Corto Maltese – Band 17: Die Lebenslinie

Selbst Jahre nach dem Tod von Hugo Pratt ist ein neues Abenteuer des Weltenbummlers Corto Maltese für den Rezensenten ein literarisches Ereignis. Das Kreativduo Canales und Pellejero entführen die Leserschaft in das umkämpfte Mexiko der späten Zwanziger Jahre. Corto Maltese braucht Geld und soll unter falschem Namen präkolumbianische Jadefiguren ankaufen. Das klappt selbstredend nicht einfach so und der Kapitän ohne Schiff steckt mitten drin in einem Bürgerkrieg.

Tatsächlich hat Corto Maltese aktuell ein Schiff. Sein Segler, die Ninja de Gibraltar, ankert in einer Bucht vor Yucatan und wird von Corto überholt. Da kommt es gerade Recht, das Golden Rosemouth ihre Schulden bezahlen will. Aber die Sache hat einen Haken und Corto muss als englischer Museumsdirektor erst noch Jade-Figuren aufkaufen.

Als Everett Hale begibt sich Corto zu den Ausgrabungen am Tempel von Kulkulcan, wo auch gerade der USA-Botschafter Morrow mit seiner Tochter auf Visite ist. Und deren Ehemann Charles Lindberg macht in der Nähe gerade Testflüge. Doch als Corto zurück ist in der Hafenstadt Merida, hat Gouverneur Torres dessen Schiff einkassiert.

Corto soll gezwungenermaßen eine Waffenlieferung an die Union der Katholiken begleiten um seinen Segler wiederzubekommen. Das führt mitten hinein in die Bürgerkriegskämpfe zwischen der Armee der jungen mexikanischen Republik und den reaktionären katholischen Revolutionären. Warum ist Corto nicht erstaunt, dass der Priester in dem Bergdorf sein alter Bekannter Rasputin ist?

Viva Zapata

Schon immer hat sich Corto Maltese, der Abenteurer von Hugo Pratts Gnaden an den Rändern der Weltgeschichte bewegt und in seinen Abenteuern immer wieder reale Personen getroffen, die den Erzählungen eine ganz eigene Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit verschafften. Das ist auch in „Die Lebenslinie“ nicht anders und nach dem wortgewandten Vorwort vom Casterman-Chefredakteur Benoit Mouchard folgen einige Skizzen zum aktuellen Abenteuer und eine kurze Einführung in die historische Situation in Mexiko, in die Corto Maltese geraten ist und eine Kurzcharakteristik der historischen Gestalten, die auftreten.

Wie gewohnt ist auch der 17. Corto Maltese Band in einer kolorierten Fassung und einer Schwarz-weiß-gehaltenen Klassik-Edition erhältlich. Spätestens seit Rubén Pelejero und Juan Díaz Canales die Serie vor fünf Alben übernommen haben, ist die „Klassik-Edition“ die außergewöhnliche. Die Pratt-Abenteuer wurden alle erst nachträglich koloriert. Wie auch immer, hier liegt die kolorierte Fassung vor und gewinnt mit expressiver und elegante Farbgebung.

Aus den Ruinen lesen

Allein das halbseitige Opening Panel mit der vor Anker liegenden „La Ninja“ zeigt eine hinreißende Variation von maritimen Blautönen, die ich nicht missen möchte. Auch später sind die quasi monochromen Seiten in der Hitze der Hochebene beinahe psychedelisch angehaucht in ihrer vermeintlichen Schlichtheit.

Immer wieder auch sorgt die Kolorierung für eine beinahe plastische Unterscheidbarkeit von Bildvorder- und Hintergrund. Anders und quasi entgegengesetzt versprüht die schillernde Lebendigkeit des Nachtlebens in der Hafenstadt Farben, die an „Nacht in Berlin“ erinnert, das herausragende vorangegangenen Album.

Auch „Die Lebenslinie“ ist ein sehr lesenswertes Corto Maltese Abenteuer geworden. Tatsächlich erscheint der Motor der Handlung bisweilen etwas willkürlich, die Getriebenheit des Schmugglers von einer Situation in die Nächste wirkt zwar sehr dynamisch, gibt den einzelnen Etappen aber auch wenig Raum. Eine gewisse Rastlosigkeit begleitete die Lesereise. Vielleicht wäre weniger in diesem Fall mehr gewesen, oder die unübersichtliche Gesamtsituation im Damaligen Mexiko bräuchte für den Rezensenten mehr Orientierungspunkte.

Potemkinsche Stufen in Mexiko

Die sind freilich nicht vorgesehen in einer Abenteuergeschichte, die durchaus klassische Züge hat und sich bisweilen auch beim Italowestern bedient. „Der Schatz der Sierra Madre“ spielt übrigens 1925, also kurz nach der Zapata-Revolution und kurz vor der „Cristiada“, die Mexiko ein weiteres Mal in blutigen Aufruhr versetzte.

Vielleicht aber will „Die Lebenslinie“ auch eher etwas philosophischeres Erzählen und die Sterblichkeit des ewigen Abenteurers wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. So wie es Mouchard in seinem Vorwort andeutet. Vielleicht trinken die Weggefährten Corto und Raspa Brüderschaft auf den Stufen zur Kathedrale?

Mit „Die Lebenslinie“ ist dem Szenaristen Juan Díaz Canales und dem Illustrator Rubén Pellejero ein weiteres lesenswertes „Corto Maltese“-Abenteuer gelungen. Erneut finden die beiden ihre eigene Handschrift und Strichführung, ohne das Erbe des großen Hugo Pratt zu verleugnen. Ich persönlich war von „Nacht in Berlin“ stärker berührt, aber das ist auch immer Geschmacksfrage.

Comic-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Corto Maltese – Band 17: Die Lebenslinie
OT: Corto Maltese: La Línea de la Vida, Casterman, 2024
Genre: Comic, Abenteuer, Geschichte,
Autor: Juan Diaz Canales
Zeichner: Rubén Pellejero
Vorwort: Benoit Mouchard
Übersetzung: Daniel Nogueira & Resel Rebiersch
ISBN: 978-3-96582-174-3
Verlag: Schreiber & Leser, Hardcover, 96 Seiten
VÖ: 05.12.2024

Corto Maltese: Die Lebenslinie bei Schreiber & Leser

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