Den prominenten Fernsehkrimi-Sendeplatz am späten Sonntagabend im ZDF besetzte jüngst eine eigenwillige Agatha Christie Adaption. Der Schweden-Krimi „Hjerson“ und die Figur des Detektivs gehen zwar auf die berühmte Krimiautorin zurück, sind aber sehr eigenständig in der Gegenwart angesiedelt. Das ZDF hat die Krimi-Reihe auch gleich koproduziert. Nun veröffentlicht Edel Motion die erste Staffel der Schweden-Krimi-Serie auf DVD für das klassische Home-Entertainment.
Die TV-Produzentin Klara Sandberg (Hanna Alström) steckt in einer tiefen Sinnkrise. Sie ist es leid für das Trash-TV-Format „Milf Hotel“ immer neue Schikanen und Challenges zu erfinden, um Einschaltquoten hoch zu halten. Stattdessen schlägt sie den Produzenten von Chef TV ein neues „True Crime“-Format vor: Sven Hjerson, Europas bester Kriminalermittler, soll eine eigene Show bekommen und vor laufender Kamera Verbrechen aufklären.
Abgeneigt sind die Produzenten nicht, aber es gibt ein Riesenproblem: Hjerson (Johan Rheborg) ist seit Jahren unauffindbar. Seit er wegen eines Skandals bei der schwedischen Polizei gefeuert wurde, hat sich der pfiffige Kriminalist verkrochen.
Klara spürt Hjerson tatsächlich beim Frisör auf und heftet sich an seine Fersen. Als er auf eine Fähre zur Inselgruppe Åland eincheckt, geht Klara kurzentschlossen mit an Bord. Klaras Kontaktversuche scheitern kläglich, doch die Überfahrt ist in anderer Hinsicht „erfolgreich“: An Bord wird ein Mord verübt und Hjerson beginnt zusammen mit Klara eigene Ermittlungen anzustellen, weil die Sicherheitsoffizierin an Bord anderes zu tun hat.
Tatsächlich bleibt es während der ersten Staffel von „Hjerson“ in der Schwebe, ob Hjerson sich zur Fernseharbeit bereit erklärt. Denn der Kriminalist hat auf Åland ein Hotel geerbt (das er eigentlich schleunigst wieder loswerden will) und das Faktotum Majvor (Maria Lundqvist) macht dem garstigen Sven Striche durch die Rechnung. Doch der Mord auf der Fähre zieht auch auf Åland seine Kreise.
Das Verbrechen macht ohnehin keineswegs vor Åland nicht halt. In der zweiten Ermittlung bekommt es Hjerson mit einem verletzten Küken zu tun, das verschwunden ist. Besser gesagt sein alter Freund Oscar findet am Strand einen verletzen Mann in quietschgelben Kükenkostüm. Doch als er die Polizei ruft, verschwindet der Verletzte unbemerkt. Tags darauf wird Oskar am helllichten Tag angeschossen.
Im dritten Fall hat eine Kriminalautorin das Problem, dass der literarische Mord, den sie gerade beschreibt, tatsächlich haargenau so verübt wurde. Ein Küchenchef erfriert in der Kühlkammer seines Restaurants. Doch wie sich herausstellt, kann die Krimihandlung sehr wohl einigen Leuten – und damit Tatverdächtigen – bekannt sein. Hjerson und Sandberg nehmen die Spuren auf und die TV-Produktion wird vertagt.
Im abschließenden, vierten Fall wir bei Film-Dreharbeiten auf Åland der Hauptdarsteller vor laufender Kamera erschossen. Jemand hat die Munition ausgetauscht. Aber Hjerson ist zunächst nicht bei der Sache, weil ihm die eigene Familiengeschichte durch den Kopf spukt.
Soviel dazu. Nun geht’s ans Sezieren. Das Serienformat „Hjerson“ ist in acht 45-minütige Episoden aufgeteilt, die für das ZDF jeweils als spielfilmlange Doppelfolge ausgestrahlt werden, was auch den einzelnen Ermittlungsfällen entspricht. Aber beim ZDF verspricht man sich scheinbar recht viel von dem Serienformat und will es international vermarkten, weshalb es auch eine englischsprachige „Landing Page“ zur Serie gibt. Ob das Kalkül aufgeht bleibt mehr als fraglich. So recht überzeugend ist die Serie nicht ausgefallen.
Was hat es also mit dem Verweis auf Agatha Christie auf sich? Sven Hjerson ist tatsächlich eine Romanfigur von Agatha Christie. Und zwar im doppelten Sinne. In einigen der späteren „Hercule Poirot“-Romane taucht die Schriftstellerin Ariadne Oliver auf, deren Roman-Ermittler ist der Finne Hjerson. Selbstredend nimmt die berühmte Krimiautorin damit sich und ihren belgischen Stardetektiv auf die Schippe. Diesen Hjerson nun also zum Serienhelden zu machen, ist einerseits eine pfiffige Idee, weil die Produzenten mit dem großen Namen hausieren gehen können, ohne ausgetretene Pfade zu beschreiten, andererseits total irreführend, den mit der Romanfigur hat der sehr gegenwärtige Fernseh-Kauz Hjerson absolut wenig gemein.
