Fats Waller: Heiße Schokolade und Orgelpfeifen

Im weiten Feld der so genannten Graphic Novel, also des dramtischen, ersthafteren Comics, nimmt der Bereich der Biographie von Berühmtheiten fast eine eigene Sparte ein. Immerhin können so auch Leser, die ansonsten mit dem Medium Comic, der neunten Kunst, nicht viel anfangen können, bewogen werden, sich die Bildgeschichten anzuschauen. „Fats Waller“ erschien 2005 im Avant-Verlag und ist im engeren Sinne eigentlich keine Künstlerbiographie, vielmehr ein Versuch, die Zeitgeschichte der bewegten 1930er Jahre literarisch zu umreißen. das hat so seine Schwächen, aber auch seine Momente.

Es gab Zeiten, das lag dem amerikanischen Jazz-Musiker, Pianisten und Komponisten Thomas Wright „Fats“ Waller beinahe die gesamte Welt zu Füßen. In den USA waren seine Musikrevues ausverkaufte Publikumserfolge und seine Kompositionen waren nicht nur beliebt, sondern begeisterten auch andere Musiker und Komponisten, wie etwa Louis Armstrong und Igor Stravinski.

Auch in Übersee wurde Fats Wallers Musik geschätzt und lieferte vielen Menschen den Soundtrack zu ihrem Leben. Auch jene Menschen, die eigentlich eher zum Faschismus neigten, schwärmen für diesen Jazz. Der Faschismus, der in Europa in den 1930ern gerade um sich greift und in Deutschland, Italien und Spanien zu tiefen gesellschaftlichen Zerüttungen führt, hat ja in seiner Nationalsozialistischen deutschen Ausprägung wenig übrig für diese „Negermusik“ und das „Entartete“ in der Kunst und in der Musik.

His Master’s Voice

Der Autor Carlos Sampayo verknüpft nun in „Fats Waller“ das Leben und die Musik Wallers mit jenen Schicksalen scheinbar zufällig ausgewählter Europäer, denen nur gemeinsam ist, dass Sie Fats‘ Musik lieben. Da wären unter anderem der Pariser Schneider, der selbst ein wenig fülliger ist, ein faschistisch gesinnter englischer Adeliger mit Vorliebe für Labyrinthe, ein ambitionierter Sozialist, der den Kampf der Genossen in Spanien unterstützen will, und dazwischen immer wieder Episoden und Szenen aus dem Leben des Musikers selbst.

Die Gesamtausgabe ist wie eine Schallplatte in zwei Teile aufgeteilt, die jeweils die klassiche Länge von Comic-Alben (64 Seiten) haben, hinzukommen noch einige Skkizzen und Vorzeichnungen von Igor, ein Abriss ausgewählter historischer und biografischer Fakten und ein Nachwort von Sampayo.

Komponieren was das Zeug hält

Der erste Teil ist nach dem Musik-Label „His Masters Voice“, das vornehmlich für die EMI bekannt geworden ist, „Die Stimme seines Herrn“ benannt. Die zweite Seite der Geschichte heißt dann „Bittere Schokolade“ in Anlehnung an Wallers Hit-Revue „Hot Chocolates“ und die Tragik seines kurzen Lebens.

In Comics gibt es immer mehrere Ebenen, die zusammengehen müssen, um zu einem wirklich herausragendes Leseerlebnis zu kommen. Nicht nur in den US-amerikanischen Mainstream-Comics ist eine Arbeitsteilung üblich, bei der zumindest ein Autor und ein Zeichner kombiniert werden. Man denke auch an Uderzo und Goscinny, die Väter von „Asterix“. Wenn die literarische Erzählebene nicht mit der bildnerischen Harmoniert oder sich kongenial ergänzt, hält sich das Lesevergnügen in Grenzen.

Die Auflösung der Internationalen Brigaden

Für „Fats Waller“ haben sich zwei große Namen der Comic-Szene zusammengetan. Der 1958 in Calgiari geborene Igor Tuveri alias Igort, gehört zu den großen der europäischen Comic-Szene, hat für viele große Magazine gezeichnet und diverse Preise eingeheimst. Auch der Argentinier Carlos Sampayo, der vor der Diktatur nach Spanien emigrierte, gehört zu den großen Erzählern des europäischen Comics, ist aber auch Romanautor. Seine Storylines und Szenarien wurden ebenfalls mehrfach ausgezeichnet. Doch gerade sein Storyentwurf für „Fats Waller“ geht nicht so recht auf.

Vielleicht hat der tragische Erfrierungstod Wallers während einer Bahnfahrt eine Parallele zu den Todeszügen der Nazis berührt? Vielleicht wollte Sampayo einen jazzigen Soundtrack für seine europäischen Episoden? Wie so etwas stimmungsvoll funktionieren kann hat gerade „Rhapsodie in Blau“ von Andrea Seri (erschienen bei Schreiber & Leser) bewiesen, wo der Gershwin-Titel vor allem als Leitmotiv – auch für die Bilder – eingesetzt wird. In „Fats Waller“ funktionieren weder die parallel erzählten Episoden noch der grundsätzliche Tonfall der Geschichte.

Da, wo der Süden anfängt

Spätestens, wenn Sampayo, das Porträt, das er von Waller zeichnet, ins „rechte Bild“ rückt und sich dabei direkt an den Leser wendet, ist der letzte Rest glaubwürdiger Perspektive verschwunden. „Damit sich der Leser kein falsches Bild macht, müssen dringend einige Dinge klargestellt werden.“ Zumindest die Waller-Episoden werden so zur Geschichtsstunde degradiert. Und auch die musikalischen Überleitungen der Story hapern.

Wie eingangs erwähnt sind Biographien gerade für Graphic Novels interessante Themen und Reinhard Kleist beispielsweise (“Nick Cave“, „Johnny Cash“) schafft es immer wieder im Medium Comic eindrückliche Geschichten zu erzählen. Die Herangehensweise ist dabei oft eher cineastisch, aber eventuell hätte „Fats Waller“ mit einem schlichteren Erzählansatz eher überzeugt.

Ich habe mich nicht schlecht benommen

Anders das Artwork von Igort: In reduzierten Sepiatönen gehalten erzeugen die Bilder ihren eigenen Sog. Vom Establishing Shot auf den Broadway über nächtliche Transits mit Auto oder Zug, über fast abstrakte Details bis hin zu kantigen Porträts sorgt Igort für einen Bilderrausch, der tatsächlich etwas von dem Jazz, den Stimmungen und den so unterschiedlichen damaligen Zeitgeisten auf die Seiten zaubert.

Einige Soundeffekte wirken mal störend, andere kleine Panels sind etwas eckig ausgefallen, was aber durchaus in den Stil dieses Albums passt. Vor allem aber sind immer wieder seitenfüllende Panels dabei, die von einzigartiger Kunstfertigkeit sind und eine wunderbare Kombination von Zeichnung, Schattierung und Kolorierung sind

Die Graphic Novel „Fats Waller“ ist keine Künstlerbiographie im engeren Sinne, sondern Autor Carlos Sampayo benutzt das Werk des amerikanischen Musikers, um die europäische Tristesse der 1930er zu kontrastieren. Bisweilen wiegt der literarische Anspruch zu schwer auf der leichten Musik Wallers. Zum Tanzen laden die Bilder dafür umso mehr ein. Illustrator Igort macht locker wett, was an Swing und Tempo fehlt.

Comic-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Fats Waller
OT: Fats Waller, Casterman, 2004
Genre: Comic, Graphic Novel,
Autor: Carlos Sampayo
Illustrationen: Igort
Übersetzung: Ingrid Ickler
ISBN: 978-3-980942-85-0
Verlag: Avant Verlag, 136 Seiten, 2005
VÖ: 01.02.2005

Fats Waller bei Wikipedia

Igort Homepage

Carlos Sampayo bei Wikipedia (englisch)

Fats Waller “ im Avant-Verlag