Balconettes: Wellen von Hitze und Gewalt

In dem französischen Film „Balconettes“ leidet eine Frauen-WG nicht nur unter der sommerlichen Hitzewelle, sondern auch unter dem anderen Geschlecht. Das hat rabiate und bizarre Folgen für die selbsternannten „Krone der Schöpfung“. Ich tue mich ein wenig schwer mit der Genreeinteilung von „Balconetttes“, sicherlich geht splatterig zur Sache, und auch klamaukig, aber eigentlich sind die Probleme der Frauen eine ernstgemeinte Angelegenheit. Vielleicht trifft es „Beziehungshorror-Komödie“ halbwegs. Auf jeden Fall zu sehen im Verleih von Progress Film ab dem 8. Mai 20258 im Kino.

Denise (Nadège Beausson-Diagne) liegt übel zugerichtet auf dem Balkon, während im Radio über die anhaltenden Hitzewelle in Frankreich gelabert wird. Auch in Marseille ist es unerträglich heiß. Dann tritt der Gatte von Denise auf den Balkon, stupst sie an, meint sie solle sich nicht so anstellen und aufstehen, er habe Hunger. Die Ansprache wirkt nicht und der Kerl schüttet ihr achtlos kaltes Wasser ins Gesicht.

Daraufhin hat Denise die Faxen dicke und zieht dem Gatten mit dem Kehrblech eins über die Glatze, dass es spritzt, und setzt sich anschließend auf sein Gesicht, bis er sein Leben aushaucht. Bei Nachbarin Nicole (Sandra Codreanu) sagt Denise dann Bescheid, sie möge einen Rettungswagen rufen. Später dann klingelt jener Gatte noch mal bei der WG.

„In dieser Nacht lag etwas Seltsames in der Luft.“

Derweil ist Nicoles Mitbewohnerin, das Cam-Girl Ruby (Souheila Yacoub) gerade mit ihrer Arbeit fertig und hängt leicht bekleidet auf dem Balkon Wäsche auf. Die Nachbarn können das Gaffen nicht lassen. Schriftstellerin Nicole hat schon länger ein Auge auf den mysteriösen Nachbarn gegenüber geworfen.

Mit dem kommen die Frauen in Kontakt, als Elise (Noémie Merlant), die dritte Mitbewohnerin, aufgelöst zu hektisch einparkt und des Nachbarn Oldtimer-Cabrio anditscht. Elise hat sich mit Freund Paul gestritten und kommt gerade von Dreharbeiten in Paris. Am Abend lädt der Nachbar die drei Frauen zu sich ein. Wie sich am nächsten Morgen zeigt, ist die Sache komplett aus dem Ruder gelaufen, nachdem Elise und Nicole schon zuhause waren. Nun ist der Nachbar tot und blutet alles voll. Derweil Denises toter Gatte bei Nicole klingelt und seine Frau sucht.

„Wir waren nicht die einzigen. Das Gewitter hatte sich entladen.“

„Balconettes“ geht gleich in die Vollen und bereits Denises Gegenschlag sorgt einerseits für bizarre Komik und andererseits dafür, dass dem Publikum das Lachen im Hals stecken bleibt. Kein Wunder, wenn mensch bei mehr als 40˚Celsius nervlich etwas derangiert ist und zu extremen Reaktionen neigt.

Der selbstermächtigende Reigen der wehrhaften jungen Frauen setzt sich konsequent fort und wird quasi von Nicole begleitet und festgehalten, die noch auf der Suche nach einer Story für ihren aktuellen Roman ist. Davon bekommt das Publikum freilich erst gegen Ende eine Idee, denn bis dahin wird aufgekratzt durch die Befindlichkeiten der drei Protagonistinnen gepflügt.

„Eine neue Hoffnung. Eine Vorstellung von Freiheit.“

Die Grundideen sind dabei schnell ausgemacht. Zum Sex gehört Einvernehmlichkeit und häusliche Gewalt gehört bestraft. In der Beziehung darf die eigene (männliche) Geilheit auch gerne mal kontrolliert werden und Ansprüche gibt es schon mal gar nicht. Das ist soweit emanzipatorisches Denken und Tun und wird in „Balconettes“ bisweilen derbe und mit den Mitteln des Splatter- und Body-Horror in Szene gesetzt.

Darin ist „Balconettes“ dem Überraschungserfolg „The Substance“ nicht unähnlich, mir persönlich aber deutlich sympathischer. Früher wurden Frauen wegen Hysterie weggesperrt, heute ist selbige fast ein Grund zum Feiern. Jedenfalls entfacht die Lebensfreude der Frauen-Wohngemeinschaft schon einen Funken, der Frauen in Flammen setzen kann. (Um mal einen platten Gedankensprung zu machen.)

„Niemand kann sagen, wer zuerst lachte.“

Die Schauspielerin Noémie Merlant hat auch Regie geführt und das Drehbuch geschrieben. dabei stand die hochgelobte Filmmacherin und Autorin Celine Sciamma („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) assistierend zur Seite, ohne dass die radikale und wuchtige Handschrift Noémie Merlants beeinträchtigt würde.

Es gibt etliche bizarre Momente in „Balconettes“ und dennoch scheinen mir die Kategorien Satire, Parodie oder Grotesque zu kurz greifend. Und das Publikum darf sich schon fragen, warum die Schriftstellerin Nicole die Gespenster der Gewaltätigen erscheinen und ihr auf den Geist gehen? Und schließlich lässt die Flaute nach und eine frische Brise weht durch die Stadt.

„Balconettes“ verhält sich zu „Sommer vom Balkon“ wie ein Waldbrand zu einem Lagerfeuer. Ein Frauenpowerhouse mit Wucht und Wut. Mit Ecken und Kanten, Nacktheit und Körperflüssigkeiten, Finsternis und Licht und mit einem flotten Soundtrack.

Bewertung: 7 von 10.

Balconettes
OT: Le Femmes au Balcon
Genre: Komödie, Drama
Länge: 103 Minuten, F, 2023
Regie: Noémie Merlant
Schauspiel: Souheila Yacoub, Sanda Codreanu, Lucas Bravo, Noémie Merlant,
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Progress Filmverleih, Barnsteiner
Kinostart: 08.05.2025

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