Aniara: Ein Planet trudelt

Das Raumschiff Aniara ist sich selbst Planet genug. Das riesige Raumschiff soll Erdbewohner zum Mars bringen, wo sie eine neue Heimat finden sollen. Das Sci-Fi-Drama „Aniara“ beruht auf dem gleichnamigen Versepos des schwedischen Nobelpreisträgers Harry Martinson, kann mit einer stimmigen Ausgestaltung des Raumschiff-Alltags punkten, verliert dabei etwas die Spannung der katastrophalen Dystopie und treibt unmanövrierbar im Raum wie das namensgebende Schiff.

Etliche Jahrhunderte in der Zukunft haben die Menschen den Planeten Erde heruntergewirtschaftet und mussen den kaum mehr bewohnbaren Planeten verlassen. Ihre neue Heimat finden die Menschen auf dem Mars. Das riesige Raumschiff Aniara, das 8000 Passagiere fasst, pendelt turnusmäßig zwischen Erde und rotem Planeten. Auf dieser Fahr allerdings beschädigt Weltraumschrott das Triebwerk und die Aniara ist nicht mehr manövrierbar.

Immerhin ist das Schiff beinahe selbst ein kleiner Planet, hat Kapazitäten der Nahrungsherstellung und künstliche Atmosphäre für ein ewiges Leben. Der Kapitän Chefone (Arvin Kananian) strahlt Zuversicht aus und beruhigt die Passagiere, man müsse bloß abwarten, bis man einen Himmelskörper passiere, dessen Gravitation stark genug sei, um das Schiff wieder auf kurs zur Erde zu bringen. Die ehemalige Astrophysikerin (Anneli Martini), mit der Mimaroben (Emelie Jonson) das Zimmer teilt, weiß es besser, auf dem Kurs der Aniara ist weit und breit kein Himmelskörper zu erwarten.

Doch zunächst lassen sich die Passagiere beruhigen. Ein wichtiger Bestandteil der Aniara ist die Mima, quasi ein „Holodeck“, welches von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert wird, die Zugriff auf die Erinnerungen der Menschen hat und diese visualisiert und so für mentale Entspannung sorgt. Mimaroben ist die Technikerin, die diesen Apparat betreut. Im Lauf der Zeit, geht es der Maschine immer schlechter und auch die Menschen haben mehr Mühe mit der scheinbar ausweglosen Situation im Weltall umzugehen. Sie flüchten sich in Ablenkung, Sex und Religion.

Harry Martinsons Versepos „Aniara“ entstand 1956, wurde einige Jahre später ins Deutsche übertragen und gilt gemeinhin als Klassiker der Science-Fiction Literatur. 1959 entstand eine Oper nach dem Verseepos von der es auch eine schwedische TV-Adaption gibt. Nun komme eine Filmadaption hinzu, die sich durchaus sehen lassen kann.

Zwar gibt es nur wenige spektakuläre Effekt-Aufnahmen des Weltalls und des riesigen Raumschiffes, aber die innere Ausgestaltung des Raumkreuzers, der immerhin etliche Jahre unterwegs sein wird, ist ebenso effektiv wie pragmatisch umgesetzt. Während Mimaroben in der Vorlage ein Mann ist, der auch als Erzähler fungiert, haben sich die Regisseure Pella Kågerman und Hugo Lilja entschieden, eine Frau in den Mittelpunkt ihres Films zu stellen. Mimaroben ist dabei keine Erzählerin, sondern wird zu klassischen Protagonisten, die entweder selbst Episoden erlebt, oder welche beobachtet.

Der Film muss eine Auswahl aus den 103 Gesängen treffen, die das Versepos beinhalten und wird die erste Stunde nach dem Unfall im Weltraum erzählt, anschließend schauen wir den Insassen der Raumschiffes nach drei Wochen wieder zu, als sich die Lage langsam verschlechtert. Die Beobachtungsabstände werden größer, aus Monaten werden Jahre. Die Menschen richten sich ein, pflanzen sich fort. Hoffnung taucht auf am Horziont.

Die grundsätzlichen großen Menschheitsthemen in „Aniara“ waren in den 1950er sicher visionär und klug und philosophisch umgesetzt, aber in Zeiten von Klimaerwärmung und globalen Migrationsbewegungen darf ein Sci-Fi-Drama schon gerne etwas dringlicher inszeniert sein und angesichts der enormen Konkurrenz bunter und virtueller Bildwelten darf ein Drama seine Zuschauer auch gerne emotional packen, statt in das Vakuum zu philosophieren.

Filmisch ist „Aniara“ in gewisser Weise ein Gegenentwurf zu Hollywoods Hochglanz-Dystopie „Passenger“ (2016), in der ein Weltraumunfall ebenfalls die Fahrt eines Weltraum-Passagiertransports unterbricht. Allerdings sind beide Filme in ihrem Thema nun nicht gerade so allein auf weiter Flur wie die jeweiligen Raumfrachter im All, sondern es gibt einen ganzen Haufen mitreißender – auch dystopischer – Science-Fiction-Visionen, die die Verlorenheit im Weltraum zum Thema haben. Insofern ist es zwar künstlerische durchaus konsequent, seine Literaturadaption so sperrig, düster und karg zu inszenieren, aber für Zuschauer nicht unbedingt spannend zu beobachten. Auch die etwas stereotyp angelegten Charaktere machen es einem nicht gerade leicht, sich auf sie einzulassen. Je länger der Film dauert, desto unausweichlicher scheint er auf sein fatalistisches Ende hinauszulaufen.

Das Schicksal der „Aniara“ scheint absehbar zu sein. Unerwartete Elemente und Wendungen hätten sicher geholfen eine wenig mehr Spannung in das ansonsten sehenswerte Science-Fiction Drama zu bringen. Die europäische Produktion kann mit den Bildwelten der Blockbuster zwar nicht mithalten, entwickelt aber eine eigene, stimmige und klug umgesetzte Formensprache. Für Genre-Fans sicher eine interessante Zukunftsvision.

Film-Wertung 5 out of 10 stars (5 / 10)

Aniara
OT: Aniara
Genre: Science-Fiction, Drama,
Länge: 106 Minuten, S, 2018
Regie: Pella Kågerman, Hugo Lilja
Literaturvorlage: Harry Martinson
Darsteller: Emelie Jonsson, Bianca Cruzeiro, Arvin Kananian
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Eurovideo
DVD- & BD-VÖ: 13.02.2020