Diego Maradona: Superstar bei den Underdogs

Vollkommen gleichgültig, ob die argentinische Fußball-Legende der beste Spieler aller Zeiten ist oder nicht, die erstaunliche Karriere und auch die schillernde Persönlichkeit taugen allemal für ein spannendes Portrait. Der Oscar-gekrönte Dokumentarfilmer Asif Kapadia hat mit „Diego Maradona“ einen großartigen Dokumentarfilm geschaffen. Im Kino war die Doku hierzulande leider nur extrem kurz zu sehen, dabei hat „Diego Maradona“ die große Leinwand mehr als verdient. Nun hat DCM das Filmportrait, das nicht nur für Fußballfans interessant ist, auf DVD und Blu-ray für das Home-Entertainment veröffentlicht.

Wer im Viertelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft den Ball mit der Hand ins Tor befördert und so den Sieg erzielt, muss sich nicht wundern, dass ihm auch Verachtung und Hass entgegenschlagen. Wer im Halbfinale gegen das Gastgeberland ausgerechnet im Stadion seines Heimatvereins antreten muss, darf sich schon wundern, was die Verantwortlichen da geritten hat. Beide Ereignisse haben die Karriere eines der technisch filigransten und größten Fußball-Künstler bestimmt, den die Welt bis dato gesehen hat.

(Photo by Bob Thomas/Getty Images)

Diego Maradona, der nach eigener Aussage um die Weltmeisterschaft 1978 in seinem Heimatland gebracht wurde (obwohl es ’78 durchaus nachvollziehbar war, ein 18-jähriges „Wunderkind“ nicht zu nominieren), schaffte es 1986 in Mexiko, die argentinische Nationalmannschaft als Kapitän zur Weltmeisterschaft zu führen. Seinerzeit war Maradona auf der Höhe seines Könnens und viele haben ihm das Handtor gegen England lange nachgetragen, gerade weil der Maradona ein so großartiger Spieler war. Vier Jahre später läutete das in Neapel ausgetragene Halbfinale Argentinien gegen Gastgeber Italien Maradonas Niedergang und Karriereende ein. Zuvor wurde der bis dato teuerste Transfer der Fußball-Geschichte in Neapel gefeiert wie ein Gott. Doch viele der neapolitanischen Zuschauer bei der Weltmeisterschaft nahmen Maradona übel, dass Italien gegen Argentinien ausgeschieden ist und Maradona zuvor die Publikumsunterstützung für seine Argentinier eingefordert hatte.

Das Filmportrait „Diego Maradona“ macht diesen Moment als Auslöser für Maradonas Abstieg aus. Der Abstieg war weniger ein rein sportlicher, sondern einer von entzogenener Zuneigung, ein Gang in die Niederungen der Skandale und Drogen. Filmmacher Asif Kapadia bekommt Maradona zwar nicht direkt vor die Kamera, aber er bekommt Interviews und Kommentare, die als Voice Over eingespielt werden. Die Doku macht aus der Not eine Tugend und bringt alle Originalstimmen aus dem Off, so dass der Zuschauer nicht mit dem herkömmlichen redenden Köpfen konfrontiert wird und ein größerer Teil des 500 Stunden umfassenden Archivmaterials eingespielt werden kann.

Das hat filmisch Vor- und Nachteile. Sicher ist diese Herangehensweise kurzweiliger, unterhaltsamer und für ein großen Publikum geeigneter, weil es vermeintliche Längen während der Gesprächssequenzen überspielt, andererseits, weiß der Zuschauer zwar, wer spricht, wenn es eingeblendet wird, aber sowohl der Zusammenhang als auch das Alter des O-Tons bleiben unbekannt, solange dies nicht in der Doku kenntlich gemacht wird.

Diesen Einwand könnte man für Haarspalterei halten, aber in Zeiten, in es technisch derart einfach ist, Bild- und Tonmaterial zu manipulieren, kann man schon darauf hinweisen, dass nicht alles stimmen muss, was ein Dokumentarfilm behauptet, gerade weil auch die Doku dramaturgisch aufbereitet ist. Im Laufe eines Lebens können sich Ansichten und Bewertungen auch verändern. Im Fall von „Diego Maradona“ beginnt der Film an einem Tiefpunkt der sportlichen Karriere, beschränkt sich „nur“ auf einen – zugegeben den wichtigsten – Karriereabschnitt und den Rest von Maradonas Leben wird mehr oder minder im Vorbeischauen abhandelt.

Erfolg zieht die Menschen an und so hat Maradona in der süditalienischen Stadt Neapel schnell Zugang zur High Society und beinahe notwendigerweise auch Kontakt zur Mafia. Da der Fußballstar bereits in seiner Zeit in Barcelona begonnen hat, seine Schmerzen auch mit Kokain zu betäuben, ist der Kontakt zur Unterwelt ein Garant für einen stetigen Zugang zu Drogen. Im Nachhinein scheint es geradezu unglaublich, dass Diego Maradona über Jahre gelungen ist, diese herausragenden sportlichen Leistungen zu erbringen und nach ausgiebigem Feiern immer wieder zu dem Punktspielen fit zu sein.

Mandatory Credit: Photo by Meazza Sambucetti/AP/Shutterstock (7332841a)

Bisweilen zeigt Regisseur Asif Kapadia hier erneut einen Hang zum Skandalfilmchen, wie das auch im „Amy“ häufiger durchgekommen ist. Regisseur und Produzent sehen Diego Maradona“ neben „Senna“ und „Amy“ übrigens als dritten Beitrag zu ihrer Trilogie außergewöhnlicher Biografien. Diesen Zusammenhang muss man nicht nachvollziehen. Die Filme sind eigenständig und stehen für sich selbst.

„Diego Maradona“ ist eine großartiges und sehenswertes Filmportrait geworden, gerade weil die sportliche Erfolgsgeschichte immer wieder mit menschlicher Tragik angereichert wird. Aus dem schüchternen Jungen aus ärmlichen Verhältnissen wird ein Ausnahmeathlet, der sich eine professionelle Sportpersönlichkeit zulegen muss, um dem Druck stand zu halten. „Privat bin ich Diego, auf dem Platz Maradona“.

Film-Wertung 8 out of 10 stars (8 / 10)

Diego Maradona – Rebell. Held. Gott.
OT: Diego Maradona
Länge: 130 Minuten, UK, 2019
Genre: Doku, Biographie, Sport
Regie: Asif Kapadia
Mitwirkende: Diego Maradona
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: DCM Film Distribution
Kinostart: 05.09.2019
DVD- & BD-VÖ: 15.11.2019

Copyright der Photos beim Filmverleih oder wie angegeben