Civil War: 857 Meilen nach Washington D.C.

Ich kenne tatsächlich Leute, die es nicht so mit Fremdsprachen haben, daher die deutsche Übersetzung: „Bürgerkrieg“. Mit dem Superheldenevent bei Marvels Avengers hat Alex Garlands jüngste Regiearbeit ebenso wenig zu tun wie mit dem amerikanischen Sezessionskrieg von 1861-65. Hier geht es um eine Dystopie, die in ganz, ganz naher Zukunft angesiedelt ist. Seit dem „Sturm auf das Kapitol“ in Washington 2021 scheint das Szenario nicht mehr vollkommen undenkbar zu sein. Im Kino ab 18. April 2024.

Die Fotografin Lee (Kirsten Dunst) ist eine renommierte Kriegsberichterstatterin. Aktuell sitzt der amerikanische Präsident von loyalen Truppen bewacht in Washington im Weißen Haus fest, denn eine der kämpfenden Parteien bewegt sich ziemlich konsequent auf die Hauptstadt zu. Aktuell verläuft die Frontlinie (oder eine davon) in Charlottesville im Südwesten der Hauptstadt.

Lee und ihr Reporterkollege Joel (Wagner Moura) sind gerade in New York und beschließen den Präsidenten zu interviewen, solange dessen Streitkräfte den Kampf noch nicht verloren haben. In der Hotellobby, in der sich die Journos treffen, warten auch Lees ehemaliger, in die Jahre gekommener Boss Sammy (Stephen McKinlay Henderson) auf eine Mitfahrgelegenheit in Richtung Kriegsgeschehen. Außerdem lässt sich die junge, ehrgeizige Fotografin Jessie (Cailee Spaeny) von Lee nicht abwimmeln.

508 Meilen bis Washington

Am nächsten Morgen macht sich die Vierertruppe im gepanzerten Presse-Auto auf den Weg. Zunächst bis nach Charlottesville – und dann in die Hauptstadt. Doch unterwegs gilt es lebensgefährliche Situationen zu umschiffen und an Leben zu bleiben. Eventuell ergeben sich noch ein paar stimmungsvolle Fotomotive.

Wenn Autor und Filmmacher Alex Garland eine neuen Film vorlegt, darf das Publikum durchaus gespannt sein. Zwar ist Garland auch und vor allem als Drehbuchautor der Zombie-Apokalypse „28 Days Later“ und wegen der Drehbücher für Danny Boyles „The Beach“ und „Sunshine“ bekannt geworden, doch mit seinem Regie-Debut „Ex_Machina“ über künstliche Intelligenz hat Garland durchaus einen Nerv der Zeit getroffen.

So auch in „Civil War“. Die eskalierenden Bürgerproteste in Washington, die vom damaligen Präsidenteten Donald Trump noch angeheizt wurden, haben nicht nur in der US-Amerikanischen Gesellschaft tiefe Verunsicherung hervorgerufen. Es macht einen Unterschied, ob Actioner wie „White House Down“, oder „Olympus has Fallen“ das innerste Heiligtum der amerikanischen Demokratie zerlegen, oder ob in den Nachrichten Marodierende im Kapitol zu sehen sind.

278 Meilen bis Washington

„Civil War“ nun stellt die Frage, welchen Unterschied es denn macht? Im Filmszenario sind die USA in mehrere kriegführende Parteien und Regionalstaaten zersplittert. Die kampfstärkste „Western Alliance“ steht kurz davor, den Konflikt mit den Präsidialen Truppen zu gewinnen. In der unübersichtlichen Lage ist es für das Publikum vergleichsweise nebensächlich, wer kämpft, wichtig ist die aktuelle Bedrohungslage für die Protagonisten, mit denen die Zuschauer:innen unterwegs sind.

Ebenso beziehen weder der Film noch seine Protagonisten Stellung zu dem Bürgerkriegsgeschehen. An einer Stelle spricht der Kriegsberichterstatter Joel es klar aus: Der Job ist zu berichten, nicht zu bewerten. Dafür wären andere zuständig. Eine journalistische Arbeitsethik, die stark pragmatisch geprägt ist und im Arbeitsfeld des Kriegsberichterstatters durchaus naheliegt. Aber auch durchaus eine kontroverser Standpunkt.

Der Film will das Publikum dazu bringen, selbst nachzudenken, Fragen zu stellen, Sachverhalte zu durchleuchten und so ein politisches Bewusstsein schaffen. Dabei wirkt der Road Trip der Fahrgemeinschaft unterwegs nicht wesentlich verschieden zu der Zombie-Apokalypse „28 Days Later“. Auch der Anteil an Abscheulichkeiten und menschlichen Gräueltaten ist nicht eben klein. Das ist durchaus effektiv inszeniert, sorgt aber immer auch für Magengrimmen; und zumindest beim Rezensenten für erhebliche Skepsis.

Digitales und analoges Fotoequipment

Während die Darsteller und die Charaktere überzeugen, gilt das für die Szenenbilder und Locations nicht uneingeschränkt. Gerade das actionreiche Finale wirkt ebenso künstlich ausgeleuchtet wie der Saal für die Pressekonferenzen. Mag sein, dass auch das Absicht ist. So richtig überzeugend hallt das Ende nicht nach. Aber der Weg dorthin war durchaus eine holprige Pilgererfahrung.

Die Wahl der unterschiedlichen Foto-Kameras ist vordergündig dazu angetan, dass das Publikum unterscheiden kann, wer gerade fotografiert, Lee oder Jessie. Es ist aber auch ein Abbilden der Bandbreite von Berichterstattung, von News über Porträt bis zur Reportage.

Ebenso betörend wie verstörend ist der Einsatz der Musik in „Civil War“ fast immer werden die Songs unterlegt mit Bildern in Slow Motion und von Sequenzen, in denen nicht gesprochen wird. Das wirkt dann jedes Mal wie ein „Musikvideo“. Das ist in seiner konsequenten Ästhetik großartig gemacht, irritiert daher aber umso mehr.

„Civil War“ zeigt ein beinahe gegenwärtiges Bürgerkriegsszenario und die Suche von Menschen nach Orientierung und Sicherheit. Eine Gruppe von Kriegsberichterstattern bewegt sich durch den gesellschaftlichen Zerfall wie durch ein postapokalyptische Landschaft. Inwiefern das die Zuschauer:innen bewegt und mitnimmt, muss jede:r selbst erfahren. Stoff zum Grübeln bietet Alex Garlands Film auf jeden Fall.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Civil War
OT: Civil War
Genre: Thriller, Sci-Fi, Drama
Länge: 110 Minuten, USA, 2023
Regie: Alex Garland
Darsteller:innen: Kirsten Dunst, Cailee Spaeny, Stephen Mckinley Henderson, Wagner Moura,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: DCM
Kinostart: 18.04.2024