Ursular- Preta: Album Review

Sirenen waren es, die einst den verirrten Seefahrer Odysseus und seine Kumpel auf eine abgelegene Insel lockten um sie zu töten. Glücklicherweise werden in unseren modernen Zeiten keine Hexen und Mystiker mehr gejagt. Mit ihrem betörenden Gesang müssten die Berliner „Ursular“ sonst aufpassen, dass sie nicht wegen Massenhypose eingekerkert werden. Auf dem bei OMN Label Services im Juli 2023 erschienen Debut-Album hat das heavy Quartett Ursular der Hörerschaft schwere und walzende Sounds anzubieten. Das ist für alle Freund:innen von Psychedelic, Stoner und Doom schon eine Veröffentlichung, der man oder frau ein Ohr leihen sollte.

Ich habe mir meine Jugend mit Heavy Metal in diversen Spielarten versaut, darunter auch Doom Metal, jene schwere und langsam walzende Untergattung harter, verzerrter Gitarrenmusik, die mehr oder minder von Black Sabbath inspiriert wurde. Sabbath hatten später auch massiven Einfluss auf die härteren Sounds der Grunge- und Stoner Rock-Entwicklung. Und die geneigte Hörerschaft möchte immer wieder meinen, ein Genre sei ausdefiniert, vor allem Doom Metal. Da kam lange nix Interessantes und soundmäßig Neues. Wenn sich Bands entwickeln wollten, traten sie einfach aufs Gaspedal – und schwupps, war‘s kein Doom mehr.

Wir schreiben das Jahr 2023, die Welt schlurft von einer Krise zur nächsten, immer am Abgrund eines möglichen Krieges. Die Stimmung im Land ist noch schlechter als sie aufgrund der tatsächlichen Lage sein müsste. Alles wird teurer und dabei ist die Covid19-Pandemie mit ihren Lockdown-Maßnahmen gerade mal einige Monate her. Wer weiß, was der kommende Winter bringt und ob die Heizung noch bezahlbar bleibt? Hungergeister streifen durch die ausgestorbenen Straßen wie weiland schlurfende Zombies bei „The Walking Dead“.

Hungergeister

„Preta“ ist das Debutalbum von Ursular. Das meint einerseits „schwarz“ auf Portugiesisch, was in das musikalische Multikulti-Konzept der Berliner Doom Band ebenso passt wie eine weitere Bedeutung. Im Buddhismus und Hinduismus ist „Preta“ die Benamung von „Hungergeistern“, die ruhelos auf die Jagd nach Seelen sind. Der Bandname des Berliner Vierers mag abgeleitet sein aus der lateinischen Bezeichnung für Bär. Jedenfalls spielen Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang sehr Maelstrom-artig wie fließende Lava zusammen. Das entwickelt beizeiten eine Trance-artige, hypnotische Wirkung, die auch durch ein „genre-untypisches“ Saxophon unterstrichen wird.

Ursular bestehen zumindest sein 2018, als ihre erste EP auf den Markt kam, 2021 folgte dann ein „Live“-Album. Die Besetzung ist seit 2019 konstant wie die Band bestätigte. Bei der Recherche begegneten mir für Sängerin Babett zwei unterschiedliche Nachnamen. Aber wir befinden uns hier im musikalischen Underground, da darf die Leserschaft (vor allem im Internet) nicht alles glauben, was so zu lesen ist. Ich las auch von 45 Minuten Albumlänge. Möglicherweise hat sich der Name auch aufgrund des Beziehungsstatus geändert. Was geht es uns an.

Das Außergewöhnliche, das Eigene an Ursulars Sound wird allerdings von Babette markiert. Hört sich den restlichen ¾ der Band gegenüber gemein an, wirkt aber nur aufgrund des bockstarken Fundaments. Einerseits ist das der klare, sirenenhafte Gesang, der bisweilen an das musizieren skandinavischer Bands erinnert. Ich denke da (auch wegen der Melancholie) an Maidavale, oder auch Retrorocker wie die Blues Pillz oder Sienna Root. Andererseits spielt Babette auch Saxofon, was dem schweren Soundteppich der Band eine ganz andere, ungewöhnliche Klangfarbe verleiht. Gitarrensoli hingegen sucht die Hörerschaft vergeblich. Was angesichts von Songlängen, die die Acht-Minuten-Marke nie unterschreiten schon beachtlich ist.

