The Ballet Bombs –Mutations – Live EP

Das sympathische Kreuzberger Label Noisolution kommt mit einer neuen Band ums Eck: The Ballet Bombs aus den Niederlanden passen perfekt in das Labelprofil und machen doch ihr eigenes Ding in Sachen Garagenrock mit einer Prise Hysterie. In Zeiten, in denen beinahe jede:r immer nur neue Videos und Einzelsongs auf gängigen Internet-Plattformen postet, ist es so erfrischend alte Schule eine EP zu veröffentlichen, dass es schon wieder cool ist. Also vintage und nicht retro.

Wer da jetzt nach der Unterscheidung zwischen den Begrifflichkeiten sucht: Vintage ist tatsächlich schon immer da gewesen, so wie Noisolution, die im Frühjahr endlich ihren 27. Labelgeburtstag feiern durften. Retro passiert aktuell, nimmt aber alte Sachen wieder auf, interpretiert gegebenenfalls modern. So wie The Ballet Bombs.

EPs (als Vinyl oder als CD) sind wie physische Tonträger an sich im Grunde ein Format, das eigentlich nur noch in Underground-Genres eine Rolle spielt. Sprich Heavy Metal, Alternative Rock und Punk und eventuell auch Jazz und Klassik, aber das hier nur am Rande. Wer kauft schon noch Alben statt Playlists zu generieren? Für die Superstars kloppen die Plattenfirmen auch immer noch ganze Alben raus, aber faktisch werden die schon Monate später verramscht. Aber ich schweife ab.

Noiserock-Trio aus den Niederlanden

The Ballet Bombs sind ein Trio aus Eindoven in den Niederlanden. Älteren Semestern und Fans härterer Gangarten wird das Dynamo Open Air ein Begriff sein, das ab Mitte der 1980er Jahren internationale Heavy Metal Acts umsonst und draußen präsentiert hat. Da lohnte sich die Anfahrt aus Norddeutschland und die Übernachtung im Auto schon mal. Später wurde es dann größer, länger, kommerzieller und 2005 war der Spaß dann durch.

Das Trio in klassischer Gitarre-Bass-Schlagzeug-Besetzung hat sich dem Protopunk verschrieben. Also der schlichten, derben, rockigen Musik, die zwar schon wild daher kam, aber noch nicht als Punk gelabelt wurde, weil der erst später erfunden wurde. Die Stooges werden gerne herangezogen, oder MC 5, aber auch Garagenrock-Bands wie „The Sonics“ oder auch „The Monks“, die ihren Beat einfach hypernervös darboten.

Irgendwo dort haben auch „The Ballet Bombs“ ihre klangliche Basis. Doch es gibt auch andere, auch modernere Einflüsse und gerade das ausgedehnte Benutzen fuzziger Sounds sorgt für eine Schwere und Breite, die nahe am Stoner Rock ist, und gelegentlich geht es auch psychedelischer zur Sache. Aber da ist auch das „Ballett-Element“ die Vorliebe zu Glitzer und Glam. Das hatten Turbonegro einst auch drauf. Das alles haben die drei Niederländer nicht erfunden, aber sie mixen das ganze hinreißend und geben es zumindest auf „Mutations“ live mit eigenständigem Sound und hohem Wiedererkennungswert zu Gehör.

Format zwischen den Stühlen: Die EP (extended play)

Dafür, dass „The Ballet Bombs“ scheinbar erst seit 2020 bestehen, klingen Rubin “zwoelboy” van Nistelrooy, Erik “el cahole” van de Beek und Frankie „fuzz“ Lamberts erstaunlich eingespielt. Alle drei haben in bester Punk- und Trash-Metal Tradition „Nomes de Guerre“ (Kampfnamen) und spielen in ihren Bühnenoutfits gelegentlich mit Erwartungen und Anspielungen.

Aber nun endlich zum Wesentlichen. Die EP wurde live bei Gigs mitgeschnitten und der Sound ist keinesfalls hoch fidelisch sondern robust und reduziert. Abstruser Weise erinnert mich das an die kanadische Doom Metal band „Unorthodox“, die als Trio in den Neunzigern ziemlich progressiv zur Sache gingen, aber im Sound sehr im Underground verhaftet waren. So auch die Ballet Bombs. Es ist leicht die scheinbar schlichte Mukke überzuproduzieren. Die spacigen Sounds zu einer Klarheit zu bringen, die kontraproduktiv wäre, weil sie das musikalische Zitat verfälschen würde.

Bei den ersten Durchläufen war ich mir auch nicht sicher, ob „Fliedieflatsie“ ein geeigneter Opener ist, aber dann kriegte mich der treibende Rhythmus immer mehr und das sechsminütige Stück ist nicht nur für die Band ein Perfektes Eingrooven und Schaulaufen, sondern auch fürs Publikum eine feine Gelegenheit mit der Band warm zu werden.

Live und laut

Ich höre da einen treibenden Rhythmus wie ihn The (International) Noise Conspiracy in ihrem Hit „Smash it up“ zelebrieren. Das hat selbstredend auch etwas von jener silbernen Maschine die Hawkwind einst ritten. Dann aber kommen ganz eigene Gesangsparts dazu und im hinteren Drittel driftet und growlt „Fliediefaltsie“ sogar ins hinreißend Black Metal-artige ab, wie es die frühen Venom auf „Bursting Out“ vorgemacht haben.

„Leave My Head“ kommt dann stampfend und rustikal daher, steigert sich in verzerrte Noise-Kaskaden und bleibt doch im Wesentlichen gerade nach vorne. „Frankie Friendzone“ hat dann rockige Elemente des Glam Rock der frühen Siebziger. Das macht gute Laune und ist feines Midtempo. „Oh Girl!“ zelebriert etwas Surfiges und einen ironisch schlichten Text. Da lassen „The Cramps“ ebenso grüßen anschließend in „Cannibal“ die „The Jon Spencer Blues Explosion“. Leichte Country Vibes und den Verve einer bluesigen Rockabillie-Nummer inklusive. Das ganze Beschreiben nutzt ja eh nix. Riskiert ein Ohr. The Ballet Bombs sind frisch und aufregend und machen ihre Sache verdammt überzeugend. Mehr davon.

„Mutations“ demonstriert, wo’s bei den Ballet Bombs juckt und wie sich das Trio aus Eindhoven am liebsten kratzt. Auf der Bühne, live und spontan. In leicht räudigem Sound abrocken. Immer wieder lässt die klassische Trio-Besetzung, Raum für Ausflüge in noisige, psychedelische oder auch mal melodische Gefilde, nur um dann wieder also alles in verzerrter Sättigung zu ertränken. Also, rein ins Tütü, freien Ausdruckstanz üben und ab aufs Konzert, sobald sich die Gelegenheit bietet.

Album-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

The Ballet Bombs: Mutations (Live EP)
Genre: Hard Rock, Garage, Noise, Psychedelic
Länge. 20 Minuten, NL, 2022
Interpret: The Ballet Bombs
Label: Noisolution
Vertrieb: Edel
Vinyl & CD-VÖ: 03.06.2022

The Ballet Bombs bei Noisolution
Bandcamp Auftritt von The Ballet Bombs
Facebook-Seite der Band