Parker Martini Edition 1: Onyx in Beton

Die Legende ist stets größer als der Mann. Selbst wenn der Mann eine Romanfigur ist und bereits größer als das Leben selbst. Im Grunde ist das Scheitern vorprogrammiert, der Versuch immer ein Fehlschlag, eine Gestalt aus Worten mit einem tatsächlichen Antlitz auszustatten. Irgendjemandes Vorstellung stört sich immer an der Gestaltwerdung. Und doch besitzt dieser „Parker“, den der kanadische Comic-Künstler Darwyn Cooke aus den Krimi-Romanen von Donald E. Westlake alias Richard Stark nahezu herausmeißelt, eine eigene unzweifelhafte Wahrheit. Die jüngst bei Deutschlands aktuell erster Adresse in Sachen Krimi-Comics, Schreiber Leser, erschienene „Parker Martini Edition“ ist ein Ziegel von einem Buch.

Parker ist ein geradliniger Kerl. Ein Krimineller, kein Gauner. Eher ein Macher als ein Redner; wobei auch Planung dazugehört. Und überschaubare Umstände, um unter dem Radar bleiben zu können und das Leben genießen. Vielleicht muss man so werden, wenn man seinen Broterwerb auf kriminelle Weise verdient, vielleicht muss man kriminell werden, wenn man so eine Persönlichkeit hat. Auf jeden Fall verbietet einer wie Parker Zeitverschwendung.

Knapp, präzise, auf den Punkt: Seit der Kriminal-Autor Donald E. Westlake 1962 unter dem Pseudonym Richard Stark begann Krimis über einem wortkargen Gauner mit klarem Ehrenkodex zu verfassen, wohlgemerkt keinen Gentlemen-Gauner, fand die Figur in Genre-Kreisen schnell viele enthusiastische Fans. Die ersten Verfilmungen von Parkers Gaunereien auf der Leinwand erschienen einige Jahre später. Absurderweise hießen die jeweiligen Hauptfiguren bis zur „Parker“-Verfilmung mit Jason Statham 2013 nie Parker. Das gab Anlass für Spekulationen, war wohl aber der Tatsache geschuldet, dass eine Film-Produktionsfirma die Namensrechte nicht rausrückte. Überraschenderweise hatte niemand Donald Westlake nach Comic-Adaptionen gefragt, bis der kanadische Zeichner und Autor Darwyn Cooke auf den Plan trat.

„Seine Hände sahen aus, als hätte ein Bildhauer, der in großen Linien dachte, sie aus braunem Lehm geformt.“ (Richard Stark „Parker“)

Cooke, der 2016 verstarb, und Westlake, der 2008 verstarb, haben sich wohl kurz vor dessen Tod kennengelernt und auch intensiv über Parker ausgetauscht. Zwischen 2009 und 2013 entstanden vier Graphic Novels nach „Parker“-Romanen sowie einige kürzere Adaptionen. Eigentlich alle davon wurden – vor allem in den USA – mit Comicpreisen überschüttet und etliche der Eisner- und Harvey Awards, die Darwyn Cooke einheimsen konnte, gingen an die Parker-Comics. 2011 wurde bei IDW Publishing, dem amerikanischen Verlag, der sich auf Comic-Adaptionen von Filmen, Serien und Büchern spezialisiert hat und in dem die Parker Graphic Novels erschienen, ein Sammelband geplant. Darin sind nicht nur die bis dahin erschienen beiden längeren Roman-Adaptionen „The Hunter“ und „The Outfit“ enthalten, sondern auch eine kürzere Graphic Novel über „The Man with the Get Away Face“ und eine gezeichnete Kurzgeschichte nach „The Seventh“.

Angereichert wurden die Graphic Novels noch mit einer längeren Diskussion über Donald Westlake und sein Werk und einer Art kommentierter Poster-Gallery zu den „Parker“-Verfilmungen. Herausgekommen ist die „Martini Edition“ (Teil 1), die in Amerika allerdings erst im Jahr 2020 erschien. Der zweite Sammelband, der die beiden anderen langen Parker-Adaptionen von Darwyn Cooke und mutmaßlich weiteres spannendes Material enthält, erscheint voraussichtlich im Herbst 2021. Hoffentlich dann auch umgehend auf Deutsch.

Die Parker Martini-Edition ist übrigens einer der seltene Fälle, in denen sich Leser hierzulande freuen können, dass sie Geld sparen. Normalerweise sind die amerikanischen Comics weil auflagenstärker ungleich kostengünstiger als die deutschsprachigen Varianten. Die Martini Edition bei Schreiber & Leser ist verglichen mit dem Original ein Schnäppchen. Eines dass jeden Cent lohnt.

Einer der Vorzüge der Martini Edition liegt darin, dass Krimi-und Comicfans vom Künstler seine Herangehensweise kommentiert bekommen. So wundert es den Leser auf den ersten Seiten von „The Hunter“ nicht, dass Parkers Gesicht erst nach etlichen Panels aus dem Halbdunkel und dem Schatten auftaucht. Schließlich hatte Autor Westlake selbst sich gewundert, dass seine Beschreibung des Antihelden so unspezifisch ausgefallen sein, dass quasi jeder seinen eigenen Parker erschaffen könne. Westlakes Prosa ist klar, kantig und fast emotionslos beschreibend. Ein Herausforderung für jegliche Umsetzung, die mit Bildern Stimmung und Sympathie erzeugen will.

