Lange her, dass Deutschland in zwei Staaten unterteilt war. In der DDR war einiges anders als in der Bundesrepublik; unter anderem der Umgang mit Jugend- und Subkultur. Gab es ja in der DDR quasi nicht. Nun erzählt die unterhaltsame Doku „Otze und die DDR von unten“ die Geschichte der DDR-Punkband „Schleimkeim“ und von Sänger Dieter „Otze“ Ehrlich, der 2005 ums Leben gekommen ist. Arsenal Film bringt die Doku von Jan Heck ab 14. März auf die Leinwand.
Die Sage will es, dass der einprägsame Slogan zu den Montagsdemos in Leipzig ausgerechnet von einem unsozialistischen Subjekt stammen soll. Zumindest proklamierte der DDR-Punk Dieter „Otze“ Ehrlich, dass er schon „Wir sind das Volk gesungen habe“, lange bevor sich da Demos von unten geregt hätten.
Fragen kann mensch jenen Otze freilich nicht mehr, denn der ostdeutsche Ur-Punk aus der Thüringer Provinz ist 2005 – unter zumindest fragwürdigen Umständen – in einer psychiatrischen Anstalt ums Leben gekommen. Dorthin war er verbracht worden, nachdem er 1999 seinen Vater getötet hatte. Die Doku des jungen süddeutschen Filmmachers Jan Heck interessiert sich aber in erster Linie für die DDR Punk-Szene und die bis heute einflussreiche Band Schleimkeim, also vor allem für die Jahre von 1979 bis 1990.
„Punk war ja nicht verboten, er war nicht erlaubt.“
Heck trifft alte Weggefährten von Schleimkeim und Otze und auch den „Rest der Band“, der seit 2008 wieder auftritt. (Mehr dazu im unten angegebenen Interview-Link auf Höhnie Record.) Lustig ist dann auch, wenn sich Berliner Altpunks an Schleimkeim erinnern und grinsend feststellen, dass der Filmemacher ebenfalls von sich behauptet, von der Musik geprägt zu sein, obwohl erst in den 1990ern geboren. Die Band selbst hat sich Instrumente und Equipment zunächst selbst gebastelt. Später dann „Kram verwendet, den Karat nicht mit dem Arsch angeguckt hätten“.
Und weil der Gegenstand der Betrachtung so weit in der Vergangenheit liegt, und die Subkultur selten einmal gut dokumentiert ist, zumal wenn sie als nicht erlaubt gilt, gibt es kaum Aufnahmen und bewegte Bilder von Schleimkeim. „Otze und die DDR von unten“ geht mit diesem Umstand recht flott um, montiert diverse Fotos in punkaffinem Tempo zu Collagen und stimmungsvolle Zeitkolorit-Aufnahmen.
Ganz aus der Luft gegriffen ist die Recherche nun aber auch wieder nicht, denn im Ventil-Verlag ist seit 2013 ein Buch über Schleimkeim und die Punk-Szene in der DDR erhältlich, dass immer wieder in erweiterter Neuauflage erscheint. 2023 ist außerdem die Bandgeschichte als Graphic Novel um die Songtexte erschienen. Aber da war die Doku längst fertig. Immerhin hat es vier Jahre gedauert, den Film ohne Fördermittel und im Punkstyle, ganz Do It Yourself (DIY), zusammenzuschustern.
„Der (Otze) hatte zuviel Energie. Der musste sich auch mal runtertun.“ (über den Alkohol- & Drogenkonsum)
Der Gang ins Kino empfiehlt sich für Musikaffine ohnehin. Aber auch über den musikalischen Gegenstand hinaus hat die Doku etwas zu erzählen über das Jung Sein in der DDR. Das jugendliche Rebellieren, den Freiheitsdrang und die Repressionen und die Bespitzelung innerhalb der Szene. Für ältere Semester mag das großteils bekannt und/ oder selbst erlebt sein, aber für eine nachwachsende Generation von Punks hat „Schleimkeim – Otze und die DDR von unten“ durchaus Informationsgehalt und Basiswissen.
In dieser Woche im März 2024 starten tatsächlich zwei Dokus mit Musikthema. Neben der Schleimkeim-Doku auch „Squaring the Circle“, ein filmisches Porträt der Designagentur Hypgnosis, eine Legende in der Gestaltung von Plattencovern, als Musik noch identitätsstiftend war. Unterschiedlicher können zwei Filme kaum sein. Während „Squaring the Circle“ ausgesprochen hochglanzpoliert und stilsicher die Protagonisten und Talking Heads ausleuchtet, ist der Gestand der Betrachtung vor allem musikhistorisch relevant. Oder auch: für Cover-Artwork interessieren sich im Wesentlichen ältere Knacker.
„Nagende Ratten am Sockel des Sozialismus“
„Schleimkeim“ hingegen darf für sich in Anspruch nehmen, dass Punk noch lange nicht tot ist und wie ein Kumpel von Otze vor einigen Jahren feststellte, als er am Berliner Alex den Jungpunx mal ’ne Flasche Schnaps spendierte: die nachwachsende Generation ist erstaunlich textsicher dabei, ihre Altvorderen zu feiern. Sympathisch auch, dass die Gesprächspartner häufig genug ohne falsche Scheu ’ne Pulle Bier am Start haben; ist eben Punk.
Auch nicht zu vernachlässigen ist der Einfluss des Radios in jenen Tagen, Ende der 1970er. Wo sonst hätte Otze den Punk hören können, wenn nicht auf einem Feindsender? Und weiter: wo anders hatte denn die erste Punk-Scheibe der DDR „DDR von Unten“, die im Westen erschienen ist, laufen sollen als bei dem legendären BBC Radio-DJ John Peel? Nicht wenige DDR-Punks dachten, das wäre nun der Durchbruch. Das Gegenteil war der Fall, obwohl die Songs unter Pseudonym „Sau-Kerle“ eingespielt wurden, wusste die Stasi wundersamer Weise, wer da am Werk war und hat Otze einen Besuch abgestattet. Der Rest ist Geschichte.
Die Musik-Doku „Schleimkeim- Otze und die DDR von unten“ ist kein umfassendes Porträt der Punk-Subkultur der DDR, aber der gelungene Versuch, einer der einflussreichsten Band auf die Spur zu kommen. Das ist filmisch nicht immer hochinteressant, aber von großem Unterhaltungswert, wenn sich das Publikum für die Musik und die Kultur interessiert.
Film-Wertung: (7 / 10)
Schleimkeim – Otze und die DDR von unten
OT: Schleimkeim – Otze und die DDR von unten
Genre: Doku, Musik,
Länge: 97 Minuten, D, 2023
Regie: Jan Heck
Mitwirkende: Mario „Lippe“ Lippmann, Hagen Schröder
FSK: nicht bekannt
Vertrieb: Arsenal Film
Kinostart: 14.03.2024
Filmseite bei Arsenal Film (mit Kinofinder & Terminen)
Schleimkeim-Buch & Comic im Ventil-Verlag
Schleimkeim Interview (2008) bei Höhnie Records
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