Totenflecken

Saxophon nun wieder ist nicht gleich Saxophon. Es gibt fiepsige Tröten, die beinahe wie Klarinetten aussehen. Das gemeinhin bekannte und weit verbreitete Tenorsaxofon hat dann die wiedererkennbare geschwungene Korpusform. Allerdings braucht es für tiefere Töne auch schon mal größere Klangkörper, dann kommen Bariton- und Basssaxofone ins Spiel. Mag jede mal raten, welche Sounds wohl am besten zu Stoner und Doom passen? Falsch geraten: Babett informierte als Reaktion auf die Review, dass Tenor – und Altsaxofone eingesetzt werden, was auch sinnvol ist, das sie in gewisser weise den Gesang ersetzen.

Auf „Preta“ sind 4 Songs zu finden, was das Output der Band mal eben verdoppelt. Der Opener „Siren“ wurde vorab als Single und Video ausgekoppelt. Hier ist der Titel Programm und der lockende klare Gesang schwebt förmlich über der wogenden Brandung. Gesang und Saxofon-Strophen wechseln sich ab und zwischendurch gibt es ausgedehnte Instrumentalparts. Das ist schon sehr charismatisch. Bisweilen auch etwas jazzig, aber immer heavy.

Mit „Malediction“ (Englisch für „Fluch“) geht es weiter. Der Song ist noch länger und noch düsterer. Melancholie weicht finsterer Stimmung und die Melodien bekommen einen eher mittelalterlichen Charakter. Wobei dem getragenen Tempo schwer zu unterscheiden ist, was seine Inspiration aus Mittelalter, Folk und dem Orient bezieht. Wenn die Töne so lang und gedehnt sind, stehen sie schon beinahe für sich selbst. Auch das ist im Grunde ein Markenzeichen des Doom Metals. Riffs wie Monolithen. Eins nach dem anderen oder immer wieder dasselbe.

Lehmmonster

„Livores“ wirkt dann meiner Empfindung nach etwas weniger schwermütig. Absurd genug, weil der Titel einerseits griechisch für „Pfund“ sein kann, andererseits „Totenflecken“ bezeichnet. Womit wir wieder beim Thema Hungergeister wären. „Livores“ rifft schwer, legt nach etwa 3 Minuten eine atmosphärische, ätherische Pause ein, nur um zwei Minuten später wieder draufzuhauen. Hier ist der Gesang prägender als das Sax. Gelegentlich kommt einem Nico (of Velvet Underground Fame) in den Sinn.

Abschließend geht es mit „Golem“ thematisch in mystische jiddische Bezüge, der Song weiß sich zu steigern und das säuselnde, klagende Saxofon schwebt zwischen bizarrem Klezmer und levantinischem Ornament. Die Laut-Leise-Wechsel sind stimmungsvoll und spannend. Vielleicht ist „Golem“ der abwechslungsreichste Song auf „Preta“. Wobei das nicht notwendigerweise der „Beste“ sein muss, wenn es darum geht ein musikalisches Kontinuum aufzubauen, das sich wie Kaugummi zieht. Einen Klangraum, in dem sich unentwegt Headbangen lässt bis sich derwischartige Trancen einstellen. Nicht von ungefähr hat Magnus Lindberg masternd eingegriffen, der (unter anderem) auch bei „Cult of Luna“ Sound angelegt hat. „Golem“ ist ein ebenso wuchtiger wie archaischer Abschluss eines erstaunlich frischen und ungewöhnlichen Albums. Relase Party in Berlin am 25.8.2023 falls wer in der Gegend ist.

Mit „Preta“ legen die Berliner Schwertöner „Ursular“ ein starkes Album vor, dass absolut keine sommerliche Leichtigkeit versprüht, aber dem wechselhaften Juli durchaus die verregneten Passagen mit schwer mahlenden Gewittern zermürbt. Wer auf der Soundwiese tiefer, verzerrter Töne seine Blumensträuße pflückt, kommt an dieser Blüte nicht vorbei.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Ursular – Preta
Genre: Doom Metal, Stoner Rock, Psychedelic Rock
Länge: 38 Minuten, D, 2023
Interpret: Ursular
Label: OMN Label Services
Vertrieb: Rogh Trade Records
Format: CD, Digital, Vinyl,
Album-VÖ: 21.07.2023

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