Immerhin hat man im Schwedenkrimi die finnische Herkunft beibehalten, weil Hjerson von Åland stammt. Das Archipel oder die Åland Inseln gehören zwar zu Finnland, haben aber offiziell Autonomie und sind sehr schwedisch geprägt. Sogar die Amtssprache ist Schwedisch. Serienfans kennen die Inselgruppe bereits aus der Dramaserie „Blutsbande“, in der es ebenfalls darum geht, dass die erwachsenen Kinder einen Hotelbetrieb erben und ihre bisherigen Leben und Leiden mit auf die Insel schleppen. Ganz so wie der gute Sven. Lustiger Weise taucht auch einer der „Blutsbande“-Hauptdarsteller in „Hjerson“ auf: als Film-Produzent Lukas macht Darsteller Joel Spira eine ebenso gute Figur wie als Oskar Waldemar, der Hotelerbe.
Dennoch zündet die Serienidee aus diversen Gründen nicht und der Unterhaltungsfaktor hält sich in Grenzen. Zuallererst ist das kriminalistische Element einfach nicht gut ausgearbeitet. Die Ermittlungen sind oberflächlich und uninspiriert. Sogar beim Mord auf der Fähre, der durchaus von „Tod auf dem Nil“ inspiriert ist, verpufft das „Who dunnit?“ komplett durch den mächtigen Fährschornstein.
Die weiteren Fälle sind bestenfalls schrullig und skurril, aber nicht ansatzweise packend oder mysteriös. Das mag nun Methode haben, und den Christie’schen Krimis ist immer auch ein kalauernder Humor eigen, aber die Serie ist nicht als Krimikomödie ausgewiesen, obwohl einer der „Solsidan“-Hauptdarsteller am Start ist. Eventuell liegt hier ein Missverständnis meinerseits vor, aber so der Humor denn nicht zündet, verkommt auch das Komödiantische.
Die Charaktere selbst sind höchst eigenwillig und bis ins Enervierende überzeichnet. Der überzeugte Misanthrop, Vegetarier und Eintänzer Sven Hjerson, flippt im Restaurant schon mal aus, wenn sich die Gäste dem Wams mit totem Fleisch vollschlagen und kriegt auch die Diskokugel im Kopf jederzeit in Rotation. Es mag am Eisbaden liegen, dass sich der „beste Kriminalermittler Europas“ zumeist als abweisender Sonderling zeigt.
Schwerwiegender allerdings ist der hohe Nervfaktor der TV-Autorin Klara Sandberg, abgesehen davon, dass sie unpassender Weise unentwegt Essbares zwischen die Kiemen stopft, spricht sie auch noch mit vollem Mund und mischt sich viel zu häufig vorlaut ein. Die roten Haare mögen an Pipi Langstrumpfs Frechheit erinnern, aber diese ist vor allem flegelhaft überzogen. Um Missverständnissen vorzubeugen, das liegt keinesfalls an Darstellerin Hanna Alström, sondern daran, wie die Figur im Drehbuch angelegt ist.
Ein weitere erheblich überstrapazierter Running Gag ist Klaras Beziehung. Vor allem braucht die TV-Autorin jemanden, der sich um ihre Tochter Olivia kümmert. Aber ihr derzeitiger Ehemann kommt ständig in jederlei Hinsicht zu kurz. Dusseliger und unlustiger Weise macht er darauf in sehr schräger Art aufmerksam und sammelt nicht nur bei der Gattin Minuspunkte. Irgendwie hatten sich die Macher diese ganze Hintergrundebene auch sparen können, weil sie ohnehin nicht verfängt.
Die schwedische vom ZDF koproduzierte Krimi-Serie „Agatha Christies Hjerson“ kann vor allem in kriminalistischer Hinsicht nicht überzeugen. Hier sind die Fälle weniger rätselhaft als kauzig. Hinzu kommt ein sehr eigenwilliges Ermittlerpaar, das oft genug in seiner Schrulligkeit eher ausgestellt als in Szene gesetzt wird. Sorry, not my cup of tea.
Serien-Wertung: (4 / 10)
Agatha Christies Hjerson Staffel 1
OT: Agatha Christies Hjerson Staffel 1
Genre: TV-Serie, Krimi,
Länge: 347 Minuten, S/D, 2022
Idee: Patrick Gyllström
Regie: Lisa Farzaneh, Lisa James Larsson
Darsteller:innen: Johan Rheborg, Hanna Alström, Maria Lundqvist
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edel Motion, ZDF Enterprises
DVD-Start: 04.03.2022