Es ist nicht ganz einfach, sich Jonas Åkerlund verstörenden Horror-Metal-Drama „Lords of Chaos“ zu nähern. Je nachdem wo du in den Neunzigern gewesen bist und was für extreme Musik du damals gehört hast, eröffnet „Lords of Chaos“ unterschiedliche Herangehensweisen und Blickwinkel unter denen man den Film sezieren kann wie weiland die norwegischen Satanisten eine ausgeweidete Ziege. Aber: ein Film ist ein Film ist ein Film und muss auch für sich selbst stehen. Doch „Lords of Chaos“ gestaltet sich ausgesprochen wackelig und alles andere als souverän.
Mitte der 1990er Jahre ist Heavy Metal als Musikgenre schon längst aus dem Nischendasein bloßen Krachs herausgewachsen und wie bei jede kommerziell erfolgreiche Szene gibt es Gegenbewegungen und Underground-Phänomene. In Sachen extremen Metals tun sich da ein paar krude Norweger hervor, die mit einem bohrenden Gitarrensound, kehligem Gesang, absichtlich schlechtem Sound und satanistischen Texten ein Phänomen aufgreifen, das zwar schon latent vorhanden war, aber nicht in dieser Präsenz eine ganze lokale Szene geprägt hat: Black Metal.
Die Band Mayhem um den Gitarristen Oystein „Euronymus“ Aarseth (Rory Culkin) hat mit nur einem Album einen Meilenstein gesetzt, der Nachahmer und Fans in seinen Bann zieht. Dass der schwedische Sänger der Band Pelle „Dead“ Olin (Jack Kilmer), depressive Tendenzen zeigt und Selbstmord begeht, befeuert den Kultstatus der Band noch.
Die Band aus Oslo hat auch Bewunderer im weit entfernten Bergen. Der schüchterne Fanboy Kristian (Emory Cohen) lernt schnell, nennt sich plötzlich Varg Vickerness und später auch Count Grishnackh und nimmt auf dem Label von Euronymus unter dem Bandnamen Burzum ein ebenfalls einflussreiches Album auf.
Die Erfindung des Black Metal
Doch die Rivalität zwischen Euroymus und Vickernes bleibt bestehen und während ersterer immer wieder zwischen „echtem norwegischem Black Metal“ und pfiffiger PR pendelt, ist es Varg Vickerness ungleich ernster mit seinen heidnischen Einflüssen und dem Hass auf das Christentum. Schon bald überflügelt der Lehrling den Meister und die Dinge eskalieren.
„Lords of Chaos“ ist betitelt nach dem gleichnamigen Sachbuch der Journalisten Michael Moynihan und Didrik Søderlind, das bereits ein paar Jahre auf dem buckel hat. Regisseur Åkerlund lässt die gesicherten Fakten, die krass genug sind, sprechen, fügt nichts Fiktives hinzu, allerdings hat der renommierte Macher von Musikvideos keine Doku gedreht, sondern eine Spielfilm. „Lords of Chaos“ wird von Euronymus erzählt, was eine gewisse Skurillität ist, die jeder Zuschauer selbst sehen kann. (Es wäre zwar kein Spoiler, darauf einzugehen, aber falls der geneigte Zuschauer sich in der Black Metal Historie nicht auskennt, kann er sich auch im Anschluss an den Film schlau machen.)
Die Erzählperspektive ist auch darum interessant, weil die 2008 erschienenen Doku „Until The Light Takes Us“ , die ebenfalls auf dem Sachbuch basiert, sich nicht nur mit der norwegischen Black Metal Szene auseinandersetzt, sondern seinerzeit viel Kritik einstecken musste, weil die Filmemacher Varg Vickerness so ausführlich, unkommentiert und demagogisch zu Wort kommen ließen. „Lords of Chaos“ nimmt also eine Gegenposition ein.
Bis das Licht uns verschlingt
Der Film ist in vielen seiner Motive und Szenen krass und absurd realistisch. Die FSK- Wertung, dem Film keine Jugendfreigabe zu erteilen ist absolut gerechtfertigt, eben weil es sich um die Aufbereitung tatsächlicher Ereignisse handelt. Explizite Szenen machen allerdings noch keine gelungenen Film und jenseits eines im Horror-Genre üblichen „Ab 18“-Adels ist die Brutalität und Gewalt in „Lords of Chaos“ eher schildernd und keinesfalls verherrlichend. Abstoßend bleibt das Gehabe der beteiligten Personen dennoch. Das erinnert auch an die Abgestumpftheit, die in Tim Hunters Jugendfilm-Klassiker „Rivers’s Edge“ (Deutsch: Das Messer an Ufer“, 1986) in der gelangweilten Kleinstadtjugend grassierte.
Aber auch dieser Vergleich hinkt, denn anders als „River’s Edge“ spielt „Lords of Chaos“ mit seiner Attitüde. Der Erzähltonfall von Euroymus gleitet etwas zu häufig ins Satirische, Ironische ab und entwertet damit die krasse Dramatik der Ereignisse. Sicher, den selbstgefälligen Satanismus der norwegischen Kirchenschänder konnte man – für sich gesehen – schon damals kaum erst nehmen, wären die Folgen nicht so desaströs gewesen. Und dennoch, die Satire nimmt „Lords of Chaos“ die dramaturgische Fallhöhe.
Die Dämonen, die sie riefen
Als Regieentschiedung ist das legitim und nachvollziehbar, aber es nimmt dem Film nicht nur seine Tiefe sondern auch seine Dynamik. Gerade wenn es um extreme Musik geht, die in ihrer Soundfülle und ihrer wütenden, aggressiven Antihaltung einzigartig ist, sollten die Szenen nicht zum Standfußball verkommen und wie ein Stück Holz inszeniert sein. Darin spielgelt sich zwar die innere Starre der Protagonisten, aber packend anzuschauen ist das nicht.
In dem fehlenden Momentum, dem Verharren in einem stockenden Zustand wiederum ähnelt „Lords of Chaos“ dann wieder Gus van Sants missglücktem Portrait der Grunge-Legende Kurt Cobain. In „Last Days“ (2005) stiefelte ein uninspirierter, depressiver und zweifelnder Musiker durch sein Haus im Wald. Darsteller Michael Pitt gibt sich alle Mühe, aber aus jenem szenischen Konstrukt wird kein lebendiges Portrait, wobei die Ähnlichkeiten mit Cobains Leben und Tod auch als künstlerische Freiheit Van Sants durchgehen.
Zurück zu „Lords of Chaos“: Jonas Åkerlund hat keinen schlechten Film abgeliefert, nur wollen die unterschiedlichen Elemente und Ansätze sich nicht zu einen stimmigen Ganzen fügen. Mal Horror-Komödie, mal satanisches Coming of Age, mal das Headbangen eines Metal-Fanboys ist „Lords of Chaos“ beileibe nicht der ultimative Film über die „Echte Norwegische Black Metal Szene“, aber eine stimmige Fiktionalisierung und eine gute Ergänzung zu Sachbuch und Doku.
Film-Wertung: (5 / 10)
Lords Of Chaos
OT: Lords of Chaos
Genre: Musikfilm, Biografie, Horror,
Länge: 117 Minuten, 2018
Regie: Jonas Åkerlund
Vorlage: Sachbuch “Lords of Chaos” von Michael Moynihan und Didrik Søderlind
Darsteller: Rory Culkin, Emory Cohen, Jack Kilmer
FSK: ab 18 Jahren, Keine Jugendfreigabe
Vertrieb: Studio Hamburg
Kinostart: 29.03.2019
DVD- & BD-VÖ: 05.04.2019