Ist das Alltagsmüdigkeit oder schon Midlife-Krisis? Inmitten des Trubels eines Comic-Festivals treffen sich ein Zeichner und eine Ärztin, die sich beide scheinbar in der Gegenwart des beziehungsweise der anderen wohlfühlen. Der französische Comic-Star Bastien Vivés hat mit „Letztes Wochenende im Januar“ eine melancholische Romanze geschrieben und gezeichnet, die bereits seit September bei Schreiber & Leser veröffentlicht ist. Das gerade veröffentlichte Corto Maltese Album von Vives und Quenehen bietet Gelegenheit auch „Letztes Wochenende im Januar“ noch einmal vorzustellen.
Der Comic-Zeichner Denis Choupin reist zum Comicfestival in Angoulême an. Er hat einen vollen Terminkalender und eine Mappe mit Originalzeichnungen mit, die er verkaufen will. Vor Denis liegen Tage voller Begegnungen, die er routiniert abarbeitet. Weil sein erwachsener Sohn am Sonntag seine Verlobung feiern will, versucht Denis früher abzureisen, doch alle Züge und Busse scheinen ausgebucht zu sein.
Irgendwie wirkt Denis erschöpft. Das mag auch daran liegen, dass er zusammen mit einem Szenaristen gerade an einer Comicserie namens „Operation Hitler“ arbeitet, die auf neun Alben angelegt ist. Kriegsszenen und Bahnschienen würden ihn mürbe machen, meint Denis.
Bei seiner nächsten Signierstunde steht eine attraktive Frau an, die bei Denis ein Autogramm für ihren Mann anfragt. Der stünde gerade bei einem Kollegen. Denis kommt später ins Gespräch mit dem Paar. Marc ist Comic-Fan und Vanessa HNO-Ärztin, die ihn eher unbeteiligt zu den Festivals seiner Sammelleidenschaft begleitet. Am nächsten Tag soll Denis an einer Podiumsveranstaltung teilnehmen, doch er hat Ohrenschmerzen. Er nutzt die Gelegenheit Vanessas Mann anzurufen und wieder in Kontakt zu kommen.
„Auf neun Bände angelegt…das passt auch locker in sechs.“
Die Leserschaft mag sich an dieser Stelle schon fragen, ob der Zeichner tatsächlich Beschwerden hat oder nur einen Anlass vorschützt, die attraktive Frau wiederzusehen? Die Leserschaft mag sich auch fragen, wohin sich diese Situation entwickeln könnte? Denn offensichtlich sucht Autor und Zeichner Bastien Vivés einen Ausweg aus der Festivalroutine und sei es nur für seinen Protagonisten.
Vivés selbst scheint zu jung für eine Midlife-Crisis, gleichwohl ist er seit vielen Jahren Teil des Comic-Marktes und in den Fängen von dessen Mechanismen. In Frankreich gehören die Festivals dazu. Hier in Deutschland finden zwar auch regelmäßig Comic-Salons statt, die sich steigender Beliebtheit erfreuen, aber in die Gefilde der Hochkultur steigen diese Fan-Events nicht auf. Anders das renommierte Comicfestival in Angoulême, dem wichtigsten Comic-Event Europas.
Und doch ist dort viel Routine angesagt. Was die Fans zufrieden stellt, ist für die Kreativen mit viel eintöniger Arbeit verbunden. Die immergleichen Fragen nach dem Stand der Arbeit, die immergleichen Wünsche nach Autogrammen und personalisierten Mitbringseln. Die immergleichen Urteile berufener und unberufenen Amateur-Kritiker. Und später mit den Kollegen und Verlagsleuten die immergleichen Parties, Zusammentreffen und Erfahrungsaustausche.
„Sie lachen, aber ich leide wirklich.“
Ein Lichtblick ist da schon jemand, der sich nicht nerdig für das Medium und die Sammelleidenschaft interessiert. Solch eine Person verspricht zumindest eine unterhaltsamere Gesellschaft. Und vielleicht sieht das Gegenüber ja auch einmal den Menschen hinter der Funktion Künstler. Schließlich gehört es zu den menschlichen Grundbedürfnissen gesehen und akzeptiert zu werden.
Aus solch einem Zufallstreffen mag sich eine Romanze entspinnen, die Löcher reißt in die graue Wolkendecke das Alltags und ein bisschen Himmel zu erkennen gibt. Hier zeigt sich eine Möglichkeitenraum, der das eigene Sein bisweilen nicht nur hinterfragt sondern bedroht. Damit umzugehen ist psychologisch ebenso spannend wie es verführerisch ist. Soviel zur romantischen Erzählung in „Letztes Wochenende im Januar“.
Selbstredent ist die Graphic Novel auch ein wenig Nabelschau der eigenen Branche. Zwar nimmt Bastien Vivés nicht Bezug auf die geplante und wieder abgesagte Werkschau seiner Comics im vergangene Jahr in Angoulême, aber das Thema schwingt doch mit in der Distanz die Denis zum Festivalgeschehen hat.
To Live and let die
Für Comic-Fans mag es außerdem spannend sein, hinter die Kulissen des Festival-Betriebs zu schauen. Doch eine Fachmesse ist wie die nächste und der Ablauf immer wieder ähnlich, Der Glanz des Events verpufft bei regelmäßiger Wiederholung relativ sicher.
Spannender sind da die Ostereier, die Easter Eggs, die Vivés andeutet und versteckt. Wem entsprechen beispielsweise diese fiktionalen Comic-Künstler in der realen Welt. Mag es Andreas Martens sein, der aufmerksam gemacht wird, dass draußen jemand im Fantasy-Kostüm herumlungert? Mag „Blaue Nächte“ von Leo Mané für „Blau ist ist eine warme Farbe“ von Jul Maroh stehen? Oder ist alles nur Fiktion, so wie bei den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann?
Die Beschäftigung mit der inhaltlichen Ebene lenkt aber auch ab von der großartigen illustratorischen Kunstfertigkeit von Bastien Vivés. Wie auch die Beiden Corto Maltese Bände „Schwarzer Ozean“ und „Die Königin von Babylon“ und wie auch in „Nationalfeiertag“ verzichtet Vivés auf Farbigkeit. So liest sich „Letztes Wochenende im Januar“ wie eine Mischung aus französischem Sechzigerjahre Autorenfilm und Woody Allen Romanze.
Am stärksten ist Vives tatsächlich, wenn er die Bilder sprechen lässt. Die Panels ohne Dialoge wirken. Hier zeigt sich in abgewendeten Blicken, nahaufgenommenen Händen und Details, und der Flächigkeit der nicht ausformulierten Hintergründe eine große Melancholie, die einfach schön ist.
Der Charme dieser Graphic Novel liegt in der Stimmung, die sie heraufbeschwört. Je nach eigener Lesart mag mensch sich darin wiederfinden oder etwas daraus lesen oder nicht. Mir persönlich ist die Geschichte etwas zu klein, zu speziell und zu passiv für einen ganz großen Roman. Lesenswert ist „Letztes Wochenende im Januar“ ganz ohne Frage.
Comic-Wertung: (7 / 10)
Bastien Vivés: Letztes Wochenende im Januar
OT: Dernier Week-end de janvier, F, 2022
Autor & Zeichner: Bastien vivés
Übersetzung: Resl Rebiersch
Korrektorat: PitKannapin
ISBN:978-3-96582-147-7
Verlag: Schreiber & Leser, Hardcover, 184 Seiten
VÖ: 01.09.2023