Wer sich mit der Geschichte des Animationsfilms beschäftigt, stößt zu irgendeinem Zeitpunkt auf den Namen Lotte Reiniger. Nicht nur deshalb, weil ihr Film „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ als erster abendfüllender Animationsfilm der Geschichte gilt, sondern auch weil Reinigers Art und Weise Bilder hervorzubringen so einzigartig wie aufwendig ist. Nun ist „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ in restaurierter Form und auf Blu-ray in der „Arte“-Edition bei Absolut Medien erschienen. Das 90 Jahre alte filmische Meisterwerk erstrahlt dabei in faszinierender Frische.
Das Schöne daran, sich mit Filmen vergangener Epochen zu beschäftigen, ist, dass sie einen aus der Eintönigkeit und Gleichförmigkeit aktuellen Filmschaffens herauskatapultieren und einem wieder zeigen, was das Medium alles vermag. Gerade im Bereich des Animationsfilms haben einerseits der amerikanische Disney Konzern und andererseits die Möglichkeiten der computergenerierten Bilder (CGI) die Sehgewohnheiten derart geprägt, dass in den Kinos eigentlich nur eine immergleiche Zeichentrickoptik vorherrscht. Außergewöhnliches oder Herausragendes bekommt man meist nur auf Festivals zu sehen. Aber den kunstvollen Zeichentrick-Filmen fehlt die kommerziell erfolgreiche Komponente.
Die deutsche Filmmacherin und Produzentin Lotte Reiniger (1899 – 1981) war früh vom Medium Film angetan und spezialisierte sich direkt auf eine eigene Art der Animation, den Scherenschnitt. Die Technik, bewegliche Silhouetten herzustellen, ist an sich schon sehr aufwändig, daraus in abgefilmten Einzelbildern einen zusammenhängenden Bewegungsablauf beziehungsweise einen Film zu machen, gleicht einer Sisyphosarbeit. Es braucht 24 Bildern pro Minute, um die Illusion flüssiger Bewegung herzustellen. Umso erstaunlicher, mit welcher Akribie Reiniger und ihr Ehemann Carl Hoch so zahlreiche Kurzfilme zum Leben erweckt haben.
„Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ nimmt als 69-minütiger Langfilm in diesem Oevre noch eine Sonderstellung ein; nicht nur wegen der dreijährigen Produktionszeit, sondern auch wegen seiner zeitlosen Schönheit, die auch heute noch inspirierend ist. Die Geschichte fußt auf zwei unterschiedlichen Märchen aus „1001 Nacht“, die von Lotte Reiniger zu einem Abenteuer zusammengefügt werden, das ebenso exotisch wie fantastisch ist. Einem Zauberer wird die Hochzeit mit einer Prinzessin verwehrt. Ihr Bruder, Prinz Achmed, steigt dem Zauberer mit einen fliegenden Pferd nach und landet auf Zauberinseln, wo er sich in die Herrin des Dämonenreiches verliebt. Doch wieder funkt der Zauberer dazwischen und verkauft die Dämonenherrin als Sklavin nach China. Achmed bekommt Hilfe von einer Hexe und von Aladins Zauberlampe und will die Herrin der Dämonen befreien und den bösen Zauberer vernichten.
In fünf Akten erzählt der Film diese zauberhafte und poetische Geschichte. Die Hintergründe der Scherenschnitte sind dabei noch monochrom eingefärbt und geben dem subtilen Silhouettenspiel eine weitere überraschende optische Ebene, die man in dieser frühen Phase des Filmschaffens kaum vermuten würde.
Das Booklet der Blu-ray, die die restaurierte und digitalisierte Filmfassung enthält, ist ebenso umfangreich wie lesenswert. Größere Geister als der Rezensent haben sich mit Lotte Reinigers Filmschaffen und der filmhistorischen Bedeutung der „Abenteuer des Prinzen Achmed“, sowie mit der Restaurationsgeschichte beschäftigt. Darüber enthält die Blu-ray umfangreiches Bonusmaterial. Das 20-minütige Interview mit der 1981 verstorbenen Lotte Reiniger stammt aus einem längeren Dokumentarfilm. Spannend sind auch die vier kurzen Extra-Filme. „Das Geheimnis der Marquise“ (1921) ist ein kurzer und charmanter Werbefilm für Nivea, welcher seinen nostalgischen Reiz hat. Die drei längeren Filme „Harlekin“ (1931), Carmen (1933) und „Papageno“ (1935) sind nach „Achmed“ entstanden und in ihrer Interpretation von Opern-Motiven sehr gelungene, fast lyrische Umsetzungen musikalischer Themen.
Bei Absolut Medien ist auch die Gesamtausgabe (8 DVDs) von Lotte Reinigers Filmen erschienen und eine weitere Besonderheit der Blu-ray von „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ ist die alternative musikalische Untermalung des Films, die das Speichermedium erlaubt. Neben der Originalmusik von Wolfgang Zellner in einer Einspielung von 2008 sind auch modernere Musiker enthalten. Einmal eine jazzige Live-Einspielung und weiter eine kammermusikalische Umsetzung. Auch zu den Musiken, die dem Film jeweils auch eine variierende Stimmung verleihen und das Filmerlebnis damit frisch halten, sind Texte in dem Booklet enthalten.
„Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ zählt nicht nur aus filmhistorischen Gründen zu den herausragenden Beiträgen des Animationsfilms. So anmutig wie unter Lotte Reinigers Choreographie haben sich Schatten selten bewegt. Die Meisterin des Scherenschnittes hat mit diesem abendfüllenden Stummfilm ein zeitloses Meisterwerk geschaffen, das nun in einer herausragenden Edition vorliegt.
Film-Wertung: (9 / 10)
Die Abentuer des Prinzen Achmed
Genre: Animation, Märchen,
Länge: 69 Minuten, D, 1926
Regie & Drehbuch: Lotte Reiniger
Extras: Interview mit Lotte Reiniger, Bonusfilme (in HD): Das Geheimnis der Marquise, Harlekin, Carmen, Papageno, 24-seitiges Booklet
FSK: ab 0 Jahre
Kinostart: 03.09.1926
BD-VÖ: 16.03.2018 (restaurierte Fassung)