Radiance: Die Erinnerung an die Dämmerung

Hierzulande ist die japanische Autorenfilmerin Naomi Kawase erst seit ein paar Jahren etwas bekannter geworden, da ihre Filme es kaum einmal außerhalb von Festivals in die Kinos schafften. Nun erscheint mit „Radiance“ ein ebenso poetischer wie betörender Film, der nicht nur von einer Liebe erzählt, sondern auch aus außergewöhnlicher Perspektive von der Faszination des Kinos. „Radiance“ lief wie so viele von Naomi Kawases Filmen auch beim Festival in Cannes und kommt am 14. September 2017 in die Kinos.

Misako Ozaki (Ayame Misaki) hat einen ungewöhnlichen Job: sie schriebt für Menschen mit Sehbehinderungen Hörfassungen von Kinofilmen. Dazu gehört auch, dass bei der Erstellung regelmäßig Feedbackrunden mit Blinden und Sehbehinderten abgehalten werden. Nach einer Vorführung gibt es von einem Neuling in der Runde ungewohnt Heftige Kritik an Misakos Beschreibungen.

Die junge Frau beginnt daraufhin grundsätzlicher über ihre Arbeit nachzudenken und erfährt auch mehr über den Mann, der in seiner Bewertung so unhöflich erschien. Masaya Nakamori (Masatoshi Nagase) ist nicht von Geburt an blind sondern war bis vor kurzem ein erfolgreicher Fotograf, nun schwindet krankheitsbedingt und unheilbar sein Augenlicht. Durch die Arbeit an der Filmbeschreibung kommen sich Miako und Masaya näher, doch eine Beziehung entwickelt sich nur sperrig.

Es fällt ein bisschen schwer Naomi Kawases jüngsten Film „Radiance“ als Romanze zu bezeichnen, denn die eigentliche Liebesgeschichte beginnt erst, als der Film endet. Ein Drama alleridings ist „Radiance“ eben auch nicht, da der Film so viele Aspekte des Lebens aufgreift und auch trotz der tragischen Erblindung eine positive Lebenseinstellung vermittelt, eine Lebendigkeit versprüht, die ausgesprochen einzigartig und wunderschön ist.

Mit schöner Regelmäßigkeit werden die Filme der japanische Autorenfilmerin Naomi Kawase zu den Filmfestspielen in Cannes eingeladen. Seit ihrem ersten langen Spielfilm von 1997 wurden dort alle ihre neun Filme gezeigt. Erstaunlicher Weise startet aber erst „Still the Water“ auch hierzulande regulär im Kino, scheinbar mit einigem Erfolg, auf jeden Fall aber mit viel Kritikerlob. Und so kam auch ihr anschließendes Drama „Kirschblüten und Rote Bohnen“ bei uns in Kino.

Auch in „Radiance“ gelingt es der Autorenfilmerin erneut, den Zuschauer auf subtile und ruhige Weise in das Leben der Protagonisten hineinzuziehen. Der Titel bezieht sich zwar – aus dem Englischen übersetzt – auch auf die Strahlung des Lichts, die für den erblindenen Fotografen stetig abnimmt, ist aber im Film auch der Name eine angesagten japanischen Fachzeitschrift für Fotografie.

Bereits der Beginn von „Radiance“ in dem eine Stimme aus dem Off das Geschehen auf der Leinwand kommentiert, hat dieses Momentum, das dazu angetan ist, dass der Zuschauer quasi automatisch sein Verhalten reflektiert. Da wird kommentiert, was zu sehen ist. Aber – und das macht im weiteren Filmverlauf den großen Charme von „Radiance“ aus – immer bewusster wird der Autorin der Hörfassungen (und damit dem Zuschauer), dass jede Beschreibung auch eine Interpretation ist. Ein Vermitteln der eigenen Weltsicht. Für Menschen, die darauf angewiesen sind, versucht Misako ihre eigene Sichtweise und Persönlichkeit nun soweit es geht aus der Filmbeschreibung herauszuhalten. Das geht sogar so weit, dass sie nicht mehr in der Lage ist, das Ende des Films zu beschreiben.

Aber auch diese Herangehensweise hat ihre Tücken und ihre Unzulänglichkeiten. Es gibt in „Radiance“ eine Szene, in der Misako den Regisseur des Films trifft und mit ihm die Interpretation ihrer Beschreibung des Filmendes erarbeitet. Dabei wird deutlich, dass Misako den Film völlig anders deutet als es der ältere Regisseur selbst tut, aber er ist in der Lage, ihre Interpretation nicht abzulehnen, sondern sie neben der seinen Stehen zu lassen. Für die Metaebene von „Radiance“ die sich mit dem Sehen, dem Erleben der Welt und des Kinos beschäftigt, ist das eine Schlüsselszene, die aber in gewisser Weise auch eine Wechselwirkung mit der Liebesbeziehung von Misako und Masaya hat.

Die Kamera verfolgt das Geschehen und das Tun der Protagonisten mit größer Zurückhaltung um Respekt vor den Figuren, verliert dabei aber nicht die Nähe und Intimität, die es braucht, damit man als Zuschauer Anteil nimmt. Darstellerisch ist „Radiance“ bis in die Nebenrollen hinein großartig anzuschauen, was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass Naomi Kawase auch diese Rollen so trefflich angelegt und geschrieben hat. Während die Schauspielerin Ayame Misaki hierzulande noch relativ unbekannt ist, ist Masatoshi Nagase ein für den westlichen Kinozuschauer bekanntes Gesicht. Der bekannte Darsteller war bereits in Jim Jarmuschs „Mystery Train“ und auch in „Paterson“ zu sehen, kommt demnächst in der Hauptrolle von SABUs „Happiness“ erneut in die Kinos und hat auch in Kawase letztem Film „Kirschblüten und rote Bohnen“ mitgespielt.

Es gibt in der aktuellen Filmlandschaft wenig Filmschaffende, die so sensibel mit Themen und Figuren umgehen wie Naomi Kawase. Immer wieder gelingt es ihr aus kleinen, realistischen Geschichten mit ungewöhnlichen Ansatzpunkten und originellen Perspektiven ganz großes Kino zu zaubern. Darin macht auch der betörend lichtdurchflutete Film „Radiance“ keine Ausnahme. Ein Film, der ein breites Publikum verdient hätte.

Film-Wertung:8 out of 10 stars (8 / 10)

Radiance
OT: Hikari
Genre: Drama, Romanze
Länge: 101 Minuten, J/F, 2017
Regie: Naomi Kawase
Darsteller: Ayame Misaki, Masatoshi Nagase, Tatsuya Fuji, Kazuko Shirakawa
FSK: ohne Altersbeschränkung
Verleih: Concorde Filmverleih GmbH
Kinostart: 14.09.2017