Halloween Blues – 1. Omen: Das zweite Gesicht

Die Witwe eines Kriegskameraden bittet den mordverdächtigen Polizisten Forester Hill, den Tod ihres Gatten mal genauer anzusehen. Und schon ist der New Yorker in Texas unterwegs und hat es mit seltsamer Hellseherei zu tun. Der findige Comic-Verlag Schreiber & Leser hat mit der Thriller-Serie „Halloween Blues“ mal wieder eine vergessene Perle des franko-belgischen Krimis aufgetan. Im Handel seit Anfang Oktober 2024 als deutsche Erstveröffentlichung.

In dem kleinen Kaff Kilmer in Texas findet ein altes Ehepaar mitten im Winter eine junge, fast erfrorene Frau auf der Türschwelle ihrer Farm. Es stellt sich heraus, dass die Dame hellseherische Fähigkeiten hat. Das führt einige Monate später zu einer Katastrophenvorhersage. Daraufhin verkaufen fast alle Orangenfarmer der Gegend ihr Land, denn die Überschwemmung kommt genauso sicher wie alle anderen Weissagungen von Millie.

Nur John Rother will weitermachen. Als er bei einem Verkehrsunfall zu Tode kommt, besucht seine Witwe June Johns alten Armeefreund Forester Hill. Der ist Polizeiinspektor in New York und hat gerade ganz andere Sorgen. Oder eigentlich nicht mehr. Das Gericht hat ihn vom Mordverdacht an seiner Frau freigesprochen.

Forrester war mit der Schauspielerin Dana Hill verheiratet, die im Haus der Hills ermordet von ihrem Gatten aufgefunden wurde. Der erinnert sich nicht an den Abend, hat aber seither immer wieder geisterhaften Besuch von seiner Frau, die nicht weiß, wer sie ermordet hat, aber sie verdächtigt ihren Ehemann. Der (attraktiven) Witwe in Nöten beizustehen kommt dem Inspektor also ganz gelegen. Ebenso der Ortswechsel. Angekommen in Texas macht sich Forester auch gleich ans Ermitteln.

Die Witwe und der Polizist

Es gab und gibt im europäischen Comic, gerade wenn er populäre und klassische Hollywood-Themen bedient eine beinahe nostalgische Sehnsucht nach Amerika. Die findet sich in Girauds „Bluberry“ ebenso wieder wie in den Genre-Geschichten um „Michel Vaillant“, „Rick Masters“ und dergleichen, die hierzulande einst im „Zack“-Magazin veröffentlicht wurden. Viele davon wurden im belgischen Verlag Le Lombard veröffentlicht.

Insofern kann man „Halloween Blues“ als einen Rückgriff oder eine Hommage an diese Comic-Tradition verstehen, denn hier wird diese Erzähltradition zu Beginn der 200er Jahre fortgesetzt, beziehungsweise wieder aufgenommen. Freilich mit meisterhaften Twists, denn wo einst hartgesottene Kerle wie Marlowe und Archer ermittelten, steht nun ein zwielichtiger Polizist im Mittelpunkt, der auch noch Gespenster sieht. Darin liegt eine erhebliche Verschiebung des erzählerischen Momentums.

Etwa eine Dekade später (2013) schicken Grant Morrison und Derrick Robertson in „Happy“ einen Killer los, der ein niedliches, sprechendes, blaues Einhorn sieht, aber das ist eine andere Geschichte und inzwischen auch eine Netflix-Serie.

Der Blick nach den USA

„Halloween Blues“ ist eine Kooperation des polnischen Autors Zbigniew Kasprzak, der sich schlicht Kas nennt, und des belgischen Comic-Zeichners Jean-Claude Smit-le-Bénédicte alias Mythic. Beide haben in der belgischen Comicszene so ihre Verdienste sind hierzulande aber wenig bekannt. So ist auch nicht verwunderlich, dass die siebenteilige Thriller-Reihe „Halloween Blues“ bei uns bislang nicht veröffentlicht wurde. Die Kolorierung übernimmt übrigens die Polin Grażyna Fołtyn-Kasprzak alias Graza.

