Reacher –Stafffel 1: Blind Blakes Blues

Da will der Mann einfach nur seinem musikalischen Idol huldigen und landet mitten in einem Mordkomplott. In der ersten Staffel der Erfolgsserie „Reacher“ spielt sich ein amerikanisches Kleinstadttrauma par excellence ab. Nach zwei Spielfilmen mit Tom Cruise in der ikonischen Hauptrolle des „Jack Reacher“ hat Paramount nun eine Serie um den Helden aus der Feder von Lee Childs gestrickt. Amazon Prime strahlte das nicht gerade zimperliche Format ab Februar 2022 aus. Im Dezember ist „Jack Reacher“ nun auch als DVD und Blu-ray für das klassische Home-Entertainment erschienen.

Die Thriller-Romane um den ehemaligen Militärpolizisten Jack Reacher gehören inzwischen längst zu den Dauerbrennern des Genres. Autor Lee Child schickte seinen hünenhaften einsamen Wolf erstmals 1997 auf die Piste. Seither sind 27 Reacher-Romane erscheinen, für 2023 ist der 28. angekündigt. Die Serie basiert auf dem ersten Reacher-Roman „Killing Floor“, der auf Deutsch „Größenwahn“ heißt und beim blanvalet Verlag herausgekommen ist.

Eine Verfilmung erfolgreicher Thriller liegt immer nahe und so eignete sich Hollywood-Star Tom Cruise die Rolle des ehemaligen Militärpolizisten mit viel Witz und Charme für zwei Leinwandauftritte an. „Jack Reacher“ erschien 2012 und basierte auf dem Roman „One Shot“ (9. Reacher-Roman). „Kein Weg zurück“, basierend auf „Never Go Back“ (18. JR-Roman) kam 2016 in die Kinos. Irgendwann danach gab Paramount bekannt, dass die Filme zugunsten eines Serienformates nicht weiter fortgesetzt würden.

Vom Roman zum Film zur Serie

Nun also „Reacher“, einfach „Reacher“, so wie der Held selbst gerne angesprochen werden will. Seit er nicht mehr beim Militär ist hat Reacher (Alan Ritchson) einen vagabundenhaften Lebensstil etabliert. Selten länger an einem Ort und mit wenig mehr Habseligkeiten als der Kleidung am Leib. Der Mann hat keinen Führerschein und sein Geld holt er sich per Postanweisung. Von Mobiltelefonen oder einer Meldeadresse ganz zu schweigen.

Dann macht sich Jack Reacher auf in das beschauliche Städtchen Musgrave in Georgia um nach dem Blues-Musiker Blind Blake zu forschen, der hier verstorben sein soll. Doch stattdessen wird Reacher verhaftet, kaum dass er den Bus verlassen hat. Die örtliche Polizei hat einen Mord aufzuklären und der Fremde ist verdächtig und nicht gerade kooperativ.

Unweit der Stadt wurde die unbekannte und unkenntlich gemachte Leiche eines Mannes gefunden. Die Polizistin Roscoe Conlin (Willa Fitzgerald) und der aus der Großstadt zugewanderte Sheriff Oscar Finlay (Malcolm Goodwin) untersuchen den ersten Mordfall in Musgrove seit 20 Jahren und Bürgermeister Grover Teal (Bruce McGill) drängt aufs Tempo.

Reacher stellt sich als nicht verdächtig heraus, macht aber auch keine Anstalten die Stadt zu verlassen. Stattdessen legt er sich erstmal mit dem halbstarken Sohn des Geschäftsmanns Kliner an, dessen Investitionen Musgrave wieder zum wirtschaftlichen Aufschwung geführt haben. Kliner Junior, KJ (Chris Webster), hat einen Hang zur Gewalt und ein Auge auf Officer Conlin geworfen. Kurz darauf geschieht ein zweiter brutaler Mord.

Der Hüne unter den Helden

Jack Reacher ist inzwischen eine Thriller-Institution und eine pokulturelle moderne Ikone. Die Figur erschließt sich über ihre Körperlichkeit. Nicht umsonst wird Reacher in den Romanen als hünenhaft eingeführt. Daneben ist der Mann selbstverständlich durchtrainiert und Martial Arts erprobt. Dank der Rückblicke in Reachers Kindheit in der Serie, weiß das Publikum nun auch weshalb.

Selbstredend hat so ein Held auch diverse Auszeichnungen vorzuweisen und andere überdurchschnittliche Fähigkeiten, die ihn zu einem erfolgreichen Soldaten und Militärpolizisten gemacht haben. Tom Cruise, dem offensichtlich die Größe fehlt, eignete sich den Charakter zwar auch über die Cleverness an, aber eben auch über das Körperliche, die Physis, das Kämpfen.

uschauer:innen sollten es nicht unterschätzen wie sehr sich das das Bewusstsein über das Sein definiert und wie sehr eine solche Körperhaftigkeit das Gemüt prägt. Der Serien-Reacher hatte schon immer ein Problem mit seinem Aggressionspotential. Befeuert von Ungerechtigkeit kann sich Reacher selten zurückhalten, muss eingreifen. So auch hier. So immer.

