Ansichten am Donnerstag # 44: Die große Depression

Neulich, vor einigen Wochen (2009) lief im TV der Dokumentarfilm „Die große Depression“ von 2005. Darin setzt Filmemacher Konstantin Faible zur Nabelschau an und verknüpft sein persönliches Schicksal mit dem seines Landes. Deutschland und er leiden an einer großen Depression, so die Diagnose und der Ausgangspunkt des Films. Körperlich ohne Symptome, aber in Geiste stimmt es nicht.

Die Depression, das geheime Volksleiden Nummero Uno, die Geißel des modernen Menschen, taucht immer wieder mal in der Öffentlichkeit auf. Aktuell als vermeintlicher Auslöser des Selbstmords von Nationaltorhüter Robert Enke. Und damit soll dann alles gesagt sein? Keiner weiß genau wie sich das psychische Leiden im individuellen Fall äußert. Aber als Erklärungsgemenge ist „Depression“ immer erstmal gut. Ebenso wie menschliches Versagen bei technischen Unglücken. Floskeln.

Dann sind wir Medien mal wieder gefragt und bedienen nicht nur unsere Informationspflicht, sondern zugleich einen Gutteil Sensationsgier, die inzwischen auch in vielen seriösen Publikationen das Klappern des Handwerks ersetzt. Während im Radio, von fröhlichen Jingles eingerahmt, Hörer aufgefordert werden, ihre Meinung zum Tode Robert Enkes mitzuteilen, lese ich im Netz als Überschrift einer News vom „Kollateralschaden des Leistungsprinzips“, höre und lese von Entscheidungsträgern, die nun ein Umdenken fordern. Mir schwillt der Kamm – hauptsächlich wegen des Kollateralschadens und ich denke geostrategisch sollte man Schreiben und Lesen vielleicht doch zensieren, oder nicht jedem beibringen.

Mediale Aufbereitung von Tragödien

Das unentwegte Geplapper der Medien, mich eingeschlossen, und die Neigung des Privatmenschen einfach so mal pseudo-öffentlich drauflos zu brabbeln, in der Hoffnung dann angesagter zu sein, verstopfen mir die Kanäle. Ich will das nicht wissen, doch ich kann mich kaum entziehen. Ich bin medial überfordert: Ein Kommunikationskrüppel. Deprimierend…

Und bei jedem prominenten Todesfall geht das wieder so! Prominente Beispiele aus der jüngsten Zeit sind Heath Ledger und Michael Jackson. Und die Welle rollt wie in einem Roland Emmerich Film: mit ungezähmter Urkraft wird das Promileben hochgespült und das Bedürfnis nach Klatsch, Tratsch und Information der Massen befriedigt. Ich will nicht glauben, dass es dafür Leser, Seher und Hörer gibt. Dabei sind doch Stars auch nur Menschen.

Vielleicht wäre der Umgang mit bekannten Leuten einfacher, wenn wir, das gemeine Fußvolk, endlich akzeptieren würden, dass die auch nur mit Wasser kochen, dass Reichtum nicht vor Sorgen schützt und dass der Erfolg auch seelisch verarbeitet werden will; genau wie alle anderen Geschehnisse im Leben. Wäre doch schön, wenn man die Profession eines Musiker, Schauspielers, Sportlers einfach als solche ansehen könnte. Dann könnte man sich einfach nett auf der Straße grüßen und sich gegenseitig mit Respekt in Ruhe lassen.

Den Film habe ich übrigens nicht zu Ende geschaut: Dass unsere Gesellschaft krankt, weiß ich, die subjektiv empfundene Leidensgeschichte eines Regisseurs interessierte mich nicht und wie Depression geht, kann ich mir nicht im entferntesten ausmahlen.

…aber mensch hat bestimmt keine Spaß im Kino .

(ursprünglich veröffentlicht bei cinetrend.de, am 12.11.2009)