Der australische Familienfilm „Noch einmal, June“ handelt von unerwarteten Gelegenheiten im Leben und davon, dass es zwar gelegentlich zu spät ist, es aber oft zweite Chancen gibt. Dabei erzählt der Film aus der Perspektive einer eigentlich dementen Mutter, die sich noch einmal gehörig in das Leben ihrer erwachsenen Kinder einmischt. Die sehenswerte Familiengeschichte startet am 17.02.2022 in den deutschen Kinos.
June Wilton (Noni Hazelhurst) lebt seit Jahren in einem Pflegeheim für Demenzerkrankte, als sie eines Morgens aufwacht und eine Phase erlebt, in der ihre Erinnerung und ihre Lebensfreude wieder da sind, als wären sie nie weg gewesen. Obwohl der Doktor June warnt, dass die Klarheit nur vorübergehend sein wird und sie trotzdem am besten im Heim aufgehoben ist, flieht June bei der nächstbesten Gelegenheit.
Die erste Überraschung erlebt June, als sie ein fremdes Kind in „ihrem“ Haus vorfindet. Junes Tochter Ginny (Claudia Karvan) freut sich zwar sehr, dass ihre vermisste Mutter wieder so präsent ist, aber das legt sich schnell, als June sich massiv in die Familienangelegenheiten von Ginny einmischt und ihr Anweisungen gibt, wie die familieneigene Tapeten-Produktion gefälligst zu führen ist.
Auch mit dem Leben von Sohn Devon (Stephen Curry) ist June überhaupt nicht einverstanden. Nicht nur, dass er in einem Copy-Shop arbeitet, er ist auch noch geschieden. Außerdem haben Ginny und Devon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Für June gibt es Einiges zu regeln – und ihre geliebte Kommode haben die Kinder auch verkauft.
Altersdemenz ist immer wieder ein Thema, das auch in Filmen aufgegriffen wird. Gelegentlich, wie in Nicolas Cassavettes Verfilmung des Nicholas Sparks Romans „Wie ein einziger Tag“ (2004), wird dann eine tragisch-schöne Liebesgeschichte erzählt. Oder aber, es geht um die zunehmende Desorientierung der Erkrankten und die Schwierigkeiten damit umzugehen wie in Florian Zellers Verfilmung seines Theaterstücks „The Father“ (2020). In „Noch einmal, June“ finden sich Elemente aus beiden Filmen wieder, werden aber von Regisseurin und Drehbuchautorin J J Winlowe zu etwas ganz anderem zusammengefügt.
Vielleicht ist „Noch einmal, June“ deshalb so einnehmend, weil die Figuren in diesem komischen Drama so lebensnah gestaltet sind. In dem australischen Film wird wenig beschönigt oder überzeichnet und doch kommt am Ende eine Geschichte heraus, die großer und beispielhafter wirkt als das Leben selbst und viele und sehr unterschiedliche Gefühle anspricht und freisetzt.
Allein die anfängliche Darstellung von Junes Demenz ist ebenso scheinbar schlicht wie effektiv in Szene gesetzt. Da gehen Situationen und Leute ansatzlos ineinander über, haben gerade genug Ähnlichkeit zu dem Vorherigen um zu verstören, weil sie emotional und gesellschaftlich eben etwas ganz anderes sind. Erinnerung und Erleben verschwimmen. Das ist nicht nur für June, sondern auch für das Publikum irritierend und erleichtert es, sich in die Heldin hineinzuversetzen.
Das ist wichtig, denn die Erzählperspektive ist die von June. Doch entlang der Geschichte zeigt die neu erwachte alte Dame nicht nur ihre freundliche Seite, sondern auch beinahe diktatorische Züge in Bezug auf das Leben ihrer erwachsenen Kinder und deren Karrieren. Da fehlt es an Akzeptanz, dass die Sprößlinge andere Wege eingeschlagen haben oder in Lebenssituationen nicht so rustikal standgehalten haben wie es June von sich selbst erwartet und auch getan hat.
Insofern ist auch beim Publikum schnell Verständnis für die Kinder da, die im ersten Moment hoch erfreut sind, dass ihre Mutter noch einmal bei klarem Verstand ist und gemeinsame Zeit ermöglicht. Gleich darauf aber gemaßregelt werden, in ihrer verständlichen Sorge lächerlich gemacht und sogleich wieder in die Kinderrolle geschubst werden, weil Mutter sich anschickt, die Dinge zu regeln.
Das hört sich nicht nur nach Stress an, es sieht auch so aus, aber J J Winlowe gelingt es immer wieder humorvollen Ausgleich zu schaffen, so dass das Publikum sich tatsächlich für die meiste Zeit des Films gut, weil emotional stimmig unterhalten fühlt. Dafür ist vor allem die Suche nach der Kommode verantwortlich, die Junes „Knast“-Ausbruch noch zu einem Road Movie macht; und zwar mit dem geliebten Oldtimer ihres distanzierten Schwiegersohns. Am Ende kommt es, wie es kommen muss, und es ist keine Überraschung, das Junes Präsenz wieder schwindet. Aber die gemeinsame Zeit hinterlässt neue Impulse und neue Erinnerungen und ein anderes Familiengefühl.
Ob Zuschauer:innen die charmante und kluge australische Familiengeschichte „Noch einmal, June“ eher als Wohlfühlfilm, als Feel Good Movie, empfinden oder als Tragikomödie mag wohl vor allem daran liegen, in welcher Lebensphase sich jemand und seine Familie gerade befindet und ob man/frau seine:n Frieden mit dem altersbedingten Gedächtnisverlust gemacht hat. „Noch einmal, June“ erzählt mit viel Verständnis für die Charaktere und keineswegs immer auf Pointen schielend von dem schönen und den anstrengenden Momenten zwischen Kindern und Eltern.
Film-Wertung: (7 / 10)
Noch einmal June
OT: June again
Genre: Drama, Komödie
Länge: 99 Minuten, AUS, 2020
Regie: J J Winlowe
Darsteller:innen: Noni Hazelhurst, Stephen Curry, Claudia Karvan
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Happy Entertainment
Kinostart: 17.02.2022