Reise in das Herz Amerikas

Dabei ist diese erste Aufgabe für den ehemaligen Militärpolizisten so typisch amerikanisch, so archaisch in ihrer westernhaften Ausprägung, dass auch nachvollziehbar wird, warum Tom Cruise nicht in Musgrove auftaucht, sondern später in der Reacher-Historie ansetzt. Das ist keineswegs wertend, aber eben doch bezeichnend.

Alan Ritchson ist genau der richtige Mann in dieser gottverlassenen Kleinstadt, in der das Verbrechen im Anzug Einzug gehalten hat. Diesen Landeiern kommt man nicht mit Höflichkeit und Verständnis bei. Hier muss man selbst die lebende Barriere bilden, die zeigt: Bis hierher und nicht weiter. Eine Aufgabe, an der Sheriff eher scheitert, weil er mit persönlichen Problemen beschäftigt ist, als die filigrane aber toughe Polizistin Roscoe Conlin.

Mit Reacher bildet sie ein plakativ gutes Team, das nur auf den ersten Blick klischeehaft ist. Die Schöne und das Biest. Die Zarte und der Harte. Bambi und der Beschützer. Glücklicherweise gelingt es der Serie das Stereotyp aufzubrechen. Auch wenn andere Charaktere blasser und vorhersehbarer bleiben. Wie etwa der Bürgermeister und der Wirtschaftsmagnat. Klischeehaft auch der örtliche Friseur (man sagt wohl Barber Shop in Hipsterdeutsch) afroamerikanischer Herkunft und selbstverständlich Blues Connaisseur.

Vagabond Blues

Apropos Blues: Es hat seine tiefere Bedeutung, dass Reacher auf der Suche nach dem Musiker Bind Blake ist. Der hat wirklich existiert und nach Angaben auf seinem Totenschein ist er in Newport News geboren und in Milwaukee gestorben. Aber wie über den Geburtsort Unklarheit herrscht, so wohl auch über den Ort des Versterbens. Jedenfalls war Blind Blake einer der bekanntesten Blues Wandermusiker der 1920er Jahre. Ein Vagabund wie Reacher selbst und so verwurzelt.

Die acht Episoden der ersten Reacher –Staffel zeigen inhaltlich gelegentlich etwas Leerlauf, das Erzähltempo könnte höher sein und einige Verwicklungen mehr hätten auch nicht geschadet. Aber wie bereits erwähnt, „Reacher“ erschließt sich über die Körperlichkeit, also auch über die handfeste und bisweilen arg derbe Action. Die ausgestellte Brutalität scheint gelegentlich überzogen, setzt aber auch einen hartgesottenen Ton, der durchaus in das Serienkonzept gehört.

So wie in jeder Folge die Regisseure wechseln, so hat Serien-Mastermind und Hauptautor Nick Santora die Fäden unter dem kritischen Blick des Bestsellerautors Lee Child fest in der Hand. Child ist zufrieden. Santora verdiente seine Sporen unter anderem mit der Ausbruchsserie „Prison Break“ und mit dem zweiten Punisher-Spielfilm „Punisher: War Zone“. Der Hang zu brutaler Action ist vorhanden, aber im Thriller-Gewerbe, gerade bei Streaming-Diensten keineswegs von Nachteil. Fortsetzung folgt.

Der Bestseller-Autor Lee Child ist zufrieden mit der Serie und dem Hauptdarsteller, der nun endlich angemessen hünenhaft daherkommt. Das Publikum kann sich auf jede Menge handfeste Action verlassen, die bisweilen etwas arg brutal rüberkommt. Auch hatte das Format charakterstärkere Bösewichte vertragen, aber Reacher und seine lokalen Unterstützer wissen über Staffellänge angemessen packend zu unterhalten.

Serien-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Reacher – Staffel 1
OT: Reacher – Season 1
Genre: TV-Serie, Thriller,
Länge: ca 400 Minuten (8 x 50), USA, 2022
Idee: Nick Santora
Regie: Sam Hill, Lin Oeding, et al.
Vorlage: „Killing Floor“ von Lee Child (deutsch: Größenwahn)
Darsteller:innen: Alan Ritchson, Chris Webster, Willa Fitzgerald,
FSK. Ab 16 Jahren
Vertrieb: Paramount
Streaming-Start bei Amazon Prime: 02.2022
DVD- & BD-VÖ: 08.12.2022