Wie geht das Leben weiter, wenn ein Kind stirbt? Das schwedische Melodram „Stockholm Ost“ verwebt die Leidensgeschichten eines Mannes, der ein Kind überfährt, und der trauernden Mutter zu einer Liebesgeschichte, die auf Lügen basiert. Kann Liebe wirklich alles überwinden? Aus dem Archiv die Rezension zum Home-Entertainment-Start bei Edel-Motion von 2012.
Auch im Film ist nur für wenige Minuten alles in Ordnung: Johann (Mikael Persbrandt) macht sich zu beschwingten Salsaklängen auf den morgendlichen Weg zur Arbeit. Anna (Iben Hjejle) will gerade ihre Tochter Tove in die Schule bringen, als das Telefon klingelt und Tove einfach mit dem Rad losfährt. Minuten später ist nichts mehr wie es zuvor war. Der paralysierte Johann bringt das Kind nach dem Unfall ins Krankenhaus, doch es ist zu spät, die Verletzungen zu schwer.
In der Folge wird Johann depressiv und arbeitsunfähig, seine Beziehung zu Kattis (Liv Mjönes) immer schwieriger, da sie mit Johann Kinder haben möchte. Anna und ihr Mann machen ebenfalls eine schwere Zeit der Trauer durch: Während Anders (Hendrik Norlen) versucht zu vergessen und neu anzufangen, macht sich Anna noch immer vor, ihre Tochter sei nicht verschwunden. Regelmäßig sucht sie einen Therapeuten auf, aber das scheint nicht zu helfen.
Ein Moment, ändert alles
Eines Tages begegnen sich Anna und Johann zufällig auf dem Bahnsteig. Während er weiß, dass sie die Mutter jenes Kindes ist, das er überfahren hat, hat Anna keine Ahnung, wer Johann ist, weil sie nicht zu dessen Gerichtsverhandlung gegangen ist. Zwischen den beiden beginnt eine Beziehung, in der es von Beginn an unaufrichtig zugeht. Anna erzählt, sie habe eine noch lebende Tochter, Johann verschweigt den Unfall.
Doch die Affäre scheint zu funktionieren, denn beide finden im Gegenüber eine Art von Trost, die ihnen das bekannte Umfeld nicht mehr bietet; ein Aufrechterhalten von Illusion, eine verquere Suche nach Vergebung, ein Impuls den anderen zu retten. Für einige Zeit scheint die Beziehung zwischen Anna und Johann so gut zu funktionieren, dass sie einander und sich selbst die Wahrheit eingestehen könnten. Könnten…
Der schwedische Regisseur Simon Kaijser inszeniert seine ungewöhnliche, dramatische Liebesgeschichte in stilvollen Bildern, satten Farben und mit zwei großen skandinavischen Stars: Iben Hjejle („Mifune“, „High Fidelity“) und Mikael Persbrandt („Komissar Beck“, „Verdict Revised“), dessen Charakter auch gelegentlich als Off-Erzähler fungiert und so ein bisschen von seinen Beweggründen preisgibt.
Gemeinsam trauern
Und um ehrlich zu sein, sind es vor allem die Hauptdarsteller, die den Film tragen. Das Drama der unglücklichen Liebesgeschichte mag anfangs etwas konstruiert wirken, allerdings sind die psychologischen Aspekte solchen Verhaltens so abwegig nicht. Es ist immer schwer, Wege aus der Trauer zu finden, ebenso ist der Umgang mit persönlicher Schuld ein komplexer Prozess. Beides kommt in „Stockholm Ost“ allerdings nicht immer zum Ausdruck, sondern wird von der gleichzeitigen, paradoxen Liebe manchmal in den Schatten gedrängt.
Das ein solches Melodram sehr stark mit einem stimmig empfundenen Ende verknüpft ist, bleibt nicht aus. Auf dem ersten Blick mag das Ende von „Stockholm Ost“ einfach wirken, dabei ist es alles andere als das. Es folgt der inneren Logik der Figuren und ist im Wesentlichen jenseits der Rationalität, wie auch Schuld, Trauer und Liebe. Wie das Leben weitergeht zeigt „Stockholm Ost“ nicht.
Das schwedische Melodram „Stockholm Ost“ thematisiert eine unmögliche Liebesgeschichte, die nur funktioniert, da sie auf Lügen basiert, und das Drama erzählt von Verlust, Trauer und Schuld. Dank zweier großartiger Hauptdarsteller ein gelungener Film.
Film-Wertung: (6 / 10)
Stockholm Ost
OT: Stockholm Östra
Genre: Drama
Länge: 92 Minuten, S, 2011
Regie: Simon Kajser
Darsteler:innen: Iben Hjejle, Mikael Persbrandt
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edel Motion
Kinostart: Nicht in Deutschland
DVD- & BD-VÖ: 23.11.2012