Rickerl – Musik is höchstens a Hobby: Lustige Klagelieder

So nikotinvergilbt und verqualmt waren Kinoleinwände schon lange nicht mehr wie in dem österreichischen Musiker-Film „Rickerl – Musik ist höchstens a Hobby“. In Adrian Goigingers Wiener Szene mimt Austropop-Barde Voodoo Jürgens einen mittellosen Liedermacher, der sich im Selbstboykott vor dem Erfolg wegduckt. Zu bestaunen sind die mit Schmäh vorgetragenen Aufs und Abs des Rickerl ab dem 1. Februar 2024 im Kino ihres Vertrauens.

Der Wiener Songwriter Erich „Rickerl“ Bohacek (Voodoo Jürgens) träumt mit Ende Dreißig immer noch vom musikalischen Durchbruch, schlägt sich aber mit Gelegenheitsjobs durch. Jüngst wurde der Hallodri des Friedhofs verwiesen und findet sich nun in der Bewerbungsschleife zur Tresenkraft eines Sexshops.

Eine Familie hat es Rickerl schon gekostet, die traurigen Texte zur Musik immer wieder in verräucherten, trinkfreudigen Eckkneipen darzubringen. Seine Ex Viki (Agnes Hausmann) hegt ernsthaft den Gedanken einen zugezogenen Deutschen zu heiraten, auch damit Sohnemann Dominik (Ben Winkler) gut aufgehoben und versorgt ist.

Für Dominik sind die Wochenenden bei Papa Rickerl immer ein Abenteuer, auch und gerade weil der es mit der Aufsichtspflicht nicht immer so genau nimmt. Doch die Karriere geht nicht voran und Rickerls spielsüchtiger Erzeuger ist sich nicht zu blöd, dem talentierten Sohnemann immer wieder auf Brot zu schmieren, dass er endlich mal was Fröhliches singen soll. Wenn er schon kein Fussballer geworden ist.

„Nicht jeder Traum wird wahr.“

Um mit „Rickerl“ eine gute Zeit zu haben sollte das geneigte Publikum zweierlei beherzigen. Erstens sollte man sich von der emotional überzeugenden, aber auch überschaubar schlichten Handlung nicht ablenken lassen, von dem was wichtig ist. Mensch sollte sich unterwegs auch fragen, was wichtig ist?

Und zweitens sollte man eine Liebe zur Mundart an sich und zum Wienerisch im Speziellen mitbringen, um sich an dem gezeigten Milieu zu freuen. Nicht umsonst gehört Mundart zum so genannten Austropop dazu, nicht umsonst benutzt „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ Untertitel. Und glauben Sie mir ruhig, dass Sie die auch brauchen.

Im Grunde ist „Rickerl“ ebenso Musikerbiografie wie Milieustudie und zu lebensechten Anteilen in bissigen Humor, alkoholseliges Sentiment und tragische Traurigkeit getaucht. Mag sein, dass mir mit zunehmender Lebensdauer die unbeschwerte Humorigkeit abhanden gekommen ist, aber als „launige Komödie“ geht mir „Rickerl“ nicht durch. Tragikomisch nun wieder war noch nie eine brauchbare, weil selten treffliche Wortschöpfung. Und so mag jede:r selbst staunen, wenn „Rickerl“ ihn oder sie berührt, oder eben nicht.

Bisweilen ist das aber auch abschreckend stumpf wie weiland in den Kiezkneipen in „Der Goldene Handschuh“, dadaesk absurd wie bei „Kottan ermittelt“ und nie, aber auch wirklich nie, so karrieregeil wie in „Vorstadtweiber“. Anregungen und Assoziationen bekommt das Publikum in Adrian Goigingers Film zur Genüge. Und doch bleibt das Milieu ein gestriges, dem mensch nostalgisch begegnen kann. Musik als Geschäft und Identität funktioniert heute so nicht mehr.

Ich bin ein musikaffiner Mensch, aufgewachsen in Zeiten als jene noch identitätsstiftend und szenebildend war, und ich schere mich auch heute nicht darum, ob etwas angesagt oder aus der Zeit gefallen ist. So wie die durchgeschwitzten siennabunten Hemdchen, die Rickerl so kleidsam zur Vintage -Jumbogitarre trägt. So wie das analoge Notieren auf Bierdeckeln und Scheißhäuslpapier, die uralte Reiseschreibmaschine oder das selten benutzte Mobiltelefon, das keinesfalls internetfähig ist.

„Du musst mehr Acht geben auf deine Sach’n, Rickerl.“

Darin und auch in dem Eckkneipen-Milieu, dass Rickerl quasi geerbt hat. In den Arbeitervierteln von Wien, wo sie Rapid-Fans sind und sich fragen ob sie den Club verlassen würden, wenn die Kohle stimmt, liegt eine Verweigerungshaltung. Eine, die einem Kurt Cobain (of „Nirvana“-Fame) nicht unähnlich ist. Darin kann das Publikum auch ein Aufbegehren gegen die verwaltete Gegenwart erkennen. Und ein Scheitern; immer wieder Stolpern über die eigene Unsicherheit und Verlorenheit in der Welt. Und ein Hoffen.

Das findet sich im Musizieren für die Kollegen auf dem Friedhof wieder, das mit dem wunderschönen Lamento des „Weh au Weh“ in mir Lebensräume aufschließt, in denen Else Lasker-Schülers „Weltende“ neben Matt Burts „Gravedigger’ Blues“ steht. In denen Bob Dylan und russische Gaunerlieder zusammenklingen und in denen Charles Bukowski sich fragt, wo der Unterschied zwischen Freiheit und Einsamkeit liegt. Schön ist das nicht, aber wahrhaft.

„Rickerl – Musi ist höchstens a Hobby“ ist ein wunderbare und anrührende Reise in die Wiener Subkultur zwischen Suff und Bohéme, zwischen Austropop und ZieharmonikaBlues. Wenn die Kultur nicht zur Sprachbarriere wird.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby
Genre: Drama, Musikfilm
Länge: 104 Minuten, A, 2024
Regie: Adrian Goiginger
Darsteller:innen: voodoo Jürgens, Ben Winkler, Agnes Hausmann
FSK: ab12 Jahren
Vertrieb: Pandora Film
Kinostart: 01.02.2024

Offizielle Filmseite
Voodoo Jürgens