Mit der Gesamtausgabe von „Skarbek“ veröffentlicht der stilsichere Comicverlag Schreiber &Leser einen historischen Rachethriller, der mit wendungsreicher Story und großartigem Artwork besticht. Das gestandene Kreativ-Duo Yves Sente und Grzegorz Rosinkski hat schon anderweitig zusammengearbeitet, selten aber so üppig wie in diesem Ausflug in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Im Jahr 1843 betritt der polnische Adelige Miezko Skarbek im Hafen von Saint-Malo Frankreich. Der Mann reist in Begleitung einer Karibin und macht sich direkt auf nach Paris. Dort sucht Skarbek die Nähe zu dem Kunsthändler Northbrook und lernt so auch die Sammler Courselle und Maussard.
Die drei Herren eint eine Faszination für das Oevre des Malers Louis Paulus. Dessen Werk ist überschaubar, da der Maler unter mysteriösen Umständen jung zu Tode kam. Northbrook hatte dessen Gemälde daraufhin exklusiv im Angebot und räumt den Sammlern ein kostspieliges Vorkaufsrecht an allen Werken Paulus‘ an.
Doch nun hat Graf Skarbek eine Vielzahl bislang unbekannter Paulus-Gemälde in Besitz. Angeblich hat er sie von einem Schiff, das in der Karibik havarierte. Das Brisante daran ist, dass der Exklusivvertrag der Sammler mit Northbrook bei Echtheit der Gemälde hinfällig wäre. Der Graf spricht sogar von Betrug und überredet die Sammler, den Galleristen Northbrook zu verklagen. Im Gegenzug will er ihnen Gemälde von Paulus verkaufen. Doch die Gerichtsverhandlung läuft ganz anders als angenommen.
Leibeigenschaft im Kunstmarkt
Wer den Klappentext oder die Ankündigung von „Skarbek“ gelesen hat, wird wissen, dass es in dem historischen Comic um Rache geht. Rache, die erst nach Jahrzehnten eingelöst wird. Da sollte es auch nicht verwundern, dass im Lauf der Geschichte unerwartete Wendungen geschehen und einige Leute nicht diejenigen sind, die sie zu sein scheinen. An dieser Stelle soll das genügen.
Der Verweis auf „Der Graf von Monte Christo“, Alexandre Dumas großes Racheepos, welches ungefähr in derselben Epoche angesiedelt ist, kommt nicht von ungefähr und taucht auch in der Geschichte selbst auf. Kunstvoll verstrickt Szenarist Yves Sente die Story in historische und literarische Gegebenheiten. So tritt auch ein polnischer Komponist auf, der in der Tat mit dem Adelsgeschlecht derer von Skarbek in Verbindung steht.
Zumindest weiß Wikipedia zu berichten, dass Skarbek ein altes polnisches Adelsgeschlecht ist. Die Wortbedeutung des Namens kann sowohl Schätzchen als auch Schatzmeister meinen. Womit sich der sprechende Name der Figur selbst erklärt und Illustrator Rosinski auch noch seine polnische Herkunft einfließen lassen kann.
Kunst und Kultur auf der Achse Warschau – Paris
Überhaupt waren die Beziehungen zwischen Warschau und Paris seinerzeit recht rege. Ohne darauf an dieser Stelle weiter einzugehen. Die Geschichte mag an der einen oder anderen Stelle zuviele Volten schlagen, aber wenn’s der Bildfindung dient, hat es absolut seine kreative Berechtigung.
Ohne „Torgal“ kein „Skarbek“. Thorgal ist eine schon sehr lange laufende Comic-Fantasy-Serie, die hierzulande im Splitter Verlag aufgelegt wird. Illustrator Grzegorz Rosinski war über Jahrzehnte und bis zum 36. Band der Zeichner und Illustrator der beliebten Reihe. Autor – oder Szenarist, wie im frankobelgischen Comic-Universum gesagt wird – war, annähern ebenso lange Jean van Hamme. Der wurde dann von Yves Sente abgelöst, der die letzten von Rosinski illustrierten Abenteuer Handlungsrahmen versah. Yves Sente seinerseits ist auch ein Autor der beliebten Detektiv-Comicreihe „Blake und Mortimer“, hierzulande bei Carlsen Comics verlegt.
„Skarbek“ nun wieder ist ein abgeschlossenes Abenteuer, das ursprünglich 2005 und 2006 in zwei Alben erschein. Band 1 „Hände aus Gold“ erzählt quasi bis zur überraschenden Wendung des Prozesses, Band 2 „Herz aus Bronze“ erzählt dann von dem wendungsreichen Schicksal des tot geglaubten Malers. Im Sammelband ist auch noch ein „Skizzenbuch von Rosinski beziehungsweise Louis Paulus“ angefügt, dass sowohl Arbeitsweise als auch Motivfindung und Panelkomposition veranschaulicht.
Sklaverei in der Karibik
Das ist insofern spannend, weil Rosinski zu jenen Künstlern gehört, die ihre Zeichnungen oftmals mit Direktkolorierung versehen. Eine Technik, bei der Farbe direkt auf die Zeichnungen aufgetragen wird. Im Unterschied etwa zu der üblichen zeichnerischen Arbeitsteilung, die auf Fotokopien stattfindet. Bei der ein:e Künstler:in die Zeichnungen anlegt, ein weiterer die Tuschezeichnung ausführt und eine dritte die Farbgebung ausführt.
Das Artwork ist der eigentliche Star in „Skarbek“. Die Zeichnungen scheinen durch, die Figuren wirken lebendiger und dynamischer als mit klarer Konturlinie. Die Hintergründe sind hinreißend üppig und vielfältig und detailreich. Beispielsweise ist allein die Kontur der Vorhalle des Gerichtsgebäudes auf Seite 53 eine großartige architektonische Perspektivskizze. Anders, aber nicht weniger faszinierend, sind der Salon von Monsieur Courselle auf Seite 11 oder die karibische Bucht auf Seite 62.
Böen des Schicksals, Stürme der Rache
So viele Möglichkeiten des zeichnerischen und malerischen Ausdrucks kann Grzegorz Rosinski in die Geschichte einbringen, dass es komplett unerheblich wird, ob die Geschichte möglicherweise eine Wendung zuviel macht. Schließlich befindet sich die geneigte Leserschaft in einer Bildgeschichte und da sind die Schauwerte immer auch ein wesentlicher Antrieb weiterlesen zu wollen.
Tatsächlich ließen sich auch noch stilistische Unterschiede zwischen Band 1 und Band 2 herausarbeiten, aber es mag genügen, dass der Rezensent bei den Exterieurs und Seeschlachten im „Herz aus Bronze“ mehr Abenteuer riechen konnte, als in den parfümierten Pariser Sälen und Salons.
Die Wiederveröffentlichung des Werkes von Autor Yves Sente und Illustrator Grzegorz Rosinski ist für alle Fans üppiger historischer Geschichten eine absolute Empfehlung.
Comic-Wertung: (8 / 10)
Sente/Rosinski: Skarbek – Gesamtausgabe
OT: Skarbek – Intégrale Complète, Dargauld, 2008
Genre: Comic, Krimi, Drama
Autor: Yves Sente
Illustrator: Gregor Rosinski
Übersetzung: Resl Rebiersch
ISBN: 978-3-96582-123-1
Verlag: Schreiber & Leser, Hardcover, 128 Seiten.
VÖ: 01.03.2023