Die englische Musikerin und Künstlerin Polly Jean Harvey zählt seit Jahrzehnten zu den einflussreichsten Gestalten der globalen Musikszene. Ihre letzten Alben „Let England Shake“ und „The Hope Six Demolition Project“ wurden nicht nur von der Kritik hochgelobt, sondern fanden auch breite Resonanz. Nun kommt mit „A Dog Called Money“ ein sehenswerter Dokumentarfilm in die Kinos, der die Zusammenarbeit von PJ Harvey und dem Fotografen und Filmmacher Seamus Murphy zum letzten Album dokumentiert. Dabei zeigt sich, dass „Hope Six“ nicht nur ein Pop-Album ist, sondern Teil eines größeren Projektes, das auch die globale Armut und Kriegsfolgen thematisiert und eine politische Dimension hat. „A Dog Called Money“ führt die multidimensionale Verknüpfung des Projekts zusammenführt.
PJ Harvey arbeitete bereits bei diversen Musikvideos zum Album „Let England Shake“ (2011) mit dem renommierten Fotokünstler Seamus Murphy zusammen. Aus der Kollaboration ergab sich dann das nächste Projekt der beiden Künstler. Für Fotoreisen war Murphy in Afghanistan, im Kosovo und in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington unterwegs. Die Musikerin begleitete ihn dabei und schrieb Tagebuch. Aus diesen Eindrücken erschuf PJ Harvey nicht nur einen Gedichtband, auch die Songideen zu dem 2016 erschienenen Album „The Hope Six Demolition Project“ stammten von diesen Reisen.
Zuschauen bei Aufnahme-Sessions
Um den multimedialen Ansatz Harveys perfekt zu machen, entschied sich die Musikerin in ihrem Haus in Dorset eigens ein Studio einzurichten, das zugleich als situative Kunstinstallation funktionierte. In dem schalldichten Studioraum arbeiteten die Musiker, während Zuschauer die Aufnahmesessions von außen beobachten konnten. Seamus Murphy und sein Kamerateam filmten also nicht nur die Aufnahmen der Reise sondern auch die Aufnahmesessions und die Zuschauerreaktionen. Daraus ist nun dieser Film entstanden, der ziemlich einmalig die Entstehung von Musik – und damit Kunst – nachvollziehbar macht.
Bei den Sessions sind insgesamt 16 Songs entstanden, von denen zwölf auf dem Album landeten. In der Doku „A Dog Called Money“ werden im Abspann 18 Songs aufgeführt. Davon ist einer, „That’s What They Want“, eine ausgedehnte Version jenes Samples, das in „The Ministry of Social Affairs“ verwendet wird. Ein weiterer zusätzlicher Song, „The Age Of The Dollar“, bildet quasi das Outtro des Films und die Abspannmusik.
Wichtig bei musikalischen Dokumentarfilmen ist es immer, wie mit der Musik selbst umgegangen wird. In „A Dog Called Money“ werden die Songs, Takes und Soundchecks weitgehend ausgespielt. Manchmal untermalt von Aufnahmen der Musikern selbst, gelegentlich von den montierten Reiseaufnahmen. Bisweilen sogar ähnlich, wenn nicht gar gleich, wie in den zugehörigen Musikvideos, die Seamus Murphy ebenfalls gedreht hat. Dabei haben Murphys Dokumentaraufnahmen ihre ganz eigene Qualität. Großteils gelingt es Seamus Murphy beziehungsweise dem Editor Sebastian Gollek die Bilder gleichwertig zur Musik zu montieren, ohne dass dabei ein Aspekt der experimentellen Doku Übergewicht bekäme.
Musik und Film gleichwertig nebeneinander
Anfangs wirkt es ein wenig zu kunstvoll und überinszeniert, wenn im Bild PJ Harvey von der Handkamera durch Straßenzüge und Landschaften begleitet wird und dazu in der Tonspur ihre Tagebuch-Gedanken oder Gedichtfragmente vorträgt. Dann verlagert sich die Szenerie ins Studio, wo die Musiker an stimmigen Arrangements zu den Worten und Eindrücken arbeiten. Aber gerade durch diese Art der Verschränkung entsteht das, was den Zuschauer teilhaben lässt am kreativen Prozess.
Sicherlich mag in dieser recht zielstrebig dargebotenen kausalen Verknüpfung nicht der ganze Schaffensprozess funktionieren, aber es gibt einen Eindruck, den man in dieser Klarheit selten sieht. Bei allem Miterleben bleibt jedoch ein künstlerisches Mysterium um die Musik PJ Harveys. Letztlich bildet der Film in seiner Kontinuität durch die Aufnahmesessions einen Tunnel, einen Bewusstseinsstrom, eine Welle, die bis zum Ende trägt, falls der Zuschauer es denn geschafft hat aufzuspringen.
Nicht nur für PJ Harvey Fans ist der vielschichtige Film „A Dog Called Money“ empfehlenswert, wobei es durchaus hilft, bereits Zugang zu der oftmals eigenwilligen Musik zu haben. Selten hat ein Film derart offen Einblicke in den musikalischen Schaffensprozess ermöglicht. Zugleich zeugen die Reiseimpressionen aber auch von globalen Problemen und die Qualität dieser Bildwelten ist ein Kunstwerk für sich. Mit der eigenwilligen und starken Musik ergibt sich auch daraus eine weitere reichhaltige Dimension der künstlerischen Betrachtung.
Film-Wertung: (9 / 10)
P J Harvey – A Dog Called Money
OT: A Dog Called Money
Genre: Doku, Musikfilm,
Länge: 93 Minuten, UK, 2019
Regie: Seamus Murphy
Mitwirkende: Polly Jean Harvey, Mick Harvey, John Parrish, Flood,
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 14.11.2019
PS: „A Dog Called Money“ ist aktuell vor dem offiziellen Kinostart am 5.11. im Rahmen des Unerhört Musikfilmfestivals in Hamburg zu sehen.
P J Harvey in der englischen Wikipedia