„Ich fragte mich: Warum läuft er zu Fuß über die Brücke?“ (Donald Westlake)

Dabei ist das Timing der Stories meisterhaft und von archaischer Schönheit wie auch die Motive beinahe archetypisch und alttestamentarisch sind. Parker wird betrogen und für tot gehalten. Er will Rache, merkt dabei, dass diese ihn nicht befriedigt. Er legt sich mit einer mysteriösen und mächtigen Verbrecherorganisation an, um jenen Beuteteil zurückzubekommen, der ihm seiner Meinung nach zusteht. „The Hunter“ erschien 1962, wurde 1968 bei Ullstein als „Jetzt sind wir quitt“ veröffentlicht, später wegen der entsprechenden Verfilmungen als „Point Blank“ und „Payback“ neu aufgelegt und 2015 als „The Hunter“ neu übersetzt.

1963 erschien mit „The Man with the Getaway Face“ (deutsch „Parkers Rache“), die zweite Parker Story, die an die erste anknüpft: Plastische Chirurgie macht es Parker möglich unterzutauchen, doch er braucht Geld und lässt sich auf einen halbgaren Coup ein, der unter seinem Niveau liegt. Die Comic-Adaption von „Parkers Rache“ ist eher eine Kurzgeschichte und umfasst etwa 20 Seiten, füllt aber die inhaltlichen Lücken bis zur Graphic Novel des dritten Parker-Romans, so dass eine übergeordnete Erzählung entsteht.

„The Outfit“ (Deutsch: „Die Gorillas“) erschien ebenfalls 1963 und Parker sieht sich erneut im Fadenkreuz der allmächtigen Verbrecherorganisation, die er um „seinen Anteil“ und einige der Mitarbeiter gebracht hat. Er wurde wohl verraten. Der Schweiger sieht ein, dass er dieser Konfrontation nicht entrinnen kann, und sucht sich Verbündete, um die Sache ein für alle mal zu beenden.

Abschließend und exklusiv für die „Martini“-Edition hat Darwyn Cooke noch eine kurze Adaption von „The Seventh“ (Deutsch: „Parker und der Amateur“) geschaffen, ein Comic-Kleinod nach dem siebenten Parker-Roman. Zu einer langen Comic-Umsetzung ist es leider nicht mehr gekommen, was sicher auch großartig geworden wäre. Aber Fans können sich noch auf zwei weitere Parker-Graphic Novels freuen. Neben „The Hunter“ und „The Outfit“, die beide bereits in deutscher Fassung als Einzelbände im Eichborn Verlag veröffentlicht waren, hat Cooke auch noch den vierten Parker-Roman “The Score“ (Deutsch: „Stadt im Würgegriff“), und den 14. Parker-Roman „Slayground“ (Deutsch: „Ich bin die dritte Leiche Links“) als Graphic Novel adaptiert. Beide sind hierzulande bislang unveröffentlicht.

„Weil er wütend ist. Nicht kochend vor Wut, sondern in kaltem Zorn.“ (Donald Westlake)

Stilistisch merkt man den Parker-Comics an, dass da jemand nicht nur eine inhaltliche Storyumsetzung im Sinn hat, sondern auch in der Lage ist, Zeitkolorit und Erzählstil bildlich auszuformulieren. Die Zeichnungen sind in jeder Story mit einer anderen monochromen Farbschattierung unterlegt, die für Schatten, Licht und Atmosphäre zuständig ist. Die klaren schlichten Interieurs und Möbel sind auf den ersten Blick in die Sechziger gehörig und die Figuren sind scheinbar mit wenigen Strichen charakterisiert. Vielleicht kommt da die jahrlange Arbeit als Storyboard-Künstler beim Film durch, aber selten wurden Geschichten so ökonomisch erzählt. Dabei hat Darwyn Cooke ein sicheres Gespür für Großaufnahmen und Totalen, Establishing Shots und eine Dynamik die sich am Spielfilm orientiert und dabei selbstredend an der Bildsprache des Hard boiled Crime.

Immer wieder werden Sequenzen, in denen es wie im Filmklassiker „Rififi“ (1955) wortlos um die Action geht, gebrochen von klärenden Panels, die nur aus Text bestehen und im Grunde Parkers inneren Monolog darstellen. So ergibt sich tatsächlich das Bild einer schweigsamen Figur und eines konsequenten, emotionslosen Gauners, der nur seinem eigenen Ehrenkodex verpflichtet ist. Erstaunlich eigentlich, das Leser:innen da mitfiebern.

Besser geht es nicht: Hier adaptiert ein Ausnahme-Comic-Künstler einen Ausnahme-Autoren und meißelt einer Ikone des Hard Boiled Crime ihr einzig wahres bildliches Zeugnis. Die ultimative „Parker“-Adaption in der ultimativen Edition. Stilecht passt sogar die Papierqualität zum Inhalt. Das Bonusmaterial macht die „Martini Edition sogar noch zum ultimativen „Parker-Kompendium. Freunde klassischer harter Krimis haben keine Wahl: Urlaub nehmen, Martinis mixen und lesen und staunen. Und nochmal lesen und staunen. Und nochmal lesen und staunen…

Comic-Wertung: 10 out of 10 stars (10 / 10)

Parker: Martini Edition – Band 1
OT: Parker: The Martini Edition Vol. 1, IDW Publishing, 2020
Genre: Graphic Novel, Krimi,
Zeichnung & Szenario: Darwyn Cooke
Nach Romanen von Richard Stark
Übersetzung: Stefanie Grimm, Resl Rebiersch et al.
ISBN: 978-3-96582-055-5
Verlag: Schreiber & Leser, gebunden, 364 Seiten

Donald Westlake bei wikipedia

Darwyn Cooke bei wikipedia (englisch)

„Parker“ Martini Edition 1 bei Schreiber & Leser