eine gesamte Tour lang darauf verzichtet seinen größten Hit „Misty“ zu spielen. Als Reaktion, weil seine Managerin Martha Glaser darauf bestand, dass Garner stilistisch von seiner rhythmischen linken Hand wegmüsse, die als sein musikalisches Markenzeichen gilt.
In „Misty“ fügen sich aktuelle Begegnungen und Archivaufnahmen zu einem stilvollen Ganzen zusammen, für das Jazz-Trompeter Nils Petter Molvær zudem noch einige Takte Originalmusik hinzufügte und an einer Stelle des Films auch auf der Straße musiziert. Allein es bleibt ein etwas unbefriedigender Eindruck.
Mehr als nur ein Jazz-Klassiker
Weder kommt das Publikum der Person Errol Garner näher, von dem seine Lebensgefährtin erinnert, dass er geruchssensibel war. Er mochte es nicht, wenn Menschen sich parfümierten, weil sie ihre Persönlichkeit dadurch versteckten. Noch sind neue musikalische Einblicke zu gewinnen. Immerhin hat Biograf Jim Doran noch mitschnitte einer besonderen „Misty“-Version auf Kassette.
Ich bin nicht gerade Jazz-affin und doch stolperte ich eines Tages in der verramschten Antiquariats-Kiste über eine CD von Garners weltberühmten „Concert by the Sea“, das 1955 erschien und zu den meistverkauften Jazz-Alben seiner Zeit zählte. Es dauerte ein wenig sich in den markanten Stil einzuhören. Garner ist ein Musiker vieler Noten, was schnell zur Abschreckung beitragen kann, aber in diesem Fall eine Faszination erweckte, die tiefergehendes Eintauchen inspirierte. Auch wie die Album-Atmosphäre mich an den legendären Dokumentarfilm „Jazz an einem Sommerabend: All of Newport“ erinnert, ist schon schön. Dies nachhallende Qulität erreicht die Doku „Misty“ nicht, aber sehenswert ist sie dennoch.
„Misty – Die Erroll Garner Story“ holt einen der ganz großen Jazz-Musiker wieder zurück in die Öffentlichkeit. Berits kurz nach seinem Tod in den 1970ern verschluckte der Zeitgeist die Erinnerung an Erroll Garner. Immer wieder Taucht dieser Klassiker des Jazz-Pianos dann aber aus der Versenkung auf und begeistert mit seinem einzigartigen Stil. So auch hier.
Film-Wertung: (6 / 10)
Misty – The Erroll Garner Story
OT: Misty – The Erroll Garner Story
Genre: Doku, Musik, Biografie
Länge: 100 Minuten, F/CH/D 2024
Regie: Georges Gachot
Mitwirkende: Earnest McCarthy, Jimmie Smith, Jim Doran
FSK: ohne Altersbeschränkung, ab 0 Jahren
Verleih: Cologne Cine Collective / Real Fiction Films
Kinostart: 23.01.2025
offizielle Filmseite
Erroll Garner Webseite
PS: „Die Geheimnisse von Pittsburgh“ ist der Titel des Debutromans von Michael Chabon