Il Buco – Ein Höhlengleichnis: Abgründe

Viele Filme macht der italienische Autor und Regisseur Michelangelo Frammartino eigentlich nicht. „Il Buco – ein Höhlengleichnis“ ist gerade einmal sein dritter Spielfilm in zwanzig Jahren. Eine seiner Videoinstallation wurde im MoMa in New York ausgestellt und regelmäßig gibt es Preise für die faszinierenden, aber eigenwilligen Filme. Da macht auch „Il Buco – Ein Höhlengleichnis keine Ausnahmen. Die dialoglosen, meditativen Beobachtungen in den Dorf- und Naturwelten der Berge Kalabriens sind sicher nicht für jedermann und jedefrau hochinteressant und doch sind die Bilder ausgesprochen leinwandtauglich. Im Kino ab 10.11.2022.

„Il Buco“ beginnt weniger mit Bildern als mit Tönen und der Film, der wirkt wie eine karge Doku, aber eigentlich eine Reimagination, eine Inszenierung ist, endet ebenso. Nachhallend im Dunkel der Leinwand.

Zunächst aber dämmert es langsam und das Publikum blickt aus dem Dunkel einer Höhle auf einen azurnen Himmel. Wenig später schiebt sich ein Rind ins Bild und blickt zurück in den Abgrund. Die Kamera – und damit auch die Zuschauer:innen – klettern hinaus und nehmen den Blick ins Tal wahr. Eine majestätische Berglandschaft eröffnet sich bis zum Horizont. Im Tal zu Füßen des Blickpunktes eine Herde Rinder.

Dann der Hirte, der mit verwitterter, gegerbter Haut seine Herde in der Nähe weiß. Gelegentliches Rufen bringt das Vieh wieder heran. Derr Esel ist immer in der Nähe. Viel gibt es nicht zu tun. Zu sagen eigentlich nichts.
Schließlich wendet sich der Film der Dorfkneipe zu und einer Im Fernsehen laufenden Reportage von der Einweihung von Italiens höchstem Gebäude, dem Pirelli Tower in Turin.

Quasi als Antithese zu den wolkenkratzenden Ingenieursleistungen macht sich eine norditalienische Expedition von Höhlenforschern auf den Weg, um im süditalienischen Kalabrien ein Loch im Boden zu untersuchen. Dort treffen sich die Realitäten von Forschern und Hirte. Der Viehhirt beobachtet die Expedition und wird später bewusstlos aufgelesen. Der alte Mann liegt im Sterben, während sich die Forscher in ungeahnte Tiefen vortasten.

Der Abgrund von Bifurto

Filmmacher Michelangelo Frammartino hat 2010 eine Doku über das vergängliche Leben in den Bergdörfern Kalabriens gedreht. „Vier Leben“ ist in der Machart ähnlich wie „Il Buco“ allerdings mit dokumentarischer Prämisse. Auch dort werden neben den klassischen Köhlern und den wenigen Kindern im Dorf auch ein alter, sterbender Hirte und seine Ziegen vorgestellt. In „Vier Leben“ kommen die Bilder ebenfalls ohne Dialoge aus.

Es scheint sich ein Leitmotiv, ein Lebensthema abzuzeichnen. Das Verschwinden des alten Lebens, der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, die schwindende Verbindung zur Natur und ihren Zyklen. Der Tod ist immer auch ein symbolischer. So stellt sich die Frage, was dieser Höhlenabstieg ist?

Frammartino stellt eine historische Expedition nach, die 1961 tatsächlich stattfand, als der Pirelli Tower fertiggestellt wurde. dioese Info bekommt der Zuschauer aber erst am Ende des Films. Die erforschte Hohle von Bifurto war eine geologische Sensation. Fast 700 Meter tief, war die Höhle eine der tiefsten bis dahin entdeckten. Junge Höhlenforscher der Gegenwart wurden vom Filmteam mit zeitgenössischem damaligem Equipment ausgestattet und von einem Kamerateam begleitet.

Selbstverständlich ist niemand anwesend, um zu beobachten, wie die Forscher in der Höhle ankommen, doch die Kamera fängt diese Momente ein; aber nicht nur. Genauso oft und stimmig folgt die Kamera den Forschern, ist nicht „klüger“ als die Protagonisten und das Publikum. Daraus ergibt sich eine Expedition auch in das Kinodunkel. Das ist und bleibt ebenso Projektionsfläche wie die Spalte in der Erdoberfläche: vor allem eine gedankliche Annäherung an den Mittelpunkt der Erde, die Grundlage des Lebens selbst ist.

Das karge Leben in den kalbrischen Bergen

Die Aufnahmen wurden während des Drehs mittels extrem langem Glasfaserkabel an die Oberfläche geschickt und dort vom leitenden Kameramann für brauchbar gefunden. Es ist von faszinierender Sogwirkung, diese Reise auf sich zu nehmen. Immer wieder erstaunlich ist es, zu beobachten, wie eine Fackel fällt um den Weg und die Luftverhältnisse zu klären.

So reduziert die Lichtimpulse in diesem Film sind, so präsent sind die Geräusche, die auch immer Zeiger für Distanzen sind. Ein emotionales Sonar, das ganz erheblich zur Wirkung von „Il buco – Ein Höhlengleichnis“ beiträgt.

Während der Film im Original nur „Il Buco“ also „Das Loch“ heißt, wie auch der internationale Verleihtitel „The Hole“ lautet, gibt es in der deutschen Version einen Untertitel: „Das Höhlengleichnis“. Das impliziert – wie der Film auch – einen Abgleich mit einem der berühmtesten philosophischen Gedankenspiel der Antike. Platons Höhlengleichnis. Das geht – grob gesprochen- davon aus, dass der lebende Mensch in einer Höhle sitzt und nur den Blick auf eine Wand hat.

Während die eigentliche Welt und auch die Lichtquelle über beziehungsweise hinter dem Menschen liegt. Er diese aber nicht sehen, also erkennen, kann. Das Wesen der Dinge bleibt verborgen, nur die Abbilder sind dem Menschen erkenntlich. Was also hat es mit Frammartinos Höhle auf sich. Was mit der Bewegungsrichtung in die Höhle hinein, statt aus ihr heraus? Fragen und Stimmungen, die jede:r Zuschauer:in für sich selbst stellen und beantworten kann, sofern er oder sie sich dieser filmischen Reise stellt.

Das filmische „Höhlengleichnis“ gehört definitiv ins Dunkle eines Kinosaals, um seine volle Kraft und Wirkung zu entfalten. Die Frage, ob es das Konstrukt des Nachstellens einer Expedition gebraucht hat, um diese Spalte ins Erdinnere zu erforschen und erlebbar zu machen, stellt sich schon. Andererseits werden die irgendwie zeitlosen und philosophischen Betrachtungen dadurch auch verortet und geerdet. Ob jemand für diese Bild- und Tonwelt zugänglich ist, lässt sich schwer abschätzen. Eine interessante, möglicherweise bereichernde Kinoerfahrung ist allemal möglich.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Il Buco – ein Höhlengleichnis
OT: Il Buco
Genre: Drama, Doku
Länge: 93 Minuten, I/D/F 2021
Regie: Michelangelo Frammartino
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Film Kino Text
Kinostart: 10.11.2022