Nun mag sich die Leserschaft fragen, was sie mit einer 20 Jahre alten Krimiserie soll? Das ist grundsätzlich leicht zu beantworten, denn (literarische) Qualität altert nicht. Insofern mag sich der Zeitgeist geändert haben, aus dem heraus „Halloween Blues“ einst entstanden ist, aber die rätselhafte Krimi-Geschichte und die lebendigen, vielschichtigen Figuren sind ebenso zeitlos gealtert wie die Art der Illustration. Ich persönlich würde das nicht mehr für klassische Ligne Claire halten, aber immerhin in der Tradition dieses prägenden Zeichenstils mit klaren Konturen und klaren Panelaufteilung. Hier kommen allerdings deutlich mehr modernere Comic Elemente hinzu, etwa Faltenwurf an Hemden und Jacken, leichte Schraffuren auf Flächen und sehr detaillierte Hintergründe.

Zeitloser Look und pfiffige Charaktere

Das Gesamtbild stimmt und das grafische Erzählen ist mit klaren Struktur und einigen visuell unterscheidbaren Erinnerungen ansprechend und leicht zu lesen. Die Leserschaft kann sich auf die Inhalte und die Charaktere konzentrieren. Wenn sie denn nicht abgelenkt wird von den satten Rottönen des Establishing Shots auf Kilmer, Texas. Oder von dem „Shining“-artig blutverschmierten Raum mit der Toten Dana Hill (Seite 15), oder den restfleckigen Autowracks (Seite 33), die so knackige Farbqualitäten besitzen, dass sie herausstechen.

Viel zu oft, gerade im der Franko-Belgischen Comic-Szene wird auf die Arbeitsteilung zwischen Szenarist:in und Illustrator:in hingewiesen und von kongenialen Kreativ-Duos geschwärmt, ohne auf die Kolorierung zu achten, die häufig genug aus anderer Hand stammt. Graza hat etliche „Thorgal“-Arbeiten veredelt und einige gezeichnete Geschichten ihres Landsmannes Grzegorz Rosiński („Skarbek“).

Wer sich auch in Sachen Film interessiert wird jüngst über „Das Flüstern der Felder“ gestolpert sein. Ein durchgehend nachillustriertes Drama, das der ganzen Kunstfertigkeit polnischer und osteuropäischer Illustratoren, Graphiker und Maler huldigt. So mag auch Graza ihre profunde Ausbildung zu solch hinreißenden Farbgebungen nutzen, die doch immer im Dienst der Story bleiben.

Und weil ich gerade dabei bin, in Band 1 Von „Halloween Blues“ wird nicht explizit gesagt, wann die Handlung spielt, aber Susan Hayward, mit der Dana Hill verglichen wird, hat 1959 den Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin bekommen. Für den Film „I Want to Live“ (Deutsch: „Lasst mich leben!“) von Regisseur Robert Wise („Sound of Music“, „West Side Story“). David Lean hat auch Filme gedreht („Lawrence of Arabia“, „Doctor Zhivago“) aber keinen der „Dancing in the Dark“ heißt. Soviel dazu.

Der texanische Auftakt der Thriller-Serie „Halloween Blues“ schwelt in US-amerikanischer Krimi-Nostalgie und einem Hauch Crime Noir. Das ist schon sehr packend zu lesen, wenngleich von Autor Kas streckenweise genretypisch erzählt. Mythic bebildert den Band ebenso hinreißend und zeitlos. Aber der grafisch überraschende und entzückende Aspekt ist die Farbgebung von Graza. Wir bleiben gespannt.

Comic-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Halloween Blues – Band 1: Omen
OT: Halloween Blues – 1. Prémonitions, Editions du Lombard, 2003
Genre: Comic, Krimi, Thriller,
Autor/ Szenarist: Kas
Zeichnung: Mythic
Farben: Graza
ISBN: 978-3-96582-172-9
Verlag: Schreiber& Leser, Hardcover Album, 48 Seiten,
VÖ: 08.10.2024

Halloween Blues bei Schreiber & Leser

Schreibe einen Kommentar