Zuschauer:innen könnten die Anime-Serie „Iroduku – Die Welt in allen Farben“ schnell als Teenie-Kram abtun, denn das „Shojo“-Anime ist vornehmlich für ein junges weibliches Publikum gedacht. Die Serie um ein farbenblindes Mädchen, das in der Vergangenheit nach einer bunten Welt sucht, hat eine gute Geschichte und nicht nur zeichentechnisch viel zu bieten, das über die anvisierte Zielgruppe hinausgeht. Leonine Anime veröffentlicht die sehenswerte, abgeschlossene Anime-Serie nun auf DVD und Blu-ray für das klassische Home-Entertainment.
Die 17-jährige Hitomi Tsukishiro ist farbenblind und sieht die Welt nur in Grautönen, seit sie in ihrer Kindheit einen schmerzlichen Verlust erlitten hat. Doch ihre Großmutter Kohaku lässt nichts unversucht, um Hitomi aufzumuntern. Die Familie der Tsukishiros ist seit je her mit Magie begabt und so schickt die Großmutter ihre Enkelin in die Vergangenheit.
Hitomi findet sich im Nagasaki des Jahres 2018 wieder, 60 Jahre vor ihrer eigenen Gegenwart. Völlig unerwartet landet sie im Zimmer eines gleichaltrigen Jungen. Als sie heimlich aus dem Fenster steigt, wird sie von dessen Klassenkameradinnen entdeckt. Hitomi sucht und findet in ihrer Heimatstadt auch den Magieladen, den ihre Familie bereits 2018 betreibt und lernt dort ihre Ur-Großmuter und deren Mutter kennen. Großmutter Kohaku, die zu dieser Zeit genauso alt ist wie Hitomi, ist gerade für einen Schüleraustausches in England.
Die Familie schickt Hitomi zur Schule, wie es sich für eine 17-jährige gehört. Schon am ersten Schultag freundet sie sich mit jenen Mädchen an, die sie bei ihrer „Ankunft“ beobachtet hatten. Die Klassenkameradinnen sind auch Mitglieder im Schülerclub für Fotografie, an den auch der Kunst-Club angegliedert ist, weil er nur aus einem einzigen Mitglied besteht. Eben jenem Aoi Yuito, aus dessen Zimmer Hitomi geflüchtet ist.
„Wenn man Fotos macht, kann man nie denselben Moment zwei Mal erwischen.“
Der Fotografie- und Kunstclub sucht händeringend neue Mitglieder und Hitomi schließt sich den begeisterten Fotografen an. Vor allem, weil sich auch jemand für künstlerische Schwarz-Weiß-Fotografie interessiert. Dass sie aus der Zukunft stammt, verschweigt Hitomi ebenso wie ihre Unfähigkeit, Farben zu erkennen. Als dann ihre Großmutter aus England zurückkommt, stellt sich den Mädchen die Frage, warum deren gealtertes Ich die Enkelin zur Zeitreisenden gemacht hat?
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, das Science-Fiction-Element in „Iroduku“ beschränkt sich auf die Zeitreise selbst und die damit verbundenen Fragen, ob, wann und wie Hitomi wieder in ihre Zeit zurückkehrt. Dem widmet sich die Anime-Serie von Regisseur Toshiya Shinohara erst in den letzten Episoden der 13-teiligen Serie. Eine Fortsetzung ist bislang weder angekündigt, noch stellt das Ende eine solche in Aussicht.
„Wo gestern noch Licht gewesen ist, ist es heute nicht mehr.“
„Die Welt in allen Farben“ beschäftigt sich vor allem mit universellen Teenager-Problemen, dargeboten mit ein bisschen Zauber-Fantasy. Die Serie zeigt dabei ein paar japanische beziehungsweise Anime-Eigenheiten wie etwa die knappen Schuluniformen und die gelegentlich ritualisierten, formalisierten Umgang der Mädchen und Jungen miteinander. Doch gerade der Schulclub bietet den jungen Leuten die Möglichkeit, außerhalb des Unterrichts Zeit miteinander zu verbringen.
Selbstredend kommt es dabei zu stärkeren Freundschaften, Schwärmerei und Verliebtheit, Rivalität und Gruppendynamik. „Die Welt in allen Farben“ erzählt sehr mitfühlend und unterhaltsam davon, wie es ist, sich als Fremde irgendwo zurechtfinden zu müssen, Freunde zu finden und die eigenen Probleme anzugehen. Denn für Hitomi zeigt sich ein Hoffnungsschimmer: Als sie ein Bild von Yuito ansieht, erkennt sie endlich wieder Farben. Doch der Effekt ist nur von kurzer Dauer.
Das Setting in der Anime-Serie ist außergewöhnlich gut ausgearbeitet und so kommen einige schöne Stadtflecken und Landschaften zum Zug, wenn der Club auf Fotosafari und zu „Shootings“ unterwegs ist. Das renommierte Produktionsstudio P.A.Works („Angel Beat“) sorgt für eine aufwändige Produktion. Dabei kommt auch der eine oder andere Effekt zum Einsatz und sorgt für ausgesprochen intensive Bilder. Zuschauer:innen lernen nebenbei auch etwas über Fotografie.
Aber am schönsten ist „Iroduku“ wenn es magisch wird. Wenn der zauberhafte Sternensand, den die Familie von Hitomi und Kohaku herstellt und verkauft, zum Einsatz kommt. Etwa, um Yuito Inspiration zu verschaffen, oder in die Bildern einzutauchen. Dann ändert sich der klassische Animationsstil in eine künstlerisch verfremdete, fantastische Umgebung, in der die Buntstifte und Wachskreiden den Look bestimmen und so für erstaunliche und faszinierende Ausflüge sorgen.
„Durch ein einziges Gefühl verändert sich die ganze Welt.“
Visuell ist „Iroduku – Die Welt in allen Farben“ etwas origineller ausgefallen als in erzählerischer Hinsicht. Beim Storytelling tun sich einige Lücken auf. So wird sich das Publikum aber auch in vielen emotionalen Motiven wiederfinden. Die anfangs überzeugend ausgewogene Handlungsbreite, die etliche Beziehungen der Clubmitglieder untereinander aufnimmt und erzählt, spitz sich in der zweiten Hälfte der Serie immer mehr auf Hitomi und ihre gleichalte Großmutter zu. Das lässt die übrigen Figuren etwas stiefmütterlich außer Acht.
Auch hat die Liebesgeschichte so ihre Untiefen, in denen es etwas holprig und vor allem sehr redlich und aufrichtig zugeht. Dazu kommen noch ein paar harmlose Klischees. Die Konstellation, dass Hitomi zwischen zwei Jungen steht, geht ebenfalls nicht so richtig auf. Daraus entsteht letztlich nur eine kurze Episode, beinahe so, als müsste sich „Iroduku“ auf das Wesentliche besinnen, nämlich Hitomis Verlust zu überwinden, damit ihre Welt wieder bunt wird.
„Iroduku – Die Welt in allen Farben“ erzählt davon, wieder Freude im Leben zu finden. Graue Gedanken zu vertreiben und die Farben der Welt anzunehmen. Das ist mit ein wenig Phantastik und viel Humor und Wärme erzählt. Auch die ein oder andere visuelle Idee überrascht und sorgt insgesamt für eine sehr sehenswerte moderne Anime-Serie; nicht nur für Mädchen.
Serien-Wertung: (8 / 10)
Die Welt in allen Farben – Iroduku – Staffel 1
OT: Iroduku
Genre: TV-Serie, Fantasy, Anime, Shojo
Länge: ca 310 Minuten (13 x 25Min.), J, 2018
Idee &Regie: Toshiya Shinohara
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Leonine
DVD- & Bd-VÖ: 19.02.2021