Die sattsam bekannte Story vom Aschenputtel kommt in den hochgelobten italienischen Animationsfilm “Cinderella The Cat” ganz anders daher, als man das erwarten würde. Vor allem ist der Zeichentrickfilm aber ein visueller Hochgenuss, auch und gerade weil der Film mit Elementen des Steampunk spielt.
Auf den ersten Blick hat „Cinderella The Cat“ oder „Gatta Cenerentola“ wenig mit der bekannten „Cinderella“ oder „Aschenputtel“-Geschichte gemeinsam. Das mag daran liegen, dass hierzulande und als Grundlage des Disney-Klassikers die Grimm’sche Version des Volksmärchens zum Tragen kam. Die futuristisch angelegte Geschichte des Films orientiert sich aber an einer anderen Version: An der ersten nachweislich gedruckten Aschenputtel-Story. Die stammt von dem Neapolitaner Gianbattista Basile und soll deutlich derber und brutaler sein, als die spätere Version der Gebrüder Grimm.
Beides, Neapel und der Name des großen Autoren spiegeln sich in dem Film wieder, den die vier italienischen Animationskünstler Alessandro Rak, Ivan Cappiello, Marino Guarnieri und Dario Sansone auf kongeniale Weise kreiert haben. Das Quartett hat die Story ersonnen, den Look festgelegt und führt auch gemeinsam Regie. So erweckt „Cinderella The Cat“ Aschenputtels Geschichte als nebulöse, futuristische „Steampunk“-Variation.
Wer mit dem Begriff „Steampunk“ nichts anfangen kann, mag das bei Wikipedia nachschlagen. Als (literarische) Spielart der Science-Fiction sind „Steampunk“ Geschichte meist um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert oder im ausgehenden viktorianischen Zeitalter angelegt (Daher die Verbindung mit dem Zeitalter der Dampfkraft) und spielen mit alternativen Welten. Im Filmschaffen bleibt Steampunk eine Ausnahmeerscheinung (wie etwa bei Martin Scorseses „Hugo Cabret“, der Verfilmung von Alan Moores Comic „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ oder aber in dem hinreißenden französischen Zeichentrickfilm „April und die außergewöhnliche Welt“ nach einer Vorlage von Comic-Künstler Jaques Tardi.
Jetzt aber endlich zu „Cinderella the Cat“: In einer nahen Zukunft, die ganz nach einem alternativen Neapel der 1920er Jahre aussieht, lebt das Mädchen Mia, von allen nur die Katze oder Cinderella genannt, mit ihrer Stiefmutter und deren sechs leiblichen Kindern auf einem riesigen Schiff im Hafen von Neapel. Mias Vater Vittorio Basile war ein Erfinder und Visionär, der sich für seine Heimatstadt einen wirtschaftlichen und kreativen Impuls gewünscht hat. Dazu hat er, als Mia noch ein kleines Kind war, das Schiff „Megaride“ als Stätte der Wissenschaft und Erinnerung konzipiert.
Doch am Tag der Inbetriebnahme der „Megaride“, an dem Vittorio zudem erneut heiratet, wurde der Erfinder ermordet. Drahtzieher der Ermordung ist der Schuhfabrikant Primo Gemito, genannt der „King“, in den Mias Stiefmutter verliebt war und die sich zu einem Komplott überreden ließ. Seither verkommt der Hafen zu einer billigen Vergnügungsmeile, Kriminalität und Drogen regieren die heruntergekommene Stadt, die sich in der Asche des Vesuv wie eine Ruine an die Küste schmiegt.
Das Schiff verfällt und Hologramme und verwilderte Katzen geistern über die Decks, die einst so glanzvoll waren. Während Mias Stiefmutter darauf wartet, dass der Schuhfabrikant Primo Gemito sie endlich heiratet, hat dieser ein weltweites Drogenimperium aufgebaut, das die Infrastruktur seiner Schuhproduktion nutzt. Die Rückkehr des Kings nach Neapel fällt nicht zufällig mit Mias 18. Geburtstag zusammen. Außerdem will der King Neapel zu einer weltweiten Hauptstadt der Geldwäsche machen.
Die stumme Mia hat sich an ihr Nischendasein gewöhnt, doch mit der Rückkehr des King tauchen auch Erinnerungen auf und ein alter Bekannter: ihr alter „Bodyguard“, der seither bei der Polizei arbeitet und nichts von Mias Schicksal wusste. Undercover hat sich der Polizist in die Organisation des King eingeschlichen.
Vieles in dieser vom „Steampunk“ beeinflussten Märchenvariation bleibt faszinierend mysteriös. Das ist auch gut so und vor allem die durch die Gegend geisternden Hologramme sorgen für eine gruselige Atmosphäre, die ein wenig an Stanley Kubriks „The Shining“ erinnert, aber auch „Blade Runner“ evoziert. Doch „Cinderella the Cat“ braucht sich eigentlich nicht an Inspirationen und Vorbilder zu halten. Der beinahe impressionistische, leicht diffuse Animationsstil sticht heraus aus dem, was man im gängigen Zeichentrickfilm zu sehen bekommt.
Mit herkömmlicher Disney-Kost hat das wenig zu tun und auch die Story ist eher für ein älteres Publikum gedacht. Dabei gelingt es dem Regie-Quartett eine ebenso ungewöhnliche wie stimmige „retro-futuristische“ Atmosphäre zu kreieren. Die düster-melancholische Stimmung wird aber immer wieder auch von musical-artigen Einlagen unterbrochen. Das dient ein bisschen zur Aufklockerung, aber auch dazu, das Setting besser zu beleuchten. Musikalisch wird crooner-artiger Jazz angeboten, der wunderbar auf ein Kreuuzfahrtschiff passt, selbst wenn dieses längst auf Grund gelaufen ist. Das hat dann beinahe wieder Titanic-artige implikationen:“ …und die Kapelle spielt immer weiter“.
Der mehrfach ausgezeichnete Animationsfilm „Cinderella the Cat“ ist nicht nur formal herausragend, sondern hat auch eine große Leinwand verdient. Wenn sich die Gelegenheit bietet, sollte man „Gatta Centerola“ im Kino genießen, wo sich der optischen Reiz in voller Pracht entfaltet.
Film-wertung: (8 / 10)
Cinderella the Cat
OT: Gatta Cenerentola
Länge: 86 Minuten, I, 2017
Regie & Drehbuch: Ivan Cappiello, Marino Guarnieri, Alessandro Rak, Dario Sansone
FSK; ab 12 Jahren
Vertrieb: Missing Film
Kinostart: 27.09.2018