It Must Schwing – The Blue Note Story

Man lasse sich nicht täuschen, nur weil die groovy Sounds heute so gefällig klingen: Jazz war einmal rebellische, revolutionäre und gefährliche Musik. Die alten Herren in „It Must Schwing – The Blue Note Story“ haben Musikgeschichte geschrieben. An dem was heute zum großen Teil als amerikanisches Kulturerbe gilt, haben ausgerechnet zwei deutsche Immigranten erheblichen Anteil. Alfred Lion und Francis Wolff waren schon als Teenager in Deutschland Fans des amerikanischen Jazz. Unbeirrbarer Weise gründeten sie später in den USA eines der einflussreichsten Jazz Label aller Zeiten: Blue Note Records. Genau davon erzählt Eric Friedlers herausragende Musikdoku.

Nicht nur bei Jazz-Afficinados und Musikliebhabern ist Blue Note Records ein Begriff; kaum jemand, der nicht schon einmal über eines dieser legendären Plattencover gestolpert ist und spätestens als der Hamburger Mojo-Club in den 1990ern seine Sampler-Reihe mit „Dancefloor Jazz“ veröffentlichte, war tanzbarer, schwingender Jazz zumindest in Deutschland wieder in Mode gekommen – und damit auch Blue Note Records.

Nicht umsonst bezieht die Doku, die von Wim Wenders („Buena Vista Social Club“) und dem NDR produziert wurde, ihren Titel aus dem Motto der beiden Label-Gründer Lion und Wolff, die auch nach Jahrzenten in den USA ihren schweren deutschen Akzent nicht ablegen konnten (oder wollten). Die originalen Audioaufnahmen einiger Interviews zeugen davon. Allerdings gibt es kaum bewegtes Bildmaterial der beiden Blue Note Köpfe. Der obsessive Fotograf Wolff hätte heute wohl zur Digitalkamera gegriffen, in seiner Zeit von den ausgehenden 1930ern bis zu seinem überraschenden Tod 1971 stand diese Technik noch nicht zur Verfügung.

Aus künstlerischer Sicht sollte man das begrüßen, denn durch Wolffs ständiges Fotografieren der Musiker, die für und mit Blue Note gearbeitet haben, sind großartige, stilbildende Porträtfotos entstanden, die konsequent auch als Cover-Motive benutzt wurden. Zusammen mit dem asymetrischen Grafikdesign vom Reid Miles (ab 1956) sorgten die Fotos für einen ganz eigenen Look, der vom Publikum schnell wieder zu erkennen war.

Doch Eric Frieders Doku erzählt auch die Geschichte einer Freundschaft, die sich über die gemeinsame Liebe zur Musik entwickelte und auch durch gemeinsame Lebenserfahrung – als Juden im dritten Reich und später als skeptisch beäugte Immigranten. Als Deutsche ohnehin unter andauerndem Misstrauen, interessierten sich die beiden Krauts auch noch für die Musik der unterprivilegierten Farbigen. Als „Colored Musik“ wurde die Musik der Afroamerikaner vom weißen Mainstream kaum wahrgenommen und die Arbeitsbedingungen der Musiker waren abstrus. Nicht selten wurde die Musik zusätzlich einem harten und aufreibenden Broterwerb betrieben.

„Blue Note war die erste Plattenfirma, bei der ich für Proben bezahlt wurde.“ (Benny Golson)

Nach den einhelligen Aussagen der Musiker, die seinerzeit für Blue Note aufnahmen und die in der Doku zu Wort kommen, waren Lion und Wolff so ziemlich die einzigen im Musikbusiness, die fair zu ihren afroamerikanischen Musikern waren und ihnen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Labels ein Einkommen aus der Musik ermöglichten. Gerade darum war Blue Note zu seinen Hochzeiten das Label, bei dem man veröffentlichen musste. So ziemlich jede afroamerikanische Jazz-Größe hat bei Blue Note eine Platte gemacht und keineswegs alles war nur höflich und gutgelaunt am „schwingen“. Immerhin war beispielsweise auch Ornette Coleman, einer der Mitbegründer des Free Jazz, bei Blue Note. Aber Namedropping würde an dieser Stelle zu weit führen, wer sich detailliert in das Blue Note Oevre vertiefen möchte findet in der englischen Wikipedia eine solide recherchiere Diskografie.

„Es gibt keine Revolution ohne Musik“ (Bennie Maupin)

Letztlich verwundert es also nicht, dass viele der farbigen Musiker den beiden deutschen Musikproduzenten eine Vorreiterrolle bei der Bürgerrechtsbewegung zuschreiben. Vielleicht ist dies ein lebendiges Beispiel für den Spruch, dass Musik eine höhere Form der Kommunikation sei.

Die Doku „It Must Schwing“ bemüht sich ein umfassendes Bild des Labels und der Gründer zu zeichnen, daher kommt auch der legendäre Musikproduzent Rudy van Gelder in einem seiner letzten Interviews zu Wort. Van Gelder hatte fast alle Blue Note Alben der Lion und Wolff Periode aufgenommen. Außerdem nähert sich die Doku der Biografie der Labelgründer in Form von Animationssequenzen, die aufwendig produziert sind und den Film mit einer naiven Lebendigkeit versehen. Animationssequenzen als Ersatz für mangelndes Bildmaterial hatte die großartige, oscar-prämierte Musikdoku „Searching Für Sugarman“ 2012 populär gemacht, um einem vergessenen Songwriter nachzuspüren. Eric Fiedler bedient sich dieser Technik ausgiebig, auch weil er damit mehr Musik in dem Film unterbringen kann.

„It must Schwing“ ist nicht die einzige Doku über das Blue Note Label. Bereits 1997 entstand die TV-Doku „“Blue Note – The Story of Modern Jazz von Julian Benedict und Andreas Morell. Quasi zeitgleich mit Friedlers Doku erschien auch „Blue Note Records: Beyond the Notes“ der Schweizerin Sophie Huber. Die bewegte Label Historie sollte allerdings genügend Raum für mehrere dokumentarische Ansätze und Schwerpunkte bieten. Alles, was zur musikalischen Aufklärung beiträgt und in leidenschaftlicher Weise einer Zuschauerschaft großartige Musik vorstellt, sollte nicht als Konkurrenz verstanden werden, sondern als Ergänzung.

„Bild: NDR/Pressebild.de/Bertold Fabric“ (S1), NDR

Eric Friedler („Nichts Als die Wahrheit – 30 Jahre die toten Hosen“, Produzent „The Cleaners“ (2018)) zählt zu den renommiertesten und besten Dokumentaristen Deutschlands. Die Doku „Der Clown“ über Jerry Lewis‘ ebenso ambitioniertes wie gescheitertes Filmprojekt über einen jüdischen Clown im KZ ist absolut empfehlenswert, die Musik-Doku „Voice Of Peace“ über einen israelischen Piratensender wurde auf diesen Seiten bereits vorgestellt. Im direkten Vergleich der beiden Versionen von „It Must Schwing“ sind die Unterschiede minimal.

Die Musikdoku „It Must Schwing“ wurde zwar für den NDR produziert, kam aber vor der Fernsehausstrahlung auch auf die große Kinoleinwand. Man kann den Kinosaal ja nicht nur nutzen, um die Bilder zu genießen, auch der Sound ist dort meist besser als auf der heimischen Anlage. Nun ist die Doku Anfang August 2019 in aufwendiger Edition fürs Home-Entertainment erschienen. Sowohl DVD als auch Blu-ray enthalten jeweils auch einen Directors Cut und ein aufwendiges Booklet mit Infos zu Label und Biografien und ein Interview mit dem Filmemacher Eric Friedler. Der Directors Cut wählt einen anderen, weniger griffigen Einstieg und ist in der Aufzählung der Plattencover etwas ausführlicher, was die unwesentlich längere Laufzeit ausmacht. Letztlich sorgt der knackige Einstieg der Kino-Version aber dafür, dass sich die Zuschauer schneller eingrooven – und schließlich soll es ja schwingen.

Die absolut sehenswerte Musikdoku „It Must Schwing – Die Blue Note Story“ zeigt nicht nur mitreißende, bahnbrechende Musik, sondern lotet auch stil- und zielsicher diverse filmische Mittel aus, um den Zuschauer ebenso kurzweilig wie wissenswert zu unterhalten. Wenn ein Film schwingt, dann dieser hier.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

It Must Schwing – The Blue Note Story
OT: It Must Schwing – The Blue Note Story
Genre: Musik, Zeitgeschichte, Doku,
Länge: 108 Minuten, D, 2018
Regie: Eric Friedler
Mitwirkende: Alfred Lion & Francis Wolff (Archiv), Herbie Hancock, Quincy Jones,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Studio Hamburg Enterprises
Kinostart: 06.09.2018
DVD- & BD-VÖ: 09.08.2019

Blue Note Records
Blue Note bei Wikipedia
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