Lincoln: 1. Auf Teufel komm raus

Eigentlich hatte ich den ersten Band der abstrusen französischen Western-Serie „Lincoln“ schon im Herbst vorstellen wollen. Aus Zeitgründen hat das nicht geklappt und nun ist bereits der zweite Band von „Lincoln“ bei Schreiber & Leser erschienen und wird hier demnächst vorgestellt. Freundlicherweise hat Schreiber & Leser auch den ersten Band zu Rezensionszwecken mitgeschickt, damit ich den herrlich bissiger und philosophischen Ritt nach Westen in seiner ganzen Pracht vorstellen kann.

Lincoln wird im Sommer 1887 bereits mit einer Wut im Bauch und grundsätzlich mieser Laune geboren. Als Kind nörgelt er dauernd respekt- und furchtlos herum, geht den Erwachsenen mit seiner altklugen Besserwisserei und seinen trostlosen Kommentaren zur Lage der Welt auf den Senkel und wird früh rausgeschmissen. Wie Lincoln tatsächlich heißt, weiß er nicht, da ihn jeder immer nur mit Schimpfnamen gerufen hat. Lincoln gefiel den missmutigen Jungen und seither zieht er unter diesem Namen seiner Wege.

Lincoln benimmt sich wie ein gewissenloser Gauner, klaut, bedroht und hurt herum wie es allerbeste Outlaw-Tradition ist. Dann läuft ihm Gott über den Weg – zumindest behauptet der bärtige Ponchoträger, Gott zu sein – und versucht Lincoln zu einem besseren Menschen zu machen. Das klappt überhaupt nicht. Lincoln leiht sich von Gott Geld, das er direkt versäuft und bei Pokern verliert. Er vertraut darauf, dass Gott ihn tatsächlich unsterblich gemacht hat, damit dessen kleines „Experiment“ auch in Gang kommt. Zu Gottes Verwunderung macht Lincoln allerdings überhaupt keine Anstalten, ein bessere Mensch oder gar ein Held zu werden.

„Welt jetzt kannst du was erleben.

Die französische Comic-Serie „Lincoln“ ist eine Familienproduktion, die Autor Olivier Jouvray zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jérôme als Zeichner und dessen Ehefrau Anne-Claire als Koloristin erschaffen hat. Dabei ist der optische Stil der Western-Komödie mit philosophischem Einschlag schon etwas eigen. Die Figuren sind recht kantig und cartoonesque ausgefallen und die Szenarien je nach Bedarf mehr oder minder detailliert ausformuliert und meisten monochromatisch Ton in Ton eingefärbt. Insgesamt ist die Farbpalette eher erdverbunden und die Grafik ist auf das Wesentliche beschränkt.

Inhaltlich erzählt der Antiheld „Lincoln“ aus seinem Leben und beizeiten gibt es abstruse und/oder zynische Dialoge zwischen Lincoln und Gott. Später (in Band 2) taucht auch noch der Teufel auf und beteiligt sich dem Experiment, einen guten Menschen zu machen. Wer also auf Action hofft, ist in „Lincoln“ falsch und anders als beispielsweise in „Lucky Luke“ ist „Lincoln“ als Protagonist eine echte Pestbeule und Handlung gibt es eigentlich wenig. Aber die Dialoge machen überraschend viel Spaß.

„Wo liegt das Risiko? Werde ich umgelegt?

Während man sich als Leser bei der französischen Western-Serie anfangs fragt, was das Ganze eigentlich soll, wird irgendwann klar, dass die Macher einen Heidenspaß daran haben, die Erwartungshaltung der Leser und die Genreanforderungen an Western, Italowestern und auch an Comic-Strips systematisch zu unterlaufen. Dabei gestalten sich nicht nur die Dialoge als überraschend witzig, sofern man eine gewisse Art von zynisch-philosophischem Humor mag, sondern auch der scheinbar schlichte und kantige Zeichenstil erweist sich als erstaunlich subtil. In einigen Panels sind es einfach die lachende Augen oder kleine versteckte Gesten der Figuren, die sehr zur Wirkung des Humors beitragen.

In Frankreich und den Beneluxländern ist „Lincoln“ inzwischen eine Institution. Nicht nur, dass der griesgrämige Cowboy es inzwischen auf neun Alben gebracht hat, Lincoln hat auch eine eigene Webseite, auf der auch „Lincoln“-Merchandise“ angeboten wird. Quasi als Ritterschlag kommt dann noch ein Mauerbild in Belgiens-Comichauptstadt Brüssel hinzu, das Bestandteil des touristischen comic-Pfades ist.

Das einzig Konstante in „Lincoln“ scheint die Unvorhersehbarkeit zu sein. Der existentialistische Western-Diskurs mit einem misanthropen Cowboy und einem schelmischen Gott hat mehr als nur Kult-Potential. Endlich ist diese nihilistische Comic-Perle auch bei uns zu bekommen. Oder, um mit „Lincoln“ zu enden: Wo soll das bloß hinführen…

Comic-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Lincoln Band 1: Auf Teufel komm raus
OT: Lincoln 1 – Crane de Bois, 2002
Genre: Comic, Western, Satire
Autor: Olivier Jouvray
Zeichnungen: Jérôme Jouvray
Farben: Anne-Claire Jouvray
Übersetzung: Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber und Leser, Hardcover Album, 48 Seiten
ISBN: 978-3-946337-68-3
VÖ: 04.09.2018

Offizielle Lincoln Homepage (Französische)
Lincoln bei Schreiber und Leser