The Angel’s Share: „Wasser“ für ein neues Lebens

Ok, diesen Archiv-Artikel habe ich in die Themenwoche „Essen & Trinken“ reingeschmuggelt: Der britische Regisseur Ken Loach hat sich in Jahrzehnten einen Namen als sozialkritischer Filmmacher erarbeitet. Da macht auch die „Komödie“ „The Angel‘s Share“ keine Ausnahme und nahm 2012 die gegenwärtigen Probleme Schottlands ebenso unterhaltsam wie ambitioniert aufs Korn. Da kann man schon mal den teuersten Whisky der Welt klauen.

Zusammen mit einem Haufen Rabauken wird der junge Glasgower Robbie (Paul Brannigan) zur Sozialarbeit verdonnert. Robbie ist glücklich, dass er nicht wegen Körperverletzung im Knast landet, denn seine Freundin Leonie ist hochschwanger und er will für sie und das Kind da sein.

Doch dem Jungen aus der Unterschicht fällt es nicht leicht, sich zu ändern, vor allem, weil ihm niemand eine Chance dazu gibt. Auch die Familie seiner Freundin hält nichts von Robbie und macht ihm unmissverständlich und handfest klar, dass er bei der Geburt nicht erwünscht ist.

Sozialarbeiter Harry (John Henshaw) kümmert sich um den geprügelten jungen Vater und dieser trinkt bei der Gelegenheit zum ersten Mal in seinem Leben Whisky. Ein Schlüsselerlebnis, denn Robbie entdeckt, dass er eine feine Nase und ein Gespür für die Nuancen des schottischen Nationalgetränks hat. Mit Akribie und Hartnäckigkeit schafft er sich Whisky-Fachwissen drauf. Bei einer Destillen-Besichtigung, zu der Harry ihn und seine Freunde von der Sozialarbeit mitschleppt, hört Robbie von eine kürzlich entdeckten Fass Whiskey, das demnächst versteigert werden soll und wohl der teuerste Whiskey der Welt ist.

Vielleich, denkt sich Robbie, kann man da einen Tropfen abzweigen und einen Neustart finanzieren? Mit seinen neuen Freunden, der Kleptomanin Mo (Jasmin Riggers), Albert (Gary Maitland) und Rhino (William Ruane), pilgert Robbie als Whisky-Club getarnt, im Kilt und mit dem Zelt zur Versteigerung in die Highlands.

Ken Loach scheint altersweise geworden, aber keineswegs altersmilde, nur weil sein Film 2020 als Komödie daherkommt. Sowohl der Regisseur („Mein Name ist Joe“, „i, Daniel Blake“) als auch das ambitionierte Drehbuch von Paul Laverty, mit dem Loach schon seit langem zusammenarbeitet, haben ein deutliches Gespür für’s Drama und die lebensnahen Probleme ihrer jungen schottischen Protagonisten, obwohl „The Angel’s Share – ein Schluck für die Engel“ im Grunde die anrührende und witzige Geschichte eines Spitzbubenstreiches ist.

Zugleich versteht es „The Angel’s Share“ aber auch eine hinreißende Hommage an Schottland zu zeigen und nebenbei viele (touristische) Highlights in die Story einzubetten. Wer den Film im Original schauen möchte, sollte vielleicht die Untertitel bemühen, denn die einheimische Zunge ist nicht immer leicht verständlich.

Regisseur Ken Loach („The Wind That Shakes The Barley“, „Jimmy’s Hall“) und auch Autor Paul Laverty („Carla’s Song“) verfolgen einen sehr schauspielerfreundlichen filmischen Ansatz und geben der jungen aber grandiosen Besetzung die Chance zu improvisieren und spontan und authentisch rüberzukommen. Dabei kann vor allem Paul Brannigan in seinem Debut überzeugen und würde dafür auch mit dem BAFTA Schottland Award ausgezeichnet. So verwundert es nicht, dass „The Angel’s Share“ sehr lebendig geworden ist und für anspruchsvolle dramatische und komische Unterhaltung sorgt.

Schottland-Liebhaber kommen an dieser herzerwärmenden und zugleich dramatischen Komödie nicht vorbei, die alles beinhaltet, was Schottland ausmacht. „The Angel’s Share – Ein Schluck für die Engel“ ist nicht Ken Loachs bester Film, aber ein sehr sehenswerter.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Angel’s Share – Ein Schluck für die Engel
OT: The Angel’s Share
Genre: Drama, Komödie,
Länge: 101 Minuten, UK, 2012
Regie: Ken Loach
Darsteller: Paul Brannigan, Roger Allam, Charles Maclean
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Prokino
Kinostart: 18.10.2012
DVD-& BD-VÖ: 28